Mein Abenteuer 2023 Journalist als Stall-Praktikant bei der Lebenshilfe: In der fäkalen Gefahrenzone

Bringen den Stall auf Vordermann: RHEINPFALZ-Redakteur Christoph Hämmelmann und Lebenshilfe-Mitarbeiter Noah.
Bringen den Stall auf Vordermann: RHEINPFALZ-Redakteur Christoph Hämmelmann und Lebenshilfe-Mitarbeiter Noah.

120 Kühe auf dem Kleinsägmühlerhof der Lebenshilfe in Altleiningen geben Milch – und machen jede Menge Mist. Wer ihn wegräumt, kann selbst Treffer abbekommen. RHEINPFALZ-Redakteur Christoph Hämmelmann hat sich gemeinsam mit einem Schützling der Selbsthilfe-Organisation an die Arbeit gemacht.

Die Informationen zur ewigen Bestleistung einer kotenden Kuh sind nur vage, aber dafür umso beeindruckender: Auf dem Kleinsägmühlerhof sollen die Exkremente einst einen Menschen erwischt haben, der respektable fünf Meter weit entfernt von der Ausscheiderin stand. Ich überschlage die Distanz zu den Rinder-Hintern vor mir: zwei Meter könnten es jetzt sein. Aber ich werde noch näher ranmüssen. Denn ich bin hier jetzt für ein paar Stunden der Praktikant, dem Grundkenntnisse in der Bewirtschaftung eines Stalls vermittelt werden.

„Du bist verantwortlich“

Immerhin: Mein Ausbilder in der fäkalen Gefahrenzone ist ein freundlicher junger Mann, der gut auf mich aufpasst. Der Hof-Chef Richard Danner hat ihm das eben auch noch einmal extra eingeschärft, eher mich nach der Frühstücks-Besprechung dem 22-Jährigen und meinem Schicksal überließ: „Du bist jetzt für ihn verantwortlich.“ Nebenbei hat der Lebenshilfe-Betriebsleiter so auch gleich verraten, worauf es ihm ankommt: Die etwa 40 Beschäftigten mit Betreuungsbedarf sollen ihre Aufgaben möglichst selbstständig erledigen.

Aus ihnen kommt nicht nur Milch: Kühe im Stall des Kleinsägmühlerhofs, eines Lebenshilfe-Biobetriebs in Altleiningen.
Aus ihnen kommt nicht nur Milch: Kühe im Stall des Kleinsägmühlerhofs, eines Lebenshilfe-Biobetriebs in Altleiningen.

Die Idee dahinter: Nur so kann jeder die Fähigkeiten entfalten, die er trotz seiner Beeinträchtigung mitbringt. Dass die Dinge deshalb bisweilen nicht ganz rundlaufen, muss der Hof-Chef in Kauf nehmen – obwohl ihm das als Vollblut-Landwirt dann schwerfällt. Und obwohl er einen Biobetrieb von beachtlicher Größe managen muss. Es geht um immerhin etwa 120 Rinder, 25 Schweine und 1000 Legehennen – jede Menge Tiere, die darauf angewiesen sind, dass sie von den für sie zuständigen Menschen ordentlich versorgt werden.

Noah gibt das Tempo vor

Danner sagt trocken: „Man kann ihnen ja nicht einfach sagen, dass sie losgehen und sich was zu essen kaufen sollen.“ Doch das Wissen um ihre Verantwortung für das Vieh kann beeinträchtigte Mitarbeiter auch anspornen. Mein Ausbilder Noah jedenfalls wacht nicht nur über meine Sicherheit in der fäkalen Gefahrenzone. Er achtet auch darauf, dass ich ordentlich arbeite: Wenn ich geschludert habe, bessert er nach. Unser gemeinsamer Arbeitstag beginnt damit, dass wir den Stall auf Vordermann bringen. Das bedeutet: Wir machen sozusagen Kuhbetten.

Er reist jeden Tag als Berufspendler aus Ludwigshafen an: Noah kann gut mit den Tieren, bescheinigt ihm der Hof-Chef.
Er reist jeden Tag als Berufspendler aus Ludwigshafen an: Noah kann gut mit den Tieren, bescheinigt ihm der Hof-Chef.

Denn wenn die Rinder auf ihren Lagerplätzen ruhen, drücken sie das polsternde Stroh zur Seite. Also muss es Liegebucht für Liegebucht wieder ordentlich drapiert, zum Teil mit neuer Einstreu aufgeschüttet werden. Was sich einfach anhören mag, wird ruckzuck anstrengend: Eine Kuh macht Muh, und viele Kühe machen Mühe. Zum Glück gibt Noah das Tempo vor. Er weiß, wie schnell man arbeiten muss, um voranzukommen – und wie langsam man machen sollte, wenn man sich nicht vorzeitig verausgaben will.

Spannender als Gartenarbeit

Im Vergleich zu anderen Mitarbeitern auf dem Hof startet er relativ spät um 8.30 Uhr, da sind die Kühe schon gefüttert und gemolken. Während manche seiner Kollegen auf dem Hof oder halbselbstständig in Altleiningen wohnen, lebt er in Ludwigshafen. Und ist somit Berufspendler, der erst einmal anreisen muss. Anfangs, erzählt er mir zwischendurch, hat er vor allem im Bereich „Baustelle“ gearbeitet. Diese interne Bezeichnung kann Außenstehende allerdings leicht in die Irre führen, es geht da vor allem um Grünanlagen-Pflege.

