Kaiserslautern Clueso: „Ich hatte einfach Lust auf etwas anderes“
„Neuanfang“ lautet der programmatische Titel des neuen Albums von Clueso, das am Freitag erscheint. Der Erfurter, bürgerlich Thomas Hübner, der schon mit Grönemeyer und Lindenberg tourte, hat neue Songs mit Ecken und Kanten vorgelegt. Thema sind auch seine Ängste und Zweifel. Auslöser: Clueso, der zuvor seine Alben und Tourneen selbst produzierte, zeitweise eigenfinanziert mit einer 70-köpfigen, meist aus Freunden bestehenden Crew, hat sich von seiner Band und seinem Manager getrennt. Und der 36-Jährige, der einst mit HipHop begann, verließ den „Zughafen“, das von ihm mitgegründete Studio und Künstler-Netzwerk mit WG-Anschluss in seiner Heimatstadt Erfurt. „Jeder lebt für sich allein“ heißt denn auch ein neuer Song, „Sorgenfrei“ ein weiterer.
Das kann ich nicht sagen. Wir waren eine großartige Band mit vielen tollen Bühnenmomenten. Es war eher so, dass große Fragezeichen im Raum standen, und ich mich von vielen Sachen getrennt habe, weil ich einfach Lust auf etwas anderes hatte. Ich stellte mir die essenzielle Frage, wie ich mich aus einer Fremdbestimmung lösen kann, ohne zu brechen. Ich wollte beweglicher und weniger Unternehmer sein, ich wollte auch mal wie ein Maler einen Monat lang auf einem Stuhl sitzen und die weiße Leinwand anstarren. Als frei schaffender Künstler weiß man oft nicht, wie viel der nächste Monat einbringen wird. Woher kriegen Sie die Zuversicht, die Sie in diesem Job brauchen? Mir geht es besser, wenn ich nicht die Verantwortung für andere habe. Es gibt Leute, die darin aufgehen, ein Unternehmen zu leiten. Ich aber weniger, ich bin lieber Musiker und ein bisschen freier. Was ist Ihnen wichtig in Ihrer Arbeit? Ich habe schon Lust, in den Zeitstrahl der Geschichte hineinzubeißen und etwas Eigenes zu hinterlassen, in dem die Menschen sich wiedererkennen können. Mit Leuten wie Udo Lindenberg und Wolfgang Niedecken war ich da schon sehr nahe dran. Aber ich würde dafür nicht alles andere beiseite schieben. Gibt es im Musikgeschäft echte Freundschaften? Das weiß man wahrscheinlich immer erst, wenn es hart auf hart kommt. Mit Udo Lindenberg zum Beispiel gab es bisher keine Situation, in der ich ihn wirklich gebraucht habe und er auch da war, unsere Beziehung ist eher musikalischer Natur. Aber selbst dann beweist sich eine Freundschaft. Ich kann Udo jederzeit anrufen und er würde mich sofort einladen. Mit ihm im Hyatt im Pool zu sitzen und wirklich mal über private Dinge und das Leben zu talken, war ein schöner Moment. Udo steht drauf, in Freundschaften ein bisschen Künstlermagie drin zu lassen. Er lebt das so. Wolfgang Niedecken ist da anders, er schreibt einem auch aus dem Urlaub. Welchen Rat holen Sie sich von älteren Kollegen wie Lindenberg oder Niedecken? Gerade mit einer Band erlebt man viele euphorische Situationen, das schweißt zusammen. Sich davon lösen zu wollen, ist also schon krass. Da habe ich natürlich um Rat gefragt. Wolfgang Niedeckens Rat lautete, man solle sich immer fragen, wofür man angetreten ist und wofür man heute noch steht. Wenn man darauf eine Antwort hat, wisse man eigentlich schon, was zu tun ist. „Du bist du“, sagte er. „Das kann dir keiner übel nehmen“. Haben Sie auch beim Musikmachen selbst etwas verändert? Vor allen Dingen habe ich bestimmte Dinge abgegeben, auch auf die Gefahr hin, dass es eher der Fingerabdruck des Produzenten sein wird als mein eigener. Im Studio gab es eigentlich nur den Produzenten Tobias Kuhn, den Drummer Tim Neuhaus und mich. Tobi sagte mir bereits bei der ersten Begegnung: „Ich will dein bestes Album machen“ und fragte mich im Studio immer: „Gefällt es dir? Ja. Dann lass es weg!