Kaiserslautern Zum Film: „Tiger Girl“ – Er provoziert wie kein Zweiter

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„Macht kaputt, was euch kaputt macht“, war der Anarcho-Song aus den 70ern von Ton Steine Scherben, der damals Jugendliche zu allerlei schwachsinnigen Aktionen gegen das Kapital und die bürgerliche Gesellschaft brachte, wie Mercedes-Sterne von Autos abzubrechen. Tiger, die Hauptfigur aus „Tiger Girl“ von Jakob Lass, ist von diesem Geist geprägt. Sie hat kein Geld, keine Familie, geht weder zur Schule noch arbeiten, lebt in einem Wohnwagen und ist allzeit gewaltbereit – wenn es um soziale Ungerechtigkeit geht. Als Maggie, eine junge Frau, die gerade durch die Prüfung bei der Polizeifachschule gesegelt ist, sich ärgert, weil eine ältere Dame im Luxusauto so breit parkt, dass sie keinen Platz mehr hat, haut Tiger den Spiegel des Luxuswagens ab, damit Maggie Platz hat, um ihr kleines Auto daneben zu stellen. Soweit die Reminiszenz an die wilden 70er. Die wahre Provokation fängt erst danach an. Denn Maggie findet die Aktion von Tiger toll, sie will auch zuschlagen und heuert als Lehrling bei einem Sicherheitsdienst an. Aus dem so lieb und nett aussehenden blonden Mädchen wird eine Kämpferin, die viel schlimmer ist als Tiger. Denn Maggie will keine soziale Gerechtigkeit, sie haut aus Spaß zu. Sie wird die Freundin von Tiger, die nebenbei ihre perspektivlosen jungen Freunde in der Bauruine – alles Jungs – mit erbeutetem Geld unterstützt, damit die sich Drogen kaufen können. Das wird leichter, als Vanilla, wie Maggie nun heißt, Tiger auch eine Sicherheitsuniform besorgt. Fortan bestehlen sie im Duo ausländische Touristen und geben sich als Kaufhaus-Security aus. Sie zwingen dabei schon mal einen Mann dazu, sich nackt auszuziehen, um ihm sein Geld abzunehmen. Und bald rastet Vanilla vollends aus. Sie haut einfach so einem Passanten die Nase blutig. Da platzt selbst Tiger der Kragen. Die beiden schlimmen Mädchen sind das Beste und Provokanteste, was dem deutschen Kino zurzeit passiert. Wäre der Film ein animierter Comic, würde sich niemand aufregen. Wären die Mädchen Jungs, auch nicht. Würde er nicht im wilden Berlin spielen, wo Ähnliches tatsächlich passiert, auch nicht. Denn der Knackpunkt dieser Action-Fantasie, die Lass als „Martial Arthaus“ bezeichnet, ist, dass der Bezug zur Realität möglich ist – viel mehr als beim x-ten „Fast and the Furious“, der Vergleichbares mit Männern zeigt. Auf jeden Fall ist es ein Film, der zur Diskussion über Politik, Moral und Geld herausfordert. Das gab es seit dem frühen Rainer Werner Fassbinder nicht mehr. |Andrea Dittgen

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