Kaiserslautern „Die Angst, was zu verpassen“
Mit Erinnerungen im Kopf und einer Träne im Auge oder aus purem Interesse an einer verlassenen Industrieanlage mit dem Fotoapparat in der Hand, schlenderten gestern beim Tag der offenen Tür erneut zahllose Menschen über das Pfaff-Gelände.
Der zweite Tag der offenen Tür ziehe sogar noch mehr Leute an als der erste im vergangenen Jahr, vermutete der Geschäftsführer der Pfaff-Areal-Entwicklungsgesellschaft (PEG), Stefan Kremer, angesichts des Ansturms. Eine Stunde vor der offiziellen Öffnung des Geländes hatten bereits die ersten Leute vor dem Tor gestanden. Kremer nahm dies als ein Indiz dafür, dass die Verbindung von Besichtigung mit Kultur und Genuss der richtige Ansatz ist. Damit die Leute weiterhin miterleben können, wie sich der Stadtteil entwickelt, könne Kremer sich künftig alle zwei Jahre einen Tag der offenen Tür vorstellen. „Furchtbar“, entfuhr es Hermann Jung beim abschließenden Blick auf das Pfaff-Gelände. Hier hatte er den Beruf des Maschinenschlossers gelernt, danach in der Produktion gearbeitet und nur positive Erinnerungen an 24 schöne Jahre in einem Betrieb, in dem man sich habe hocharbeiten können. Sein erster Arbeitstag war ihm ebenso präsent wie sein letzter. Gestern hat er das Gelände zum ersten Mal wieder betreten. Anders Steffen Erfort, der in der Lehrzeit als Dreher bei Pfaff Jung kennengelernt hat. An seiner Pfaff-Zeit sei dies das einzig Positive gewesen, sagte der Mann, der später lieber einen Pflegeberuf ergriffen hat. Er konnte sich vorstellen, viele der Gebäude auf dem Gelände als Industriedenkmal zu erhalten. Abreißen oder erhalten: Darum ging die Debatte in einem anderen Kreis von Besuchern. „Von mir aus können sie das alles abreißen, ich sehe hier nichts Erhaltenswertes“, argumentierte ein ehemaliger Pfaff-Lehrling. „Doch“, konterte sein Gesprächspartner – ausgerechnet ein Mann ohne persönlichen Bezug zu Pfaff: In der Stadt sei schon so viel kaputt gemacht worden. Eine Gruppe junger Leute ohne jegliche Beziehung zu Pfaff hatte sich zum Tag der offenen Tür dort verabredet, einfach nur um mal die alten Gebäude anschauen, zu sehen wie damals gearbeitet wurde und auch mal zu gucken, was auf dem Programm steht. Auf dem Programm stand an dieser Stelle hinter dem Speisesaal das „Labadu“-Theater der Lebenshilfe mit einer Kurzversion von „Die Schöne und das Biest“. „Ja, so war’s emol“, seufzte ein ehemaliger Pfaffianer beim Rundgang durch die Hallen 80/81: zwei Stechuhren, eine alte und eine modernere Version, ein verstaubter Schaltkasten, die Tür offen; dazu überall rostige Stahlträger, die Farbe abgeplatzt, der Bodenbelag teilweise aufgerissen. Wie hier und da in Hallen und auf dem Gelände Skulpturen postiert waren, das kam bei den Besuchern genauso gut an wie die expressiv-abstrakten Acryl- und Aquarellmalereien von Verena Grund im Alten Kesselhaus. Hoch auf seiner Leiter vor dem ehemaligen Kohlebunker legte dazu der bekannte Graffitikünstler Carl Kenz letzte Hand an ein buntes Frauenporträt, für das er zuvor extra die alte dreckige Wand sauber gemacht hatte. Die Schlemmermeile brummte fast schon mit Volksfestcharakter. Dennoch waren es nicht Kultur und Genuss, die dem Pfaff-Gelände gestern den Besucherandrang brachten. „Es ist die Angst, das zu verpassen; dass es irgendwann einfach nicht mehr da ist“, sagte eine Besucherin.