Grünstadt Mit Brief und Siegel

Als Neuntklässler hat Markus Müller ein Praktikum in einem Notariat gemacht. Danach wusste er, wohin es für ihn gehen soll – oder zumindest, dass er Jura studieren will. Fasziniert haben ihn vor allem die Akten. Für einen Teenager klingt das etwas merkwürdig, aber es führte den 37-Jährigen auf den Weg nach Grünstadt. Hier herrscht er nun über ein wahres Großreich an Dokumenten.

Hüter von rund 100.000 Akten im Keller eines alten Hauses ist Markus Müller seit Anfang Februar. Der Deidesheimer hat das Notariat von Wolfgang Krebs in der Bahnhofstraße übernommen und mit ihm nicht bloß den Mandantenstamm seines Vorgängers, sondern auch alle Dokumente, die sich in den vergangenen rund 50 Jahren angesammelt haben. Viele davon sind deutlich älter als der 37-jährige Jurist, was in der Natur der Sache liegt. Zur Erklärung: Dass Notare unabhängige Amtsträger sind, die im Dienst der Bevölkerung Dokumente aufsetzen und sie beglaubigen, gehört zu einem soliden Allgemeinwissen, über das viele Bürger verfügen. Dass sie in ihrer Beratung neutral sein müssen, statt die Interessen einer Seite zu vertreten, wie es bei Anwälten der Fall ist, wissen auch viele. Dass ein Jurist, der Notar sein will, eine dreijährige Zusatzausbildung braucht und seine Zulassung als Anwalt abgeben muss, ist eher Sonderwissen. Zweiteres gilt auch nicht für ganz Deutschland, aber hier in Rheinland-Pfalz. Ganz speziell wird es dann bei Informationen wie dieser: Notare dürfen in ihrem Siegel das Wappen des Bundeslandes führen, in dem sie praktizieren. Oder: Sämtliche Dokumente, die in einem Notariat erstellt werden, müssen 100 Jahre lang aufbewahrt werden. Bis diese Frist verstrichen ist, werden sie von einem Notar an den nächsten weitergegeben. Nicht zuletzt deshalb ist die Nachfolge in diesem Beruf immens wichtig und streng reglementiert. Die von Müller gehüteten Akten reichen bis in die 50er Jahre zurück. Damals wurde das Grünstadter Notariat gegründet, das der Deidesheimer kürzlich übernahm. Der Keller seines Notariats vermittelt einen guten Eindruck davon, was das bedeutet: Dort steht Regal an Regal und in jedem stapeln sich Boxen voll mit Akten oder zumindest verbliebenen Aktendeckeln – wo etwa ein Testament von den Erben abgeholt wurde. Die neueren Unterlagen werden in Pappboxen aufbewahrt, die alten in Holzkästen und über allem liegt der Geruch von altem Papier. Genau das Richtige für einen, der schon im Schülerpraktikum so fasziniert von Akten war, dass er unbedingt Jura studieren wollte. Doch natürlich sind die Dokumente nicht das Einzige, was Müller zum Notar-Beruf zog. Ihn reizt auch die Recherche, das Lösen juristischer Probleme, die mit dem Zusammenwachsen Europas gern mal über die Grenzen Deutschlands hinaus reichen, der Kontakt zu Menschen und die Vielzahl von Themen, mit denen er sich beschäftigen kann. Das war einer der Gründe dafür, dass Müller der Großkanzlei, in der er angestellt war, den Rücken kehrte. Nach seinem Studium in Freiburg und Heidelberg, einem Auslandsjahr in Cambridge und der Promotion, beschäftigte er sich vor allem mit Wirtschaftsrecht, wollte sich aber breiter aufstellen und kam auf den Beruf zurück, der ihn als Schüler schon interessierte. Im Notariat befasst sich Müller nun mehr oder minder mit allen Bereichen des Lebens: mit Hochzeiten und Hauskäufen, Sterbefällen, Unternehmensgründungen und auch mit Mediationen. Dass ihm dabei irgendwann einmal langweilig wird, kann er sich nicht vorstellen. INTERNET www.notare.bayern.de/hp/mueller-gruenstadt .

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