Kaiserslautern Die Braut lässt die Party platzen

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Die Musikwelt feiert Claudio Monteverdi – und die Schwetzinger Festspiele feiern mit. Der Urvater der Oper wurde vor 450 Jahren in Cremona geboren, wir kennen allerdings nur das Taufdatum: 15. Mai 1567. Zwar ist ein Teil seiner Kompositionen verloren, überliefert ist uns doch eine Opern-Trias, die in diesem Jahr auch eine zyklische und halbszenische Aufführung im Schwetzinger Rokoko-Theater erlebt. Den Anfang machte „L`Orfeo“. Verantwortlich für eine musikalisch mustergültige Umsetzung war das italienische Ensemble „La Venexiana“ unter Leitung von Davide Pozzi.

So viel Monteverdi war noch selten in Schwetzingen – an einem Ort, der mit Schlosspark und Rokokotheater ja wie geschaffen ist für diese Werke aus einer der spannendsten Wende- und Umbruchzeiten der Musikgeschichte. Das Jahr 1600 ist eine tiefe Zäsur. Die mittelalterliche Mehrstimmigkeit mit ihrer polyphonen Stimmführung macht Platz für eine Musik, die nicht mehr horizontal, sondern vertikal gedacht ist, die nicht mehr mehrere Stimmen gleichberechtigt über einem Bass nebeneinander laufen lässt, sondern eine führende Melodiestimme herausbildet, die von Akkorden gestützt wird. Verkürzt gesagt: Der Kopf wird zwar nicht ersetzt, aber doch zumindest ergänzt durch den Bauch, der Verstand durch das Gefühl. Es geht nicht mehr nur um den fehlerfreien musikalischen Satz, möglichst kunstvoll gestaltet, sondern um den Ausdruck von Gefühl und Leidenschaften, von Liebe, Schmerz, Trauer, Hass. Claudio Monteverdi war der erste Komponist, der uns Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne stellte, mit denen wir leiden, die uns zu Tränen rühren. So wie den Sänger Orpheus aus der griechischen Mythologie. Er steht nicht zufällig am Beginn der Geschichte der Oper. Nicht nur bei Monteverdi, dessen „Orfeo“ 1607 in Mantua, wo er als Hofkapellmeister angestellt war, uraufgeführt wurde. Sieben Jahre zuvor wird in Florenz die erste erhaltene Oper der Musikgeschichte erstmals gezeigt: Jacopo Peris „Euridice“. Anderer Titel, selber mythischer Stoff. Und das ist kein Zufall. Der Sänger der Mythologie half quasi über eine Absurdität hinweg, die der Oper immanent ist. Bis heute. Menschen stehen sich auf einer Bühne gegenüber, begrüßen, beschimpfen, beraten oder bemitleiden sich. Und singen! Man stelle sich vor: Wer kommt schon in ein Zimmer und singt ein kräftiges „Guten Tag“? Das ist dann doch sehr unwahrscheinlich. Und auf die Nachvollziehbarkeit, die Wahrscheinlichkeit kam es gerade den Gründervätern der Oper besonders an. Was also lag da näher, als einen Sänger zur Hauptfigur zu machen. Der tut halt eben in der Opernhandlung auch genau das, was man von ihm erwartet: Er singt. Und wie. Im Zentrum der Oper steht seine große Szene an der Pforte zur Unterwelt. Der Fährmann Caronte will ihn nicht übersetzen. Doch Orfeo singt ihn mit der ersten Bravourarie der Musikgeschichte in den Schlaf. Luca Dordolo verfügt in der Titelpartie sowohl über die geläufige Stimme, um die Melismen (auf einer Silbe wird eine ganze Tonfolge gesungen) sauber umzusetzen, als auch über dramatische Intensität, um uns zutiefst zu berühren. Was dann in seiner verzweifelten Klage über den endgültigen Verlust der geliebten Euridice nochmals gesteigert wird. Das von dem Countertenor Claudio Cavina gegründete Ensemble „La Venexiana“ besteht aus außergewöhnlichen Sängern. Kein Wunder, schließlich haben sie mit Referenzaufnahmen der Monteverdi-Madrigale angefangen. Da das Ensemble den gesamten Zyklus gestalten wird, werden sie uns also noch häufiger begegnen. Deswegen seien hier nur die großartige Giuseppina Bridelli als Botin, oder auch Emanuela Galli, die sowohl die Partie der Euridice als auch die der allegorischen Musica-Figur übernommen hat, erwähnt. Über einen tiefschwarzen, volltönenden Bass verfügt Salvo Vitale als Caronte. Die szenische Einrichtung Francesco Puleos verlegt das Geschehen in eine hippe Party der Jetztzeit. Man schlürft Sekt, raucht Zigaretten, macht Selfies. Aber offensichtlich kneift die Braut am Tag der Hochzeit. Die Suche nach ihr verläuft für den gefoppten Bräutigam eher suboptimal. Am Ende kommt es dann zwar nicht gerade zu Apotheose und Himmelfahrt des zutiefst verletzten Orfeo. Er geht vielmehr mit einem Kumpel einen trinken. Das passt wunderbar zur Musik. Streicher und Holz sitzen vor der Bühne, Blech (inklusive zweier Zinken) in einer der oberen Logen. Es entstehen so aparte Echoeffekte. Aber mit Davide Pozzi am Pult unterstreichen die Musiker auch die Modernität Monteverdis. Seine Musik reicht an manchen Stellen über die nachfolgenden Epochen Barock und Klassik hinaus. Das klingt nachgerade heutig, groovt und moovt. 450 Jahre jung, dieser Monteverdi.

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