Kaiserslautern Power, Power und nochmals Power
Am Freitag- und Samstagabend gingen im Kulturzentrum Kammgarn die zweite und dritte Etappe des Bluesfestivals über die Bühne. Die zweite am Freitag war die Bergetappe. Der wieder gesundete Walter Trout spielte frisch von der Leber weg. Er war einfach atemberaubend. Aber auch die Groove Cookies aus der näheren Region und Jim Kahr aus Chicago wussten die 800 Bluesfans zu begeistern.
Er ist wieder da! Schlank und rank steht er auf der Bühne. 60 Kilogramm habe er nach seiner Lebertransplantation im Februar 2014 abgenommen, bekennt Walter Trout, der beim Bluesfestival vor drei Jahren sterbenskrank ein sensationelles Konzert geliefert hatte. Aus Verbindung zur Kammgarn hat der 65-Jährige seine England-Tournee unterbrochen, um hier sein einziges Konzert in Deutschland zu geben. Überfallartig legt er los. Den Gitarrenverstärker dreht er so weit auf, dass einem Hören und Sehen vergeht. Es scheint, als habe er seinem Instrument das Sprechen beigebracht. Die Saiten winseln und schreien, stoßen Schmerzensschreie aus. Wenn er seine Gitarre senkrecht nach oben hält, bringt er sie zum Singen wie einst B. B. King. Diese Lichtgestalt des Blues bringt er mit dem Titel „Say Goodbye To The Blues“ eine wunderbare Hommage, die zum Höhepunkt des Abends wird. Trout beginnt mit einem Greifhand-Vibrato. Zweiunddreißigstel- Noten schüttelt er locker aus dem Handgelenk. Schnelle, kurze Vibratos und langsame, Sustain-artige mit Nachklingeffekt wechseln sich ab. Mit kräftigem Verziehen der Saiten modelliert er jede einzelne der sparsam gesetzten Noten. Kurze Statements, die oft als Fill in die Gesangspausen integriert werden, bauen damit das für den Blues typische Frage- und Antwort-Spiel auf. In einer Mischung aus Leidenschaft und Spontaneität und zusammen mit einer außergewöhnlichen Phrasierung und seiner Liebe zum Ton baut er allmählich einen unglaublichen Spannungsbogen auf, der in einem brachialen Soundozean seinen Höhepunkt findet. Die Gänsehaut kriecht dem Hörer bis in den Nacken. Zum Höhepunkt kommt das Konzert, als der Moderator Michael Hill, eigens aus New York City eingeflogen, sich mit Walter Trout einen Saitensprung erlaubt. Wie sie da die Gitarre klingen lassen! Wie eine Glocke. Die Töne sind so kurz und schön, dass es weh tut. Aber dann kreischen die Saiten wie startende Triebwerke. Wie ein Generalangriff auf das Trommelfell. Und die beiden spielen wie ein ganzes Rockorchester, während Trouts Begleiter Sammy Avila an der Hammond B3, Johnny Griparic am Bass und Michael Leasur am Schlagzeug noch Öl ins Feuer gießen. Die Menge rast vor Begeisterung. Weitaus mehr als nur Aufwärmer waren die „Groove Cookies“ aus Saarbrücken, die den Abend eröffneten. Diese „Plätzchen“ waren alles andere als süß, vielmehr gepfeffert und gesalzen und sollten eigentlich Magic Cookies heißen, weil sie mit Songs von Stevie Ray Vaughan, Jimi Hendrix, Led Zeppelin oder Ike and Tina Turner die Stimmung ganz schön anheizten. Wie eine wild gewordene Dampframme spielte der Gitarrist Gerhard Hoff auf und bestach dabei mit seinem stilistischen Vokabular. Christian Konrad zupfte den Bass sensationell und brodelte und vibrierte mit den flinken Händen wie ein Zitteraal. Zusammen mit Markus Lauer am Keyboard und dem Lauterer Kurt Landry am Schlagzeug sorgten sie für einen unwiderstehlichen Groove, wobei Lauer sich und das Publikum mit der ungeheuren Dynamik der Orgel und ihren Fortissimo-Möglichkeiten berauschte. Sensationell die Stimme von Rick De Soto, der fünf Jahre in Los Angeles lebte und im Vorprogramm von Queen und Freddie Mercury sang. Ähnlich wie der Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant intonierte er mit extrem hoher Bruststimme und sang sich dabei wiederholt in Ekstase. Der Absacker mit dem Jim Kahr Quartett war wie ein eleganter Whisky, dessen feines Aroma einem auf der Zunge brennt. Der 64-jährige Gitarrist aus Chicago bestach mit herrlich singenden Tönen und authentischer Urwüchsigkeit, was seinen Blues authentisch machte. Aber auch mit Effekten wie Bending, Sliding oder dem Fingervibrato wusste er lässig, aber gekonnt umzugehen. Nicht