Kaiserslautern Der große „Kleinmeister“
Für Komponisten, die im Schatten berühmter Zeitgenossen stehen, hat die Musikgeschichte bislang die vernichtende Klassifikation der „Kleinmeister“ eingeführt. Der an der Apostelkirche wirkende Konzertorganist Tobias Naumann widerlegt seit Jahren solche Vorurteile und wurde bei seinem Griff in die Schatzkammer von Raritäten am Samstag wieder fündig.
Wie wenig der Rang eines Komponisten letztlich im Einzelfall aussagt, zeigt sich am Beispiel Pachelbels. Ansonsten weniger bekannt, hat er mit seinem berühmten Kanon ein unvergängliches Meisterwerk geschaffen, das für alle erdenklichen Besetzungen bearbeitet wurde. Ähnlich verhält es sich mit dem von Naumann wieder entdeckten Franz Tunder (1614-1667). Der Schüler von Frescobaldi wirkte als Hoforganist bei Friedrich III. und gilt als Vertreter der Norddeutschen Orgelschule. Von seinen fünf erhaltenen Orgelpräludien stellte Naumann eines in g-moll vor, das reich an motivischer Arbeit, an melodischer Substanz und an kunstvoller Verarbeitung mit entsprechenden Durchführungen und Überleitungen dankbar auf eine solch aufpolierte Wiedergabe wartete. Durch Naumanns packenden Zugriff gewann das Präludium an spielerischer Emphase und gestalterischer Intensität. Auch die Choralfantasie zu „Komm heiliger Geist“ schien in der virtuosen Satzbehandlung und der Ausschöpfung der spieltechnischen Mittel seiner Zeit eher voraus. Ob im spielerischen oder in der harmonischen Entwicklung, Tunder griff die satztechnischen Finessen der Norddeutschen Orgelschule auf und Naumann setzte alles akribisch um. Als Vergleich brachte Naumann dann bedeutende Orgelwerke von Johann Sebastian Bach, an dem kein biographischer, programmatischer und interpretatorischer Weg vorbeiführt. Bei Naumann führt alles von Bach weg oder zu ihm wieder hin. Diesen fließenden Kreislauf stellte er auch mit Bachs Gattungspaar aus Präludium und Fuge in A-Dur sowie C-Dur vor. Diese standen neben weiteren Choralbearbeitungen Bachs im zentralen Mittelpunkt des Konzertes und waren Klangbeispiele nicht nur für Bachs hohe Meisterschaft, sondern zugleich auch Indizien für den erstaunlichen Reifeprozess des sich unermüdlich nach oben arbeitenden Konzertorganisten. Mit Präzision bis ins kleinste motivische Detail, mit interpretatorischer Spannkraft und niemals nachlassender Intensität übertraf sich Naumann dieses Mal selbst. Mutete das Konzertprogramm bis dahin wie ein interessantes klingendes Kompendium der Barock-Literatur an, so sorgte Naumann für den bei ihm typischen Ausklang. Mit seiner Idee der „Klassik Hits“ präsentiert er dabei immer wieder klassische Ohrwürmer, die er für die Orgel entdeckt und adaptiert. Am Samstag lockte er mit dem „Prince of Denmark’s March“ von Jeremiah Clarke als Rausschmeißer aus der Reserve und zuvor versöhnte Bachs Air aus einer Orchestersuite durch ihren ausgekosteten melodischen Liebreiz.