Kaiserslautern Kunst der Innerlichkeit
Ernst Bloch und die Musik: Ein Symposium mit dem Titel „(Ton-)Spurensuche“, das sich zuletzt im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum der Bedeutung der Musik in Blochs Philosophie gewidmet hat, gibt Anlass, Überlegungen zum Verhältnis von Musik und Utopie anzustellen.
Seine Inszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ am Ludwigshafener Theater im Pfalzbau hat Hansgünther Heyme seinerzeit unter ein Zitat Ernst Blochs gestellt. Auf dem Vorhang der Hoffnung stand da zu lesen: „Dahinter die Tagträume einer immerhin gestaltbaren Möglichkeit.“ Blochs Hochschätzung von Wagners utopischer Kraft, insbesondere in dessen „Ring“, ist indessen nicht so eindeutig, wie es das Motto nahelegt. „Geist der Utopie“, dessen erste Fassung während des Ersten Weltkriegs entstand, versteht Wagners Musik zwar als „transzendente Oper“, widmet allein „Tristan und Isolde“ mehrere in den höchsten Tönen gehaltene Seiten und bringt eine Hochschätzung des „Parsifal“ zum Ausdruck. Jedoch gerade dem „Ring“, diesem Opernzyklus um die Gier nach Macht und Gold, begegnet Blochs Frühwerk nur unter großen Vorbehalten. Der „Ring“, so heißt es, sei „rettungslos dem Traum des bloßen Naturwillens ausgeliefert“. Denn „fast nur die Gier will tönen“. Es „tönt nur triebhaft getrieben“. Kurz, mit einem (unsäglichen) Wort, und das über 30 Jahre später entstandene „Prinzip Hoffnung“ wird es wiederholen: Wagners Musik ist „untermenschlich“ und insbesondere der „Ring“ „subjektlose Tierlyrik“. Wagner bildet so zwar in Blochs heillosem Versuch, eine Geschichtsphilosophie der Musik nach Hegelschem Fortschrittsmuster aufzustellen, wie ihn der „Geist der Utopie“ unternimmt, den Schlusspunkt in einer Reihe mit Mozart, Bach und Beethoven. Doch Wagner weiß Bloch zufolge „nichts über die Gegenstandsbeziehung Beethovens oder Bachs oder gar der ungeahnt expressiven Zukunft angelangter Musik überhaupt“, nämlich Beethovens „rhythmisches Empor“ und Bachs „Gesang der geistlichen Seele“. Den seines Erachtens Schuldigen an dieser Naturverfallenheit der Musik Wagners und ihrer „zutiefst unchristlichen Mystik“ nennt Bloch auch beim Namen: Arthur Schopenhauer und seinen musiktheoretischen Einfluss auf den Komponisten Richard Wagner. Auf dem Symposium in Ludwigshafen stellte Reinke Schwinning nun sein Dissertationsprojekt bei dem Tagungsleiter Professor Matthias Henke von der Universität Siegen über „Bloch und das Ding an sich in der Musik“ vor. Thomas Kabisch, Professor an der Hochschule für Musik Trossingen, fasste die These der Dissertation so zusammen, dass Bloch bestrebt sei, absolute Musik umzuinterpretieren, die Verbindung Wagner und Schopenhauer aufzulösen, um sie durch die Verbindung Wagner und Bloch′sche Utopie zu ersetzen. Die These wäre jedoch noch weiter zuzuspitzen. Denn darüber hinaus ist Bloch bemüht, Schopenhauers gesamte Philosophie der Musik utopisch zu vereinnahmen und umzubilden. In diese Richtung weist auch das Projekt einer anderen Doktorandin an der Universität Siegen. Larissa Berger beschäftigt sich mit Blochs nur wenige Seiten zählendem Aufsatz „Über das mathematische und dialektische Wesen in der Musik“ von 1925. Darin versucht Bloch zu zeigen, dass das Wesen der Musik nicht in der Mathematik als dem Schlüssel zur Natur zu suchen sei, sondern in der Dialektik, das heißt für Bloch in einer spekulativen, die Natur transzendierenden Sphäre. „Geist der Utopie“ definiert Musik so als „Pfand des Drüben“. In der Musik als der Kunst der Innerlichkeit begegnet laut Bloch das Ich sich selbst und fasst im Dunkel des gelebten Augenblicks eine Ahnung vom Jenseits. „Das Geisterreich der Musik“, wie Bloch sagt, ist daher „grundsätzlich erhaben über Schopenhauers Heidentum“. Während für Schopenhauer die Musik der reinste Ausdruck des Wesens der Welt als des ewigen unersättlichen Willens ist, ständig zwischen Wunsch und Langeweile hin und hergerissen, strebt Bloch die Überwindung von Welt und Weltlichkeit an. Wenn der Hamburger Publizist Roger Behrens daher auf der Tagung fragte, was eigentlich das Utopische bei Bloch sei, da es keinen Begriff von ihm gebe, muss die Antwort lauten: Blochs Utopie ist nicht von dieser Welt, seine heilige Cäcilie wohnt in Wolkenkuckucksheim. Wenn diese Utopie später bei dem Marxisten Bloch bisweilen konkret wird, rutscht sie daher leicht ins schwärmerisch Ideologische, die Wirklichkeit Verklärende ab, so in Blochs Losung „Ubi Lenin, ibi Jerusalem“. Marxismus wird zum Religionsersatz, Leninismus zu Opium für das Volk. Eine weitere Tagung zur wenig erforschten Musikphilosophie Blochs könnte sich diesem Thema widmen, wie der Stellenwert der Musik in Blochs Ästhetik sich durch die marxistische Wende geändert hat. Die jetzige Tagung stand unter keinem Oberthema, die Wissenschaftler brachten ihre Spezialthemen ein. Joachim Lucchesi von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg trug eine erweiterte Fassung seiner Rede vor, die er 2010 im Bloch-Zentrum gehalten hat und die im selben Jahr im Bloch-Almanach abgedruckt worden ist. Matthias Henke beschäftigte sich mit dem Einfluss Blochs auf Ernst Krenek und Friederike Wißmann vom Konservatorium Wien mit dem Verhältnis zwischen Ernst Bloch und Hanns Eisler. Aus der Reihe tanzte Roger Behrens. Sein Vortrag über „Sound, Pop, Utopie“ ging von der Offenheit Blochs für Jahrmarkt, Kolportage und Massenkultur aus und davon, wie Bloch im „Prinzip Hoffnung“ aus deren Kern den Wunsch nach utopischer Überschreitung der Wirklichkeit entwickelt. Behrens′ fast schon verzweifelter Befund lautete jedoch, dass der Kapitalismus mit seiner Schundkultur zu seiner eigenen Utopie wird. „Alle Kultur wird Ware und die Ware selber etwa in der Popart wieder zur Kultur erhoben“. Auch diese scheinbar unaufhebbare Endlosschleife bildet also einen geschlossenen Kreislauf der Verblendung. So, wie Wagners „Ring des Nibelungen“.