nur viel Abwechslung, sondern auch einen ganz besonderen Sound brachte Michelle Labonte mit ihrem Altsaxophon auf die Bühne, die mit ihrer Ausdrucksstärke an Candy Dulfer erinnerte. Insgesamt war auch diese Band ein spektakuläres Ereignis mit kollektiver Expressivität. Die letzte Etappe des Bluesfestivals am Samstag war der Tag der Neuentdeckungen, der jungen Himmelsstürmer. Sowohl das Trio „Simo“, die jungen Wilden aus Nashville, Tennessee, als auch die spanische Formation „The Excitements“ verblüfften die rund 500 Besucher mit Power, Power und nochmals Power. Die englische Band „The Brew“ hingegen hatte schon bessere Konzerte in der Kammgarn abgeliefert. Der satte Sound des Trios „Simo“ übergießt die Hörer auf Anhieb, überfällt sie buchstäblich wie ein Blitzgewitter. Die drei Lockenköpfe scheinen unter Strom zu stehen. Sie prügeln ihre Instrumente, das Drum-Gewitter des Schlagzeugers Adam Abrashoff prasselt über die Köpfe hinweg. Der Bassist Elad Shapiro bearbeitet seine vier Saiten, als wolle er mit Nico Rossberg in Konkurrenz treten, und der junge Himmelsstürmer J. D. Simo erweist sich als ein High-Speed-Gitarrist, der nicht nur Zweiunddreißigstel-, sondern sogar Vierundsechzigstel-Noten aus seinem Instrument zaubert und dabei einen Sound erzeugt, als wolle er drei Ster Holz sägen. Reinster jugendlicher Übermut ist das. Zehn Minuten lang geht das so mit dem Titel „I’d Rather Die in Vain“. Immer Volldampf voraus. Mittels Rückkoppelung bringt der 21-Jährige die Saiten derart in Schwingungen, dass er oft lange Zeit nur mit der Griffhand spielen kann. Simo versteht aber auch mit lyrischer Intensität zu bezaubern. Wie in „Today I’m Here“. Und wie er da präsent ist! Explosionen mit kurzen Schauern von Einzeltönen wechseln ab mit funkelnden Verzierungen und pulsierenden Riffs. Stahlhart und gleichzeitig zart singend klingt das. Simo liebt die krassesten Extreme. Und er erzeugt einen Sound, den man bisher noch nicht gehört hat. Ist das der Blues des 21. Jahrhunderts? Die Endlos-Power ermüdet allerdings auf Dauer. Simos Spielkultur ist hoch, das Songwriting entspricht allen Erwartungen des Genres. Das Trio greift aber auch tief in den Klischeetopf. Trotzdem: Dem Blues-Star der nächsten Generation darf man eine große Zukunft voraussagen. Mit derselben Nonstop-Virtuosität wartet das Trio „The Brew“ aus der nordenglischen Bäderstadt Grimsby auf. Wie „Simo“ drei Hochleistungssportler mit Endlos-Power. Ihre Ergüsse gleichen Sturzflügen. Jason Barwick holt immer grandiosere Sequenzen aus seiner Gitarre heraus. Er spielt mit dem Verzerrer, dreht an den Wirbelschrauben, traktiert die Saiten mit dem Geigenbogen, während Vater Tim Smith einen unentwegt pulsenden Bass als Hauptschlagader legt und sein Sohn das Schlagzeug bis zur Erschöpfung mit Ganzkörpereinsatz bearbeitet. Technisch ist das alles auf hohem Niveau. Jedoch erstarren die Riffs zu leblosen Schablonen. Der Sound-Mischung fehlt jede Kontur, die Arrangements werden zu einem glatten Paket zusammengerollt, das jeglichen emotionalen Engagements ermangelt. Da können der Gitarrist und der Bassist noch so wild herumhüpfen. Alles aber stimmt bei „The Excitements“ aus Barcelona, die im rappelvollen Cotton Club bis weit nach Mitternacht spielen. In dem Septett steckt viel Energie drin, die sich auf das Publikum überträgt. Das ist zwar simpel gestrickter, hart treibender Chicago-Blues, dafür aber auf hohem Energie-Level. Vor allem für die beiden Saxophonisten Marc Lloret und Nicolas Rodriguez Jauregui gibt es nur eine Art den Blues zu blasen: muskulös. Den mitreißenden Sound traut man diesen Männern gar nicht zu, wenn man sie im piekfeinen Nadelstreifen-Anzug sieht. Sensationell die Powerfrau Koko Jean Davis aus Mosambik: 155 Zentimeter pures Temperament. Und den Rhythmus hat sie im Blut. Wie eine Wildkatze düst das dünne Persönchen im roten Minirock auf der Bühne herum. Eine wandelnde Flammenwerferin, die mit ihren Urschreien und ihrer ständigen Animation das Publikum nochmals gehörig in Bewegung bringt und sich dabei völlig verausgabt. Von dieser Sorte hätte man sich noch mehr gewünscht. Ein würdiger Abschluss des Festivals.