Kaiserslautern Wagner gegen den Rest der Welt

Die Literatur über Richard Wagner füllt Bibliotheken. Erstaunlich aber, dass es bislang keine umfassende Geschichte der Bayreuther Festspiele gab. Oswald Georg Bauer, langjähriger Leiter des Pressebüros am Grünen Hügel hat 1989 begonnen, sie aufzuschreiben. Sieben Kilo bringen die beiden Bände auf die Waage. Es ist alles zu finden, was man längst genauer wissen wollte, und eine Menge Neues. Etwa, dass Wagner-Witwe Cosima einen „Verschlag“ hatte, in dem sie unbemerkt Proben und Vorstellungen kontrollieren konnte.

Herr Bauer, was in Bayreuth passiert, interessiert selbst Leute, für die Oper die pure Tortur ist. Hat das auch damit zu tun, dass die Festspiele deutsche Geschichte widerspiegeln?

Im Guten wie im Schlechten, gerade, was die Verführung durch die Macht anbelangt. Die Verbindung der Festspiele mit Hitler hat sich festgesetzt. Zugleich ist das Werk Wagners und hier vor allem der „Ring“ von einer unglaublichen Aktualität. Nehmen Sie den Skandal um die Panama Papers – das ist doch nichts anderes als der „Ring“. Unter den ersten Festspielgästen war sagenhafte Prominenz, dagegen ist der rote Teppich heute eigentlich fad. Es war wirklich alles da, was Rang und Namen hatte. Der Kaiser samt Hochadel, die Komponisten Anton Bruckner, Camille Saint-Saëns, Peter Tschaikowsky, Edvard Grieg, Maler wie Menzel oder Lenbach. Das war damals natürlich auch der Effekt des Neuen. Und die Leute hatten das Bedürfnis zu reisen. Eine Russin hat mir von ihren hochadeligen Großeltern aus der Ukraine erzählt. Die sind mit dem Sonderzug nach Bayreuth gefahren, hatten von der Kutsche bis zum Koch alles dabei und mieteten sich für drei, vier Wochen auf Schloss Fantaisie ein. Auch die Rothschilds sind mindestens eine Woche geblieben. Und die ganz normalen Festspielgäste? Die verteilten sich auf Gasthöfe und zahlreiche Privatunterkünfte – das hat in Bayreuth also eine lange Tradition. Schon damals gab es Klagen über die überteuerten Zimmerpreise. Man liest auch von der entsetzlichen „Hungersnot“ bei den ersten Festspielen, die die Damen von Stand gezwungen hat, in die einfachsten Bierwirtschaften zu gehen, um etwas zu essen zu bekommen. Es gab auch gleich Festspiel-Jünger. Die waren für Wagner aber das Schlimmste. Schon Nietzsche spricht 1876 von den Jüngern im religiösen Sinne. Natürlich wollte Wagner Zustimmung, aber dieses regelrechte Proselytentum war ihm zuwider. Gattin Cosima hat dann nach dem Tod einen Kult daraus gemacht. Ihre Rolle kann man gar nicht unterschätzen, und ich meine das nicht im Positiven. Cosima ist für mich die Ursache der nationalistischen Ideologie-Entwicklung, die ich die ,Wahnfried-Ideologie’ nenne. Sie wollte Wagners Utopien nicht verstehen. Für Wagner konnte das Kunstwerk an sich nicht national sein, das schrieb er 1849 in „Kunst und Religion“. Ein nationales Element, eine nationale Couleur durfte allenfalls Schmuck, ein Ornament sein. Und plötzlich war Siegfried der germanische Held. Diese Wende kam mit der ersten „Ring“-Inszenierung nach Wagners Tod 1896. Was dem Freigeist Richard vorschwebte, galt nichts mehr, und aus dem ursprünglichen Weltgleichnis des Antagonismus von Macht und Liebe wurde eine Germanenoper gemacht. Bei meinen Recherchen ist mir dann noch etwas Fatales aufgefallen: Bei den Festzügen zum „Tag der Deutschen Kunst“ durch die Münchner Prinzregentenstraße gab es 1937 und 38 einen eigenen Teil zu Richard Wagner mit einem besonderen Programm. Wenn Sie das durchgehen, stellen Sie fest, dass die Entwicklungslinie seit 1896 eine durchgehende ist. Die Nazis mussten nichts erfinden. Was sich Cosima und ihr rassistischer, antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain ausgedacht hatten, mussten die Nazis nur noch übernehmen. Aber der „Parsifal“ hat doch nicht ins Konzept gepasst. Den Helden des Mitleids