Denn die Kleinsägmühlerhof-Truppe kümmert sich auch um private Gärten. Allerdings: Unkrautzupfen findet mein Ein-Tages-Praktikumsbetreuer vergleichsweise langweilig. Und mit den Kühen kann er einfach gut, das bescheinigt ihm auch Betriebsleiter Danner. Wichtigste Ausrüstungsgegenstand für den 22-Jährigen sind neben Harken, Schippen und Mistgabeln seine Gummistiefel. Auch mir sind solche Treter angeboten worden, aber ich habe dankend abgelehnt. Schließlich habe ich extra Tropen-Kampfstiefel mitgebracht.

In Warnwesten hüllen

Die habe ich mir 2018 für eine Reportage-Reise zugelegt, damals berichtete ich Zweibrücker Fallschirmjäger während ihres Blauhelm-Einsatzes in Mali. Seither sind die Stiefel meine treuen Begleiter, wenn es schmutzig und der Untergrund rutschig wird. Doch nach und nach frage ich mich, ob ich ihnen diesen Einsatz nicht doch besser erspart hätte. Denn nachdem wir die Liegeplätze der Rinder gemütlich gemacht haben, säubern Noah und ich die übrigen Bodenflächen des Stalls. Und stehen bis weit über die Knöchel-Höhe hinaus in Kuh-Kot.

Auf dem Weg zur Weide: Die Kühe überqueren die Landstraße in Richtung Höningen. Und gleich darauf gibt es ein Problem.
Auf dem Weg zur Weide: Die Kühe überqueren die Landstraße in Richtung Höningen. Und gleich darauf gibt es ein Problem.

Dessen Urheberinnen schauen uns derweil einigermaßen ungerührt zu und legen nach. Aber freundlicherweise haben sie bislang darauf verzichtet, sich an den Fünf-Meter-Rekord heranzuarbeiten. Und nun wechseln wir sowieso das Handwerkszeug und die Aufgabe, legen die Mist-Schippen weg, hüllen uns in neongelbe Warnwesten. Denn die Kühe sollen auf ihre Weide trotten und wir sie dabei begleiten. Und dabei müssen wir allesamt über das Landsträßchen, das vom Kleinsägmühlerhof aus in Richtung Höningen führt.

Strom auf den Stacheldraht-Zaun?

Also halten Noah und ich erst Ausschau nach heranbrausenden Autos, dann spannen wir mit Flatterband verzierte Weidezaun-Drähte über die Fahrbahn, stellen uns mitten auf die Straße und grenzen so einen Korridor ab, durch den hindurch die Tiere über den Asphalt staksen. Und gleich darauf haben wir ein Problem. Hinter dem letzten Rinder-Hintern müssten wir den Zugang zur Weide wieder mit einem quergespannten Elektrodraht blockieren, aber dessen Widerhaken ist aus dem Holzpfosten geglitten und lässt sich nicht wieder befestigen.

Und nun? Der Widerhaken für den Elektrozaun ist aus dem Holzpfosten geglitten, lässt sich nicht wieder befestigen.
Und nun? Der Widerhaken für den Elektrozaun ist aus dem Holzpfosten geglitten, lässt sich nicht wieder befestigen.

Mein Vorschlag: Wir könnten den Elektrodraht einstweilen doch einfach in den Stacheldraht einhängen, der das Areal zu einer Seite hin begrenzt. Allerdings stünde der dann ebenfalls unter Strom – und das ganz ohne Warnschild. Ich finde, das macht nichts. Denn wenn ein Trottel tatsächlich in die Metalldornen fasst, wäre der Mini-Schlag nun wahrlich nicht sein Hauptproblem. Doch Noah schaut skeptisch. Und eine uns gerade begleitende Landwirtschaftsmeisterin lehnt entschieden ab, sie geht lieber gleich einen neuen Haken holen.

Eine dicke Mist-Kruste

Ihre Begründung: Wenn ausgerechnet jetzt eine Kontrolle käme, gäbe das Ärger. Immerhin: Noah nimmt mir meinen offenbar unbedachten Vorschlag nicht weiter krumm. Auf dem Rückweg zum Hof beteuert er, freundlich lächelnd, dass ich ein guter Praktikant war. Dann weist er mir den Weg zur Dusche und hilft mir bei der Suche nach einem Leih-Handtuch. Denn obwohl ich der fäkalen Gefahrenzone ohne direkte Treffer entkommen bin, umwabert mich eine Duftwolke. Und meine Stiefel haben eine dicke Mist-Kruste.

Auch die lässt sich draußen zwar halbwegs wegspritzen. Doch zartes Kuhstall-Aroma werden die Treter noch monatelang verbreiten.

Der Autor

Christoph Hämmelmann kommt aus Unterfranken. Nach dem Studium absolvierte er sein Volontariat bei der RHEINPFALZ, seit 2005 ist er Redakteur. 2023 hat der 46-Jährige die Leitung der Lokalredaktion Grünstadt übernommen.

Die Serie

Manche haben Aufregendes in weiter Ferne erlebt, andere haben sich in unserer Region einer Herausforderung gestellt: RHEINPFALZ-Reporter und Gastautoren aus dem Leinigerland berichten von ihrem Abenteuer 2023.

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