Frankenthal Rassistische Königin als weiblicher Hagen

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Mutter Ute wird zum rassistischen Schwiegerdrachen. Brünhilds Name ist ihr zu isländisch, und sie sagt deshalb schlicht „Hildegard“ zu ihr: Das Stück „Die Isländerinnen“ von Jungautorin Irene Diwiak, der Gewinnerin eines ausgelobten Autorenwettbewerbs zu den Nibelungen-Festspielen, wirft einen gänzlich neuen, sehr jugendlichen und weiblichen Blick auf die Nibelungensage. Premiere war am Sonntag.

Auf der großen Bühne vor dem Dom sehen wir die Interpretationen und Sichtweisen von Dieter Wedel, Karin Beier und Albert Ostermaier, allesamt gestandene Theatermacher von hohem Rang in der Szene. Aber wie gehen eigentlich die Theatermacher von morgen mit dem Stoff der Nibelungensage um? Diese spannende Frage war Ausgangspunkt für das Experiment eines Autorenwettbewerbs, der unter der Intendanz von Nico Hofmann im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde. Gewonnen hat bei der Premiere des Wettbewerbs die Österreicherin Irene Diwiak, 24 Jahre jung, schon früh mit Preisen für Stücke und Hörspiele überhäuft und derzeit Studentin der Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien. Das Festspielteam hat ihr einen Regisseur, drei Schauspielerinnen und einen Bühnenbildner an die Hand gegeben, um ihre Sichtweise auf das Lied der Nibelungen zu realisieren. In den vergangenen drei Wochen wurde das Wormser Lincolntheater so zur Spielwiese für die „jungen Wilden“. Herausgekommen ist dabei eine gut 90-minütige Uraufführung mit dem Titel „Die Isländerinnen“. Geballte Frauenpower also auf der Bühne des Lincoln-Theaters, die links und rechts noch um ein Stück verlängert wurde. Im Mittelpunkt des Stücks (und das war auch die Prämisse des Autorenwettbewerbs): der Königinnenstreit. Am Anfang stand – noch der alten Sprache sehr nahe – Kriemhilds Falkentraum, den sie erzählt. Noch weiß Kriemhild, gespielt von Luise Weiß, nicht viel damit anzufangen: „Ich glaube doch gar nicht an Träume.“ Ein schneller Lichtwechsel holt sie aus ihrer Trance. Zur Seite steht Kriemhild jetzt Mutter Ute (Felicity Grist). Die hat aber ganz andere Sorgen. Ihr Sohn Gunther heiratet ausgerechnet eine Ausländerin, eine Fremde, eine, die nicht nach den Regeln des „Buch Burgund“ lebt. Was, wenn sie nicht stubenrein ist? Die Schimpftirade, die Ute – eine Rassistin wie sie im Buche steht – loslässt, wirkt wie ein sorgsam ausgewähltes Potpourri der schlimmsten Rechtsparolen. Es gipfelt in der Sorge Utes vor der „Islandisierung des Abendlands“. Bewusst inhaltsleer hat Diwiak die Argumente gehalten – Kriemhild wirft Ute vor, sie solle nicht vorschnell urteilen, sie wisse doch gar nicht, wie es dort ist, sie war doch nicht mal im Urlaub dort. „Ja, da fährt man ja auch nicht hin“, entgegnet Ute. Das Stück ist aber noch mehr als nur ein kluger Blick auf die heutigen Probleme mit Migration und Integration. Es ist vielmehr auch ein kleiner Kampf zwischen den Generationen, wie es ihn seit Jahrtausenden gibt. Das wird deutlich in Sätzen wie dem von Ute: „Die Zukunft gehört der Jugend, ich muss euch nicht verstehen.“ Das wird aber auch deutlich in den grell-pink-blinkenden Outfits einer coolen Kriemhild in Hotpants. Und aus einem noch größeren Blickwinkel heraus wird in der schier unendlichen Sehnsucht der Jugend deutlich, dass da noch mehr sein muss als „nur“ das normale Leben der Pubertierenden. Kriemhild will raus aus Burgund, will das Leben leben, will Abenteuer erleben, ja, sie will „selbstbestimmt für den Frieden kämpfen“. Und es ist nicht so, dass Ute sie nicht verstünde. „Ich war auch mal jung, wollte die Welt sehen, die Welt erfinden“, ist eine der wenigen Stellen, an denen Diwiak uns tief in die Seele dieser auf den ersten Blick scheinbar strengen, kalten Frau blicken lässt. Die Vehemenz, mit der Ute Siegfried und Kriemhild miteinander verkuppeln will, macht sie zu einer Art weiblichem Hagen. „Mama, ich weiß, was Du sagen willst“, sagt Kriemhild augenverdrehend, „aber Siegfried und ich, wir sind nur Freunde“. Welche Mutter hat diesen Satz noch nicht gehört. Schade ist einzig, dass die Regie von Oliver Endreß die Frische und Originalität der geschriebenen Vorlage nur bedingt aufgreifen kann. Die Figuren waren stimmig angelegt, aber die Inszenierung hakt an wichtigen Übergängen, es fehlen ihr die besonderen Momente, die den Unterschied machen zwischen großem Theater und bloßer szenischer Lesung. Termin Die letzte Möglichkeit, das Stück zu sehen, gibt es am Samstag, 30. Juli, um 20 Uhr im Lincolntheater.

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