Kaiserslautern Wenn die Abendglocken dröhnen
So wie hierzulande Gospelchöre ohne traditionellen Hintergrund auf einer stilistischen Erfolgswelle mitschwimmen, „reiten“ auch viele osteuropäische Vokalensembles auf der Schiene der legendären Kosaken, die einst Reiterverbände im Sinne freier Kriegsscharen waren. Mit etwas Fantasie können Freiheitsbestrebungen ehemaliger Leibeigener mit der künstlerischen Freiheit und dem ungebundenen Leben konzertierender Ensembles auf Tourneen assoziiert werden. Die am Mittwoch in der evangelischen Kirche Dansenberg konzertierenden Don Kosaken von Maxim Kowalew gehören zu diesem einst erfolgreichen Genre.
Allerdings ist der in Danzig geborene Gründer und Namensgeber Kowalew kein Nachfahre der einstigen Kumanen, die in der heutigen Ukraine angesiedelt waren. Wie die vielen anderen Kosakenchöre oder Ensembles dieser Stilrichtung setzt auch dieses in Dansenberg im Septett antretende Ensemble auf die Klangbeispiele aus der russisch-orthodoxen Sakralmusik mit Lobgesängen, Seligpreisungen, Klosterlegenden und Psalmvertonungen. Ergänzt durch russische Volksweisen wie die traditionellen „Abendglocken“ oder die Lieder im Volkston von Bortnijanski. Ebenfalls typisch und auch hier stilbildend ist die emphatische Vortragsweise mit dem Wechselgesang aus verschiedenen Soli und einem Tutti, das dann den Klanghintergrund bildet, sich auf klang- und lautmalerische akkordische Begleitung in der Art von Vokalisen zurücknimmt. Es schafft so den Solisten Freiräume für ihre solistischen Kantilenen. Oder die Formation singt unter Ausschöpfung aller Register und mit großem Reichtum an Dynamik und Klangfarben im klassischen, unbegleiteten A-cappella-Stil und dies in ausgewogener klanglicher Homogenität sowie Ausbalancierung, dabei geprägt von hierzulande selten erreichter gestalterischer Intensität und schwelgerisch ausgereizter Expressivität. Im sprichwörtlichen „Brustton voller Überzeugung“ wird dabei mehr auf klangliches Volumen, auf spektakuläre Wirkungen und mitreißenden Schwung und weniger auf allerletzte gesangstechnische Feinheiten gesetzt. In den „Abendglocken“ ahmen so beispielsweise die Begleitstimmen wirklich täuschend echt Glockengeläut nach, und der künstlerische Leiter – ein begnadeter Tenor übrigens – singt als einziger auch mit dezenter und leichter Stimmansprache bei seinen mehr verinnerlichten Soli. Dagegen erlebt man wie bei dem als Moderator fungierenden Dimitrij Belov fast schon dröhnende, stimmgewaltige schwarze Bässe von unglaublicher Kraft. Es ist eben eine andere Art der Vortragsweise, kraftvoll durchdringend, gewaltig, imposant, getragen von Drastik und Dramatik, wobei viele der Chormitglieder auch von großen Opernbühnen kommen und auch diese Seite kennen. So auch der in Danzig aufgewachsene Kowalew, der aus einer Musikerfamilie stammt und der nach Geigenunterricht und Gesangsstudium an der dortigen Musikhochschule nach Opernengagements 1994 in einem Kosakenchor sang, aus dem die heutige, nach ihm benannte Formation hervorging. Seine Dirigierweise erinnert an die mittelalterlichen Gregorianischen Gesänge, nur mit lockerer Handbewegung verhalten führend und den Verlauf der melodischen Linien andeutend, aber nicht eisern den Takt vorgebend. So fließt auch die Musik freier, alle hängen an seinen Lippen und Bewegungen, erzielen dennoch ein Höchstmaß an rhythmischer Übereinstimmung. Und dies hinsichtlich Einsätze, Stimmerverlauf und gemeinsamer Akzentuierung bei reiner Intonation – letzteres allerdings unter dem Aspekt manchmal glissandierender Intervalle, was mitunter eine andere Traditionslinie verrät.