Grünstadt Mitgerissene Ehefrauen

Nicht mehr häufig bekommt das interessierte Publikum ein klassisches Männerchorkonzert mit typischem Repertoire – zwar ohne Friedrich Silcher, aber nicht ohne Otto Groll – noch in so musterhafter, vorzüglich ausgefeilter Darstellung zu hören wie am Sonntag in der protestantischen Kirche Kirchheims. Gesungen wurde es vom Ensemble 2000 aus dem Westerwald.

Denn die meisten Männergesangvereine sind stimmlich ausgedünnt und überaltert; Chordirektor Wladyslaw Swiderski, laut Ankündigung ein „genialer Dirigent und Musikkenner, aber auch ein Perfektionist“, vermag dies noch durch Zusammenfassung der besten Kräfte aus mehreren Chören, die er im Raum Hachenburg und Altenkirchen leitet, einigermaßen auszugleichen, wobei auch hier manches Forte in hoher Lage doch grenzwertig klingt. Alles andere indes ist meisterhaft ausgearbeitet, der Chor singt mit Sicherheit und Präzision; die Klangbalance zwischen den Stimmen ist vorzüglich, manchmal geradezu raffiniert ausgearbeitet. Chorisches Atmen vermeidet jede Lücke in Klang; Effekte wie Sforzandi werden bewundernswert einheitlich gestaltet, kein Crescendo franst irgendwo aus. Franz Weiss, der immer wieder auf die Kanzel stieg, um zu moderieren, hatte ganz Recht, dass es zu solch mustergültigem Vortrag nicht nur eines gewieften Musikdirektors, sondern auch „guter, strebsamer und gelehriger Sänger“ bedarf. Am Anfang: Konradin Kreutzers dynamisch fein differenziertes und von Anfang an glasklares „Das ist der Tag des Herrn“, die Spezialität des Chores. Dann: Viel „Abendfrieden“ und nächtliche Melancholie, getragen, aber nicht träge, erfreulich frisch, plastisch und kontrolliert gesungen, ohne in romantischer Schwelgerei unscharf zu werden. Wladyslaw Swiderski hat zweifellos Geschmack. Interessant die Begegnung mit einen Frühwerk Franz Schuberts, dem Quartett „Das Dörfchen“. Der Text stammt noch aus dem 18. Jahrhundert, von Gottfried August Bürger, und die singspielhafte Musik repräsentiert noch den Musikstil, in dem Schubert aufwuchs, aber noch nicht den, den er selbst mitgeschaffen hat. In der Folge, weil der Chorleiter aus Polen stammt, Slawisches. Volkslieder, oder in ihrem Sinn erschaffene Kunstlieder. Dunkler, warmer Chorton kontrastiert mit den strahlenden Soli von Karl Heinz Müller (Tenor) und Ernst Otto Schmidt. Letzterer, ein Bariton, der etwas an Fred Bertelmann erinnert, erntete besonders viel Applaus. Weiterhin Geistliches: ein Gebet von Smetana, das „Ave Verum Corpus“ von Gounod. Es ist ein auf derselben alten Melodie wie Mozarts Vertonung fußendes Strophenliedchen, etwa wie die Tantum-ergo-Vertonungen von Ett oder Witt, das sich vor Mozarts Fassung aber besser verstecken würde. Weiterhin erklang ein exakt im Takt gebrachtes Spiritual, das sich trotz seiner afro-amerikanischen Herkunft ganz in die Männerchorsingweise einpasst, ebenso wie später „My Way“, und schließlich Beethovens „Die Himmel rühmen“ nach einem rationalistischen Kirchenliedtext Gellerts, bemerkenswert subtil und zurückhaltend interpretiert. Noch manches andere sängerische Kleinod wurde mit reichem Applaus des nicht allzu zahlreichen und anscheinend vornehmlich aus den mitreisenden Ehefrauen der Choristen bestehenden Publikums belohnt. Ein Konzert an einem sonnigen Frühlingssonntag auf 16 Uhr zu terminieren, mag zwar für einen Chor auf Jahresausflug bequem sein, nicht aber für ein mögliches Publikum ...

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