Grünstadt Zwischen Panik und Leserbriefen
Die ganze Woche über Sportsendungen schauen, anschließend ein paar Buchstaben zusammenwürfeln und dafür auch noch fürstlich entlohnt werden: Das Leben eines Fußball-Kolumnisten klingt wie der Traum eines jeden Fußballfans über 30. Tatsächlich ist die Realität eine gänzlich andere. Ein erschütternder Blick hinter die heruntergelassenen Rollläden eines x-beliebigen Schreiberlings aus dem Lokalsport: Montag, 10.44 Uhr: Eine wunderbare neue Woche beginnt! Mit jeder Menge Zeit, die nächste Kolumne auf ein völlig neues Level zu heben. Etwas lyrisches, tiefgründiges, etwas mit Substanz. Auf jeden Fall nicht wieder einen Text in letzter Minute! Und bloß nicht wieder irgendjemanden beschimpfen, vor allem nicht Sponsoren! Das gibt am Ende wieder nur wütende Leserbriefe. Freitag, 13.56 Uhr: Noch zwei Stunden bis Redaktionsschluss und ich habe noch nicht einmal eine Idee, wen ich beschimpfen könnte, wenn ich denn wollte. Mit Panik in den Augen durchforste ich Tickermeldungen von Sportportalen. Irgendjemand wird doch wohl wieder etwas Verrücktes gemacht haben. Komm schon, Internet – lass mich jetzt nicht im Stich! 14.02 Uhr: „Mario Basler gibt Comeback in der neunten Liga!“ – eine Eilmeldung, die gut klingt, aber nur Probleme bereitet. Vermutlich bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der Mario Basler nicht lustig findet. Da ist Ärger vorprogrammiert: Ein zynischer Artikel über Mario Basler sorgt für Leserbriefe. Jede Menge Leserbriefe. Außerdem ist Basler gebürtiger Pfälzer. Den Kampf kann ich nur verlieren. 14.18 Uhr: Bayern München ist angeblich an Dembélé interessiert. Großartig! Eine Kolumne über Transferwahnsinn und Heuchelei im Fußball. Sehr innovativ. Nächste Woche schreibe ich dann über zu spät kommende Züge und verknotete Kopfhörerkabel. 14.21 Uhr: Das Telefon klingelt. Ich gehe nicht ran – aus Angst, es könnte die Redaktion sein. Ich rufe einfach später zurück und behaupte, ich sei zur Recherche in einem Stadion. 14.22 Uhr: In einem Stadion? Freitag mittags um halb drei? Das glaubt mir doch kein Mensch! 14.23 Uhr: Ich suche im Internet nach „Stadiongeräusche“. 14.42 Uhr: Ich finde heraus, dass Mario Basler ein eigenes Bühnenprogramm hat: „Basler ballert“. Dort sitzt Mario Basler 90 Minuten lang auf einem Stuhl und macht idiotische Witze. Witze, über die alle Besucher herzlich lachen. Ich starre mit leerem Blick auf meinen Bildschirm. 15.04 Uhr: Wahllos setze ich Phrasen meiner Jugendtrainer zusammen und hoffe, dass diese irgendeinen Sinn ergeben: „Im Strafraum ist es wie in der Disco: Wer grätscht, verliert!“. Wer erzählt denn so etwas einem 13-Jährigen? Und was soll das überhaupt heißen? Um Himmels willen, wäre ich doch bloß ein bisschen mehr wie Mario Basler! 15.32 Uhr: In Gedanken versunken nehme ich aus Versehen einen Anruf aus der Redaktion entgegen, klicke anschließend panisch in meinem Browser herum. Statt Stadiongeräuschen erklingt ein Video, in dem Mario Basler lauthals seine Ex-Frau beschimpft. Ich lege schnell auf und schließe mich im Badezimmer ein. 16.04 Uhr: Ich erhalte eine E-Mail: „Hallo Herr Rehm, habe Sie telefonisch heute nicht erreicht. Leider muss Ihre Kolumne diese Woche ausfallen. Viele Grüße! PS: Schon mitbekommen: Mario Basler gibt sein Comeback in der Kreisliga – das könnte doch etwas für Sie sein!?“