“ Wir haben nach einer Nische gesucht, aber wir wollten keine neuen Rezepte erfinden. Welche klangliche Vision hatten Sie? Beim Einspielen der Songs fiel mir auf, wie schwierig es ist, so schmutzig zu klingen wie Tobi. Das gilt auch für mich: Ich kann sehr schlampig spielen, aber auch sehr genagelt. Manche Songs durfte ich gar nicht mehrmals singen, eigentlich konnte ich sie noch gar nicht, sie sind einfach passiert. Tobi fand es immer am besten, wenn es so hingerotzt war wie bei Rio Reiser. Dabei ist eine eigene Stimmfarbe herausgekommen. Ich habe dann viele Top-Mixer ausprobiert, was sehr viel Geld gekostet hat. Die haben wahnsinnig gut gearbeitet, aber ich hatte trotzdem immer etwas zu meckern. Ich wusste nur nicht genau, was mich störte. Michael Ilbert hatte schließlich den besten Sound. Es ging ihm und uns um eine Umschiffung der großen Stadionarchitektur, damit meine ich, schmutzig zu sein und trotzdem gut zu klingen. Sie wollen Geschichten erzählen, die erfunden, aber keine Lügen sind. Was bedeutet das? Ich erzähle erdachte Geschichten, aber darin fließt auch Autobiografisches mit ein. Manche Figuren entwickeln eine Eigendynamik. Damit sie funktionieren und auch bei mir eine Emotion erzeugen, muss ich sie manchmal von mir wegbewegen lassen, obwohl ich ihnen alles von mir mitgebe. Somit sind sie erfunden, aber gleichzeitig auch keine Lüge. Das habe ich von Dylan gelernt. Wie sehr sind Sie mit Dylans Werk vertraut? Dieses dicke Buch mit seinen Texten ist für mich wie eine Bibel. Ich schlage es immer wieder auf, weil ich Dylans Denkweise erfrischend finde. Gerade, wenn es bei mir mal hapert, schaue ich mir seine Texte an und denke: „Mach dir keinen Kopf, manche Sachen muss man nicht verstehen.“ Texte dürfen auch anecken und zwischen den Zeiten hin und her springen. Ich lese gern Musikerbiografien, wie die von Miles Davis, Neil Young, Anthony Kiedis, David Bowie, Patti Smith. Da ist viel zu holen. Sie haben ein Lied über den Affen Gordo gemacht, der 1958 als erster Primat ins All flog. Was interessiert Sie an diesem Thema? Mein zwei Jahre älterer Bruder und ich mochten zu DDR-Zeiten das Buch „Weltall Erde Mensch“. Darin gab es Aufklappbilder vom Kosmos mit Juri Gagarin, Sputnik, Wostok und den Tieren, die ins All geschickt wurden. Ein Affe, der eigentlich zurückkommen sollte, hieß Gordo. Er überlebte allerdings nicht, weil es Probleme mit dem Fallschirm gab und seine Kapsel im Meer versank. In dem Strudel voller Fragezeichen, in dem ich mich letztes Jahr befand, fühlte ich mich manchmal wie dieser kleine Affe in der Rakete. Ich wollte einfach nur runterkommen. Es war nicht die große Depression, aber es gab und gibt Momente, in denen man sich auf der Bühne fragt: „Ist das jetzt mein Beruf, hier oben zu stehen?“ Müssen man sich als Künstler immer wieder selbst hinterfragen? Ich mag unsichere Momente, solange man sich nicht verfängt. Dafür muss man sich halt irgendwo treu bleiben. Deswegen wahrscheinlich dieser Neuanfang. Sind Sie jetzt sorgenfrei? Nein, ich bin auch nicht angstfrei. Aber ich habe gerade eine gute Energie. Das Album —Clueso: „Neuanfang“ (Text&Ton/Universal), erhältlich ab Freitag —Anspieltipps: „Neue Luft“ (fluffig-optimistische Hymne), „Neuanfang“ (selbstbewusste Abrechnung mit dem alten Clueso: „Werf nicht mehr alles in einen Topf, Veränderung braucht einen klaren Kopf, will mich nicht schämen für ein bisschen Glück“), „Gordo“ (Cluesos Major-Tom-Variante) —Konzerte: 12. Dezember Tollhaus, Karlsruhe (ausverkauft), Hallentour 2017