Kaiserslautern Johnny Cash und Doktor Faust

Intendantenwechsel in Ludwigshafen: Auf Heyme folgt Gersch. Hansgünther Heyme, bald 80-jährige Theaterikone, hatte Ludwigshafen zehn Jahre lang aufgemischt mit Festspielen, Etatüberziehungen, kroatischem Büchner und komplettem „Ring“. Tilman Gersch ist 30 Jahre jünger und erstmals Theaterleiter. Frischen Wind soll er ins Theater im Pfalzbau bringen, kriegt aber erst mal Gegenwind.

In sein Büro darf er noch nicht. Tilman Gersch tritt seinen Job offiziell ja auch erst am 1. Januar an. So lange hat im Theater im Pfalzbau noch Hansgünther Heyme das Sagen und das Intendantenbüro besetzt. Gersch hat sich im „Musikeraufenthaltsraum“ provisorisch eingerichtet. Platz gibt es da genug, vorne stapeln sich Stühle, hinten ist nichts, dazwischen Gersch im Anzug, mit Tisch, Telefon, Kaffeekanne und jeder Menge Arbeit. Einen Schal hat er um den Hals geschlungen, als drohe ein Kälteeinbruch. Es gibt schon Leute, die meinen, der Neue, der noch gar nicht angefangen hat, sei nicht der Richtige für Ludwigshafen. Das hat mit der für Theater typischen Umbruchsituation zu tun. Wie jeder neue Theaterleiter will Gersch vieles anders machen, will das Gastspielprogramm verändern, neue Festivalwochen kreieren und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen neu ordnen. Bestehende Projekte wie den Choreografie-Wettbewerb „No Ballet“ und das Jugendtheater JUST hat Gersch deshalb aufgekündigt. Das hat einigen nicht gefallen, Eltern haben Unterschriften gesammelt, Kinder Protestplakate hochgehalten. Gersch schaut verzweifelt: „Ich wollte doch das Kindertheater nicht abschaffen, aber ich kann nur Neues machen, wenn ich Bestehendes beende.“ Alle Ludwigshafener Schulen habe er angeschrieben, will dort sein Konzept vorstellen und um Mitarbeit werben. Dabei ist das Kindertheater, über das jetzt so viel geredet wird, nur ein Nebenschauplatz. Im Zentrum stehen die Festspiele, die Heyme als kompaktes Herbstereignis mit überregionaler Strahlkraft erfunden hat. Daran will Gersch auch nicht rütteln, nur die Inhalte verändern, den Tanz zurückfahren, der in diesem Jahr das Programm dominiert, und ein paar niederschwellige Angebote einbauen. So sagt es Gersch natürlich nicht, sondern spricht davon, dem Publikum „Populäres mit Herz und Seele“ anzubieten. Ein Johnny-Cash-Musical beispielsweise soll den 1200 Zuschauer fassenden Theatersaal gleich an mehreren Abenden füllen, dafür sollen avantgardistische Tanzabende vor 100 Zuschauern möglichst nicht mehr vorkommen. Zwischen den Ensemblebühnen der umliegenden Städte habe der Pfalzbau „das Alleinstellungsmerkmal als das wichtigste Gastspielhaus in der Region“, hält Gersch fest. Daran will er arbeiten. Man darf sich den bald 50-jährigen Theaterleiter nun nicht als einen kühl rechnenden Kulturmanager vorstellen. Die Programmpläne, die er andeutet, reichen von prominent besetzten Inszenierungen führender deutscher Bühnen über eigene Inszenierungen, einem Festival zum Thema Migration bis zu einem breitgefächerten Angebot für Kinder und Jugendliche in der Stadt. Gersch plant also beileibe kein seichtes Tourneeprogramm, aber eben doch „Theater, zu dem die Leute auch hingehen“, sagt er. „Was ich erreichen möchte, ist ein gutes Verhältnis von Avantgarde und Populärem.“ Wie viele seiner Ideen er schon bei den Festspielen 2015 realisieren kann, weiß er noch nicht, auf jeden Fall will er dort in einer Werkschau das Deutsche Theater Berlin mit fünf Inszenierungen und vielen prominenten Schauspielern präsentieren. Gerschs Theaterkarriere begann bodenständig an der Basis. In Ostberlin aufgewachsen, arbeitete er erst einmal zwei Jahre lang als Bühnentechniker am Deutschen Theater. Es folgte ein Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, anschließend war er fester Regisseur an kleinen Bühnen in Berlin und Greifswald. 14 Jahre lang inszenierte er dann als freier Regisseur in Leipzig, Hannover, Göttingen und am Thalia Theater in Hamburg. Zuletzt war er sieben Jahre Mitglied der Schauspielleitung am Staatstheater Wiesbaden. Inszeniert hat er dort vor allem klassische Dramen, aber auch neue Stücke, 22 insgesamt. Zuletzt zeigte er Goethes „Faust“ recht unterhaltsam mit Wassergeplansche und Gretchen in Gummistiefeln. Seinen „Faust“ will Gersch mit nach Ludwigshafen bringen und bei den Festspielen 2015 zeigen. Auch eine neue Gersch-Inszenierung soll ins Programm, eine Bearbeitung zweier Antikriegsromane von Gerd Leding aus den 1950er Jahren: „Faustrecht“ und „Vergeltung“, eine Kooperation mit dem Staatstheater Karlsruhe. Und in Ludwigshafen inszenieren will er auch: ein Sophokles-Projekt mit jugendlichen Straftätern. Man habe ja schließlich „einen inszenierenden Intendanten“ gewollt, unterstreicht Gersch, auch wenn er sich im Moment eher als „Gastspielorganisator“ fühle. Aktuell ist er mit dem Festival „Heimathafen international“ beschäftigt, das soll bereits Ende Februar Theaterstücke zum Thema Migration in den Pfalzbau bringen. „Es sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr“, unterstreicht er die Wichtigkeit des Themas. Die Finanzierung ist allerdings noch offen, Gersch hofft auf EU-Fördergelder, ansonsten soll es das Festival in reduzierter Form geben. „Wir riskieren da ziemlich viel“, meint der künftige Intendant. Die Etatsituation in Ludwigshafen ist insgesamt nicht einfach. Der Theateretat liegt bei vier Millionen Euro, Landeszuschuss und BASF-Sponsoring mitgerechnet. Fürs Programm bleiben 1,6 Millionen. Dass für 2015 bereits die Hälfte davon für Tanz verplant sei, mache die Sache nicht einfacher, sagt Gersch, der eine Vielzahl potenzieller Sponsoren abgeklappert hat – mit mäßigem Erfolg. Und einen Umzug muss er auch noch bewältigen, mit Frau und vier Kindern geht es von Wiesbaden in den Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim.

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