Grünstadt „Die Gedanken sind frei“

„Wenn uns nur Liebe bleibt“: Ein Lied nach Jacques Brel war das Motto des sehr gut besuchten Protestkonzerts für Meinungs- und Pressefreiheit auf der ganzen Welt am Sonntag im Weierhöfer Blauen Haus. Die Inszenierung von Jolanthe Seidel-Zimmermann, Leiterin der Kreismusikschule, verstand sich als Künstler-Reaktion auf die islamistischen Morde in Paris.

Schwelgen in schönen Klängen und Denkanstöße gegen Intoleranz: Die Mischung blieb fesselnd, das kompakte, anderthalbstündige Programm hatte Tempo und riss mit. Da gab es packende Texte, etwa Rosa Luxemburgs Maxime „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ oder der Tucholsky-Essay „Was darf Satire?... alles!“ Emphatisch von Publikum wie Akteuren gesungen wurde das Trutzlied gegen Ketten und Kerker: „Die Gedanken sind frei.“ „Aber was nützen sie, wenn man sie nicht frei äußern darf?“, fragte Landrat Winfried Werner und forderte dazu auf, Flagge für unsere Werte zu zeigen und sich überdies tatkräftig für Kriegs- und Hungerflüchtlinge vor Ort einzusetzen. Grußworte sprachen auch Axel Haas, der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden, und die türkischstämmige Kommissarin Semahat Aksoy, Koordinatorin für den Dialog zwischen islamischen Vereinen und der Polizei in Eisenberg. Einen sehr lebendigen Auftakt setzte das von Virgjil Gega perfekt geführte Jugend-Streichensemble mit Schuberts schwirrender „Biene“ und einem albanischen Tanz (Pjeter Gaci) – bravourös gefiedelt. Die Krönung war Mozarts Kirchensonate in D-Dur, einfühlsam untermalte Valentina Gega am Klavier. Hochromantisch und innig aufeinander bezogen bestachen die ausdrucksvollen Stimmen Ruth Leyendecker-Mangolds und Gerlinde Schmitts in dem Lied „Ich wollt’, meine Liebe ergösse sich“ von Mendelssohn. Auch der Komponist war ein Jude. So virtuos wie musikantisch jagten Galina (Klavier) und Valery Rüb (Hauspianist und auch vorzüglicher Akkordeonist) russisch-zigeunerische Volksweisen über die Tasten. Tief anrührend wirkte eine jüdische Melodie aus Kiew. Konzertant, voller Gefühl und rhythmisiert bis in die Fingerspitzen spielten das Ehepaar Rüb und die Brüder Christian und Antonio Kapper (Geige und Cello) Piazollas „Libertango“. Das Programm lebte vor allem von seiner Vielfalt: Anonietta Janas warmer Koloratursopran bezauberte in einer Arie aus Händels Messias („Wie lieblich ist der Boten Schritt“) und in Andrew Lloyd Webbers „Love Changes Everything“. Timo Holstein überzeugte mit John Lennons „Imagine“ und Frank Sinatras „My Way“, am Klavier unterstützt von seinem „Nimm 2“-Partner Peter Klein. Margit Engel schlug mit französischen Chansons („Ma Liberté“ von Georges Moustaki und Barbaras „Göttingen“) den Bogen zum Ausgangspunkt Paris zurück. „Mein Kind, sing!“ Jürgen Mangold stimmte die Theodorakis-Hymne gegen Diktatur und Unterdrückung an. Da durfte Biermanns „Ermutigung“, vorgetragen von Maria Gahr, nicht fehlen: „Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit!“ Unter die Haut ging ein persisches Gedicht, das der in Teheran geborene Kirchheimbolander Sepandar Lashkari als Kind bei einem Schulfest aufgesagt hatte und das er jetzt wiederholte. Seine zehnjährige Tochter Maryam rezitierte es auf deutsch: „Alle Menschen sind Mitglieder eines großen Ganzen. … Alle Menschen sind gleich.“ Was wäre literarisches deutsches Kabarett ohne die Klassiker Kurt Tucholsky, Friedrich Hollaender, Georg Kreisler? Ebenfalls Juden. Das Ensemble Blaues Haus (allen voran Ruth Leyendecker-Mangold, Jürgen Mangold und Rolf Rinert) schoss scharf mit der knallhart bissigen Hollaender-Nummer „Die Juden sind an allem schuld!“ Kerstin Ravinder las Tucholskys „Prosa“ auf Schwedisch, einst geschrieben auf der Flucht vor den Nazis. Wie schnell doch Satire von der bitteren Realität eingeholt werden kann, bewies Mangold am Beispiel des Wormser NPD-Stadtratmitglieds Weick, der die Sterilisation Asylsuchender als Lösung gegen „Überausländerung“ vorschlug. „Wenn uns nur Liebe bleibt“: Das Finale beschwor eine geschwisterliche, friedvollere Welt. Stürmischer Beifall. Die an dem Benefizabend gespendeten 850 Euro sind für die Flüchtlingshilfe in Kibo bestimmt.

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