Kaiserslautern Sonette und Viererkette

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Passend zum verregneten Frühsommer prasselte am Donnerstag bei der Kabarett-Revue „Ein Untier kommt selten allein“ im Edith-Stein-Haus ein wahres Wortgewitter an Geistesblitzen über das Publikum. Wen hat’s getroffen?

Die Untiere trotzten nicht nur erfolgreich der Fussball-EM mit dem zeitgleichen Deutschlandspiel. Sie bestätigten auch ohne Gast-Star ihren Anspruch anspruchsvolles, abendfüllendes Kabarett der Spitzenklasse mit ständig neuen Inhalten zu kreieren. Anstelle von Plattitüden oder Verlegenheitsfloskeln und thematischem Stillstand begeisterte die vierköpfige, 2009 gegründete und seit 2012 durch Philipp Tulius verstärkte Gruppe um „Leitwolf“ Wolfgang Marschall mit einer Mischung, die ihresgleichen sucht: Musikkabarett mit eigenen Arrangements von Evergreens in Konzertqualität und mit neuen gepfefferten Texten politischer Brisanz. Also mit Tulius an der Bassgitarre und Marschall am Drumset sowie Keyboarder Edwin Schwehm-Herter sowie Frontsängerin Marina Tamassy weit mehr als eine Coverband. Mit politischem Kabarett zwischen Lokalkolorit und Weltpolitik sowie Realsatire ist zusammen mit den Verkleidungs- und Verwandlungskünsten für jede Geschmacksrichtung etwas dabei. So verkleidete sich die Gruppe als schrill-schräge Rockband – das war trotz todernster Texte zum Schreien komisch. Was aber, wenn die Politik im Sommerloch versinkt? Wo sprudelt dann die inspirierende Quelle? Doch zunächst apropos Wasser-Gedankenspiele: In Lauterns jüngstem Hochwasser in der Merkurstraße ohne Deiche, Dämme und Fließgewässer sah Marschall eine Kuriosität. Doch zurück zum Sommerloch: Gebe es keine Schlagzeilen, sorge die RHEINPFALZ für welche. So die Monster-Schildkröte in Rodenbach, deren übertriebene Maße im Lokalteil nach der Beigeordneten Gudrun Heß-Schmidt zitiert, im Landauer Reptilium jedoch deutlich korrigiert wurden. Während andere Kabarettisten ihrem Publikum den Spiegel vorhalten und sie das Zerrbild eventuell peinlich berührt, geht Marschall geschickter vor: Mit dem Anflug von Selbstironie oder gespielter Hilflosigkeit – frei nach Sokrates „Ich weiss, dass ich nichts weiss“ – erzeugt er eine bessere Identifikation mit seinen Inhalten. Seine philosophischen Anwandlungen und seine nostalgischen Rückblicke haben einen Tiefgang, werfen indirekt Fragen nach einer humanistischeren Welt auf. Natürlich durfte der Bezug zur Europameisterschaft nicht fehlen und zusammengetragene Fussball-Sonette – über Viererkette – führten zu grotesken Wortspielen. Solche Unterhaltung führt aber immer wieder zu Aspekten, die Betroffenheit auslösen müssen, zu Meldungen und Fakten, die zwar öffentlich bekannt, aber verdrängt werden. Marschall holt sie aus der Vergessenheit und macht einen Sketch daraus. Die Tatsache, dass Mitglieder der Familie Oetker in die Rüstungsindustrie investieren, führt zur Tortenschlacht der Untiere: Marschall vermutete nun mehr hinter den Granatsplittern und ein Schelm, wer beim Bienenstich nur die übliche Füllung vermute.

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