Frankenthal „Ich bin ein Heßheimer“

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Über das Alter für Wohngemeinschaften sind sie eigentlich hinaus. Und Heßheim hat auch wenig gemein mit Brooklyn oder Kreuzberg. Und doch gibt es hier eine kleine Kommune von Jazzmusikern: Richie Beirach, einer der ganz großen Pianisten, ist hier vor zwei Jahren zu Regina Litvinova und Christian Scheuber gezogen. Jeder von ihnen freilich hat eine eigene Wohnung in dem weitläufigen Anwesen. Da sie auch noch gemeinsam im Trio Musik machen, wäre es sonst vielleicht auch zu viel der Nähe.

Schlagzeuger Christian Scheuber ist in Maudach aufgewachsen. Doch wie verschlägt es einen wie Richie Beirach aufs Land – einen weltbekannten Jazzpianisten, der mit Dave Holland und Jack DeJohnette in der Band von Stan Getz spielte, der mit Dave Liebman, John Abercrombie, George Adams, Chet Baker, John Scofield und Al Foster aufgetreten ist? Zumal der 68-Jährige sich als ausgesprochenen Großstadtmenschen bezeichnet: „Concrete and glass, twenty-four hours“ – Beton, Glasfassaden, eine Stadt, die niemals schläft, so wenig wie er selbst. Beirach ist in New York geboren und hat dort 54 Jahre gelebt bis 2001, als er nach Leipzig übersiedelte, um eine Professur für Jazzklavier anzunehmen. „New York war musikalisch und politisch konservativer geworden.“ Es war die Zeit, als Wynton Marsalis als Leiter von Jazz at Lincoln-Center mit seinem extrem rückwärtsgewandten Verständnis großen Einfluss gewonnen hatte. „Und die Clubbesitzer in New York bezahlen immer schon miserabel.“ Beirach habe in seine internationalen Kanäle gegeben, dass er raus wolle aus New York, und auch einige attraktive Angebote erhalten: Paris, Berlin. Das Beste kam jedoch aus Leipzig: finanziell und ideell in der Mitbestimmung beim Curriculum. 2014, als er mit Erreichen der Altersgrenze von 67 in den Ruhestand verabschiedet wurde, übernahm Michael Wollny seine Stelle. Jetzt wacht Beirach jeden Morgen auf zwischen Reben und Rüben: das Paradies, glaubt er. „Ich kann nachts die Sterne sehen, das konnte ich in New York nie.“ Anfangs sei das schon ein Schock gewesen: „In New York leben acht Millionen Menschen. Leipzig mit seinen 520.000 Einwohnern ist so groß wie ein Block in Broooklyn. Und in Heßheim wohnen so wenig Leute, da hatte mein Haus in New York mehr Bewohner.“ Doch er genieße die Lebensqualität in der Pfalz. Im Dorf gebe es eine Pizzeria, eine Sparkasse, eine Apotheke und das Café im Foyer eines Supermarkts. Ab und zu sieht man die Drei dort sitzen und Kuchen essen. Im Ort seien sie schon bekannt, erzählt Scheuber an dem Tisch, an dem sie sich regelmäßig zum gemeinsamen Essen treffen. Im Keller hat sich das Trio einen Proberaum eingerichtet. „Wir leben eine intensive musikalische Beziehung. Aber wir hängen nicht die ganze Zeit zusammen rum“, sagt Beirach. Seinen musikalischen Einstand in der Pfalz gab der Amerikaner schon im August 2015 beim Ludwigshafener Festival Jazz am Rhein. Gerade war er zu Soloauftritten in Frankreich und in der Schweiz. „Als berühmter Pianist kann ich überall leben, wo es ein Telefon gibt. Die Leute rufen mich an, wenn ich spielen soll.“ Gemeinsam firmieren die Drei als The New Richie Beirach Trio. „Das ist das letzte Drittel meiner Karriere. Und nach all den großen Musikern, mit denen ich gespielt habe, ist das die Band, mit der ich jetzt arbeiten will“, sagt Beirach. „Und wir würden gerne mehr arbeiten.“ Aus privaten Mitteln haben sie eine erste CD aufgenommen unter dem Titel „Gaia“ – benannt nach der griechischen Göttin Erde. Und geerdet ist das Trio in der Tat mit seiner sehr amerikanischen Auffassung von Rhythmus, die sie nach eigenem Bekunden teilen. Für das Album suchen sie nun einen Verlag. Beirach, ein Mann von kleiner Statur und großer Energie, zeigt sich darauf so kompromisslos modern, zupackend und intensiv wie eh und je. Er habe es geliebt zu unterrichten, erzählt er. Aber nicht mehr zu unterrichten, habe seinem eigenen Spiel geholfen. „Lehren ist gut für das Ego, aber sehr intellektuell, analytisch. Und du kannst den kreativen Impuls auch zerreden.“ Was das Trio von seinen bisherigen abhebt: eine zweite Tastenkünstlerin. An Keyboards und Vocoder übernimmt Litvinova nicht nur den Basspart, sondern greift auch harmonisch ein. „Sie spielt kraftvoll und mit schönem Rhodes-Sound“, sagt Beirach. „Und sie denkt wie ein Komponist. Ich vertraue ihr völlig, mir zu folgen.“ Durch die aus Russland stammende Pianistin kam die Verbindung in die Pfalz überhaupt erst zustande. Litvinova hat in Mannheim studiert und wurde dann Masterschülerin Beirachs in Leipzig. Und Scheuber, mit dem sie schon seit zehn Jahren spielt, lernte die Moskauerin lange vorher kennen, als dieser mit russischen Musikern durch ihr Heimatland tourte. Jetzt gestalten sie gemeinsam die Sessionreihe Jazz Lights im Ludwigshafener Kulturzentrum Das Haus. In der Pfalz fühlt sich Beirach inzwischen zu Hause. „Ich bin ein Heßheimer“, sagt er – auf Deutsch mit dem amerikanischen Akzent Kennedys, als dieser sich einen Berliner nannte. „Ich habe immer allein gelebt. Eine Familie zu gründen, wäre schwer gewesen, weil ich so viel gereist bin“, erzählt Beirach. Die WG ist ihm nun auch ein wenig Familie: Christian Scheuber, der ausgezeichnet koche, und Regina Litvinova, die ihn mit ihrer dunklen Stimme hin und wieder ermahne: „Wann warst du eigentlich das letzte Mal beim Friseur?“ Konzert Zusammen sind Richie Beirach, Regina Litvinova und Christian Scheuber wieder am Samstag, 11. Juni, im Alten Weingut am Maxbrunnen in Bad Dürkheim zu erleben.

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