Grünstadt Ja, sie lebt!

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Ausgerechnet an ihrem 90. Geburtstag erhielt Juliane Bölger eine Aufforderung, nachzuweisen, dass sie noch lebt. Ihre Familie hat das sehr geärgert.

Als Juliane Bölger ihren 90. Geburtstag gefeiert hat, war wohl halb Obersülzen auf Gratulationstour. Die sechsfache Uroma bekam zu ihrem Jubeltag unzählige Geschenke, Blumen und Glückwunschkarten. Und die Forderung ihrer privaten Rentenversicherung nach einer „Lebensbescheinigung“.

„Hätten Sie mal lieber einen ihrer Außendienstmitarbeiter mit einem Strauß Blumen vorbeigeschickt – bei der Gelegenheit hätte er sich auch die sogenannte Lebensbescheinigung von meiner Schwiegermutter ausfüllen lassen können.“ In ihrem ersten Ärger musste Monika Bölger ganz einfach mit einem Fax auf das Schreiben der großen Versicherung reagieren. Zu ihrem 90. Geburtstag fand Juliane Bölger nicht nur viele Glückwunschkarten, sondern auch die Anforderung einer „Lebensbescheinigung“ im Briefkasten. Von einer „Lebensbescheinigung“ hatte die rüstige Ur-Obersülzerin zuvor noch nie etwas gehört. Zunächst ratlos, überlegte sie, ob sie darauf überhaupt reagieren muss. Ein Satz in dem Versicherungsschreiben hat sie dann jedoch hellhörig werden lassen: „Bitte reichen Sie uns das Formular zeitnah zurück, damit die Auszahlung der Rente auch weiterhin pünktlich von uns vorgenommen werden kann.“ Da hat die 90-Jährige auf ihrer Geburtstagsfeier mal lieber Schwiegertochter Monika das Schreiben gezeigt. „Auch ich musste das wirklich zuerst zwei Mal durchlesen“, sagt die Kleinkarlbacherin, die ihren Augen nicht traute. Zu absurd kam ihr die Anforderung einer „Lebensbescheinigung“ vor. Frei nach dem Motto: „Leben Sie noch oder sind sie schon tot? Dann brauchen wir Ihnen auch keine Rente mehr überweisen.“ Und das Schreiben kam ausgerechnet an dem großen Tag an, am 90. Geburtstag ihrer Schwiegermutter!

Routine bei den Versicherungen

„Man stelle sich nur mal vor, wie das auf Menschen wirken muss, die gerade die Diagnose einer tödlichen Krankheit erhalten haben“, kritisiert Bölger auch heute noch, nachdem einige Wochen ins Land gezogen sind und der erste Ärger verflogen ist. In der Zwischenzeit hat sie festgestellt, dass vielen der Begriff „Lebensbescheinigung“ durchaus geläufig ist. Die werde von Rentenversicherern halt immer mal wieder automatisch angefordert, sahen andere kein Aufregungspotenzial in dem Versicherungs-Schreiben. Auch ein Sprecher der Versicherung, die Bölger jeden Monat eine kleine Rente überweist, betont die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des Schreibens. Schließlich sei die Versicherung „im Interesse der Versichertengemeinschaft verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob der Anspruch auf die Leistungen noch besteht. Dass der Versicherte am Leben ist, ist also eine leistungserhebliche Tatsache“. Deshalb sei es bei privaten Renten- und Unfallversicherungen üblich, dass in regelmäßigem Abstand „Lebensbescheinigungen“ angefordert werden, so der Sprecher: „Bei uns geschieht das alle zwei Jahre, unabhängig vom Alter der versicherten Person.“ Dies müsste auch den Versicherten bekannt sein, heißt es in der Stellungnahme zur Anfrage der RHEINPFALZ, sei doch im Paragraf 11 der Allgemeinen Bedingungen unter anderem zu lesen: „Wir können vor jeder Renten- oder Kapitalzahlung auf unsere Kosten ein amtliches Zeugnis darüber verlangen, ob die versicherte Person noch lebt.“

Anderes Vorgehen bei der gesetzlichen Rente

Bei der gesetzlichen Rente brauchen die Versicherten nicht vor dem 95. Geburtstag damit zu rechnen, in einem Vordruck bestätigen lassen zu müssen, dass sie leben. „Die Information der Rentenversicherung stellt ein elektronischer Sterbedatenabgleich sicher, der zwischen Standesämtern, Meldebehörden und Rentenversicherung stattfindet“, teilt ein Sprecher der Deutschen Rentenversicherung auf Anfrage der RHEINPFALZ mit. Dabei werden die bei den Standesämtern angezeigten Sterbefälle an die Meldebehörden und von da aus an die Rentenversicherung weitergeleitet. „Dieser systematische Sterbedatenabgleich ist ein bewährtes und effektives Verfahren“, betont der Sprecher. Zumal eine weitere Sicherungsstufe durch die Überwachung des Postrücklaufs beim jährlichen Versand der Mitteilung der Rentenversicherung an die Rentner über die Höhe der Rentenanpassung gegeben sei. Das Verfahren mit der „Lebensbescheinigung“ komme nur bei im Ausland lebenden Rentnern zum Einsatz – wenn deren Wohnsitz in einem Land liegt, mit dem kein Sterbedatenabgleich durchgeführt werden kann. Diese Rentner müssen der Deutschen Rentenversicherung einmal jährlich eine solche Bescheinigung zusenden.

Unter Zeitdruck

Monika Bölger hat trotz ihrer Kritik an diesem „herzlosen Vorgehen“ den von der Versicherung mitgeschickten Vordruck für ihre Schwiegermutter ausgefüllt und bei der VG-Verwaltung bescheinigen lassen, dass „Juliane Bölger am 17.2.1929 geboren ist und am heutigen Tag lebt“. Denn diejenigen, die bereits mit solchen „Lebensbescheinigungen“ zu tun hatten, hätten ihr empfohlen, den ausgefüllten Vordruck „umgehend“ an die Versicherung zurückzuschicken. Mit der Einstellung der Rentenzahlungen seien die Versicherer nämlich schnell dabei, hieß es. Das lässt auch das Wörtchen „zeitnah“ vermuten, das ja schon die 90-jährige Bölger hellhörig werden ließ. So führt bei der gesetzlichen Rentenversicherung „ein Rücklauf unzustellbarer Anpassungsmitteilungen“ zunächst zu einer Unterbrechung der Zahlung und – wenn sich der Rentenberechtigte nicht meldet – nach sechs Kalendermonaten zu einer endgültigen Zahlungseinstellung. Bei Privatversicherern gehe das Einstellen schneller, wenn die „Lebensbescheinigungen“ nicht „zeitnah“ zurückgeschickt werden, wurde Monika Bölger mitgeteilt. Und wenn die Zahlungen einmal eingestellt wurden, kann’s dauern und viel Schriftverkehr notwendig sein, bis die Rente (nach-)gezahlt wird. „Da lässt man sich lieber gleich offiziell bestätigen ,Ja, sie lebt noch‘“, betont sie. Auch wenn „dem unseligen Schreiben zum 90. Geburtstag meiner Schwiegermutter weder Kuvert noch Porto für die Rücksendung der ,Lebensbescheinigung‘ beigelegen haben“.

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