auf die NS-Ideologie umzudeuten, war unmöglich. Joseph Goebbels lässt sich in seinen Tagebüchern deutlich darüber aus, dass das für ihn als alten Heiden nichts sei. Hitler war es, der den Parsifal so gerne wieder einmal hören wollte. Der hat sich aber ausschließlich für die Musik interessiert. Bei einer „Parsifal“-Aufführung ließ er einen Musiker in der Pause zu sich kommen, der einen falschen Ton geblasen hatte. Der Mann zitterte am ganzen Leib, und Hitler meinte nur ganz verständnisvoll, dass das doch sicher schlimm für ihn gewesen sei. Winifred Wagner konnte Goebbels nicht ausstehen, ansonsten hat sie sich mit den braunen Machthabern und besonders Hitler bestens verstanden. Ja, Goebbels hätte ihr zu viel reingeredet, konnte aber nicht, weil Bayreuth Hermann Göring unterstand. Was mich aber wirklich erschüttert hat, war die Haltung Wielands. Hitlers „Lieblingssohn“ wurde 1937 zum Nachfolger seiner Mutter aufgebaut, und ausgerechnet der „Parsifal“ war seine erste Inszenierung. Und was lesen wir in der Nazi-nahen Presse? Es sei doch sehr löblich gewesen, dass Wieland zur Premiere in Wehrmachtsuniform erschien. Hitler und Goebbels trugen übrigens Smoking. Ein paar Jahre später wurde Wieland Wagner zum großen, unkonventionellen Erneuerer Bayreuths. Da hatte wirklich eine Läuterung stattgefunden. Man darf das annehmen, weil er nie darüber gesprochen hat. Auch mit keinem seiner Biografen. Ohne Wieland hätte Bayreuth übrigens nie mehr eine Bedeutung gehabt. Das ging aber auch nur, weil Wolfgang ihm den Rücken frei gehalten hat. Wieland war das Genie, und im Duo mit Wolfgang, dem Organisator und Kassenwart der Festspiele, hat das dann perfekt funktioniert. Wird Wolfgang Wagner unterschätzt? Auf jeden Fall. Wer mit ihm gearbeitet hat, spürte das sofort. Wolfgang war immer offen. Wenn er um elf kam, sind wir erst einmal durch den ganzen Betrieb gegangen, durch die Werkstätten, die Büros. Immer trug er einen kleinen Kalender mit sich, hat Termine ausgemacht und schrieb auf, was er nicht gleich vor Ort klären konnte. Am Ende war dann ein gewisser Starrsinn zu bemerken. Und doch standen die Mitarbeiter zu ihm – weil er hinter jedem Einzelnen stand. Patrice Chéreau ist da ein schönes Beispiel. Wolfgang Wagner erkannte zwar, dass der junge Mann etwas kann, aber er tat sich schwer mit ihm. Es gab lange, intensive Auseinandersetzungen, die auch mal lauter wurden. Wolfgang hat Chéreaus Ideen immer wieder hinterfragt und sagte in seiner direkten Art: ,Haben Sie Verständnis, ich weiß, dass das etwas Besonderes ist. Aber ich muss es doch verstehen, denn ich werde das gegen die ganze Welt verteidigen!’ Bei den Pressekonferenzen 1976 zum Chéreau-Ring ging es hoch her. Vor den Fenstern gab’s Demonstrationen für die Absetzung der Inszenierung. Einer hat sogar eine Million Dollar geboten hat, wenn der Chéreau-Ring verschwindet. Und als zum Schluss dieser mittlerweile legendären Pressekonferenz gefragt wurde, wie es denn jetzt weitergehe, stand Wolfgang auf, klopfte Pierre Boulez und Patrice auf die Schultern und sagte: ,Wir machen weiter!’ Ein Stöhnen ging durch den Raum. Und jetzt gilt die Inszenierung, die bis 1980 lief, als der Jahrhundert-Ring. Bereits im letzten Jahr der Produktion gab es rührende Szenen. Etwa ein gestandener Mann, der nur eine Karte hatte und mich fragte, ob sich seine Frau nicht auf seine Knie setzen dürfe. Die Leute haben damals geklatscht, bis die Pause vorbei war. Das ist heute nicht mehr vorstellbar. Auch, dass die jungen Leute raus sind in den Park und die Beete geplündert haben, um die Blumen auf die Bühne zu werfen. Lesezeichen Oswald Georg Bauer: „Die Geschichte der Bayreuther Festspiele“, Band I: 1850-1950, Band II : 1951-2000; Deutscher Kunstverlag Berlin/München; zusammen 1292 Seiten; 1111 Abbildungen, 128 Euro.

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