Kaiserslautern Elektroschocks für Regelverstöße

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Was „Ring“ und „Parsifal“ für das Bayreuther Festspielhaus, das sind die „Meistersinger“ für das Münchner Nationaltheater. Stück und Theater gehören eng zusammen. In dem klassizistischen Opernhaus wurde Wagners Musikdrama 1868, also vor fast 150 Jahren, uraufgeführt. Die jüngste Produktion, die jetzt Premiere hatte, ist musikalisch glanzvoll, szenisch ganz im gängigen Stil der Gegenwart und (deshalb) eher unspektakulär.

David Bösch verlagert die „Meistersinger“ aus dem spätmittelalterlichen Nürnberg in ein heruntergekommenes Wohnviertel der Jetztzeit. Bühnenbilder wie das von Patrick Bannwart sind zur Stunde sehr beliebt und deshalb eigentlich ziemlich beliebig geworden. In einem Großteil des zweiten Aktes sah es in Tobias Kratzers Karlsruher Produktion von 2014 ähnlich aus. Heruntergekommen ist aber nicht nur das Ambiente, auch die Meister sind – mit Ausnahme des Medienunternehmers Pogner – eher sozial schwach. Sachs zum Beispiel betreibt einen mobilen Schuster-Service in einer alten Rostlaube. Selbst Stolzing erscheint als fahrender Rocker. Natürlich bietet so eine kaputte Welt den Anlass, in der Prügelszene des zweiten Aktes die Lage einer unterprivilegierten und gewalttätig werdenden Jugend zu thematisieren. Brutal geht es schon in der Singschule zu, wenn der Prüfling für Regelverstöße mit Elektroschocks gequält wird.Deutsche Sangeskultur und die Rezeptionsgeschichte der Oper sind Motive, die in Videosequenzen (Falko Herold) abgearbeitet werden können. Dabei bleibt es bei kurzen Schlaglichtern. Das deutschnationale Finale wird erst durch schemenhaft sichtbare NS-Feiern kommentiert, dann ist Mattscheibe und es grieselt nur noch auf der Leinwand. Keine festliche Freude zum Schluss, im Gegenteil, der geschmähte Beckmesser taucht mit der Absicht wieder auf, Sachs zu erschießen, entscheidet sich dann aber für den Suizid. Eva und Walther haben da schon längst das Weite gesucht. Der stark alkoholisierte David muss sich übergeben und hat (zum Glück) den Siegespokal zur Hand. Die neuen Münchner „Meistersinger“ haben einen schrägen, manchmal schrillen Humor – und viel Aktion. Böschs Personenregie ist lebendig und sorgt für pralles Theater. Zugleich setzt er kritische und hinter-, ja abgründige Akzente. Was freilich fehlt, ist der rote Faden, der das alles verbindet. Und vermisst wird auch ein wirklich origineller Zugang in Optik und Dramaturgie. Diese Inszenierung bleibt letztlich Dutzendware der heutigen Opernregie. Das kann nun von der musikalischen Einstudierung in keiner Weise gesagt werden. Schon das Vorspiel zeigt nicht nur die sagenhafte Spielkultur des Bayerischen Staatsorchesters. Es macht von Beginn an die phänomenalen Züge der Interpretation von Kirill Petrenko deutlich. Wie beim „Ring“ in Bayreuth, so begeistern auch hier die detailgenaue Gestaltung eines jeden Motivs, der Fluss und die Innenspannung seiner Wiedergabe sowie die Verbindung von Klangschönheit und bestechender Transparenz im Satz. Gewaltig ist die dynamische Spannbreite mit ihren vielen Nuancen im Pianobereich, der auch den Sängern die glückliche Gelegenheit zum leisen Singen ermöglicht. Zudem lässt Petrenko immer wieder sonst vernachlässigte Stimmen hören. Wolfgang Koch ist der Hans Sachs in dieser Produktion. Er gibt ihn eher handfest und hemdsärmelig und singt in genauer und pointierter Diktion, nicht ganz ohne Konditionsprobleme, aber immer mit großer Präsenz. Jonas Kaufmann als Stolzing ist mit Recht der Star im Ensemble. Seine Stimme entfaltet in jeder Phase ihren vollen Wohllaut. Der Tenor bietet in idealem Maße den von Wagner gewünschten deutschen Belcanto, kann auch – dank Petrenko am Pult – seine lyrischen Qualitäten zeigen. Sara Jakubiak ist eine unbekümmerte, ja feurige Eva, ein lebenshungriges junges Mädchen, und singt mit brillantem Sopran. Markus Eiche stellt den Beckmesser trotz aller Comedy-Elemente als eher traurige Figur vor – und er singt ihn an den passenden Stellen auch ausgesprochen schön. Zu den großen Stützen gehört auch der sicher und prachtvoll singende Staatsopernchor in der Einstudierung von Sören Eckhoff. Großer Jubel für das Ensemble und den Dirigenten, auch einige Buhs für das Regieteam. Info Vorstellungen am 22., 26. und 29. Mai sowie 4. Juni, www.staatsoper.de

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