Kreis Germersheim Wegen Watte im Ohr Unfall überhört

Ein abgerissener Außenspiegel an einem Ford Fiesta war der Anfang. Doch dann hatte ein 43-Jährige aus dem südlichen Landkreis eine Pechsträhne – und an deren Ende stand ein Strafbefehl wegen Unfallflucht von über 2000 Euro. Dagegen legte sie jetzt Einspruch ein. Nach zweistündiger Hauptverhandlung endete die Pechsträhne wieder, denn das Amtsgericht Kandel stellte jetzt das Verfahren ein.

Es war am 23. August 2012 um die Kaffeezeit, als die Angeklagte mit ihrem Suzuki Swift die Rheinstraße in Kandel entlang fuhr. Sie hatte das Radio auf Lautstärke 20 und Watte in den Ohren, weil sie eine chronische Ohrentzündung hat. Deshalb will sie den Knall nicht gehört haben, mit dem der Außenspiegel des Ford abriss und in hohem Bogen davonflog. Eine Frau im dahinter fahrenden Auto hatte den Spiegelabriss jedoch ganz genau gesehen. Sie versuchte durch Hupen auf den Unfall aufmerksam zu machen. Weil der Suzuki aber weiterfuhr, merkte sie sich das Kennzeichen und informierte die Polizei. Erster Verdacht wenn jemand von der Fahrspur abkommt: Alkohol ist im Spiel. Also wurde noch am Tatabend wurde bei der 43-Jährigen eine Alkoholkontrolle vorgenommen. In der Hauptverhandlung sprach der forensische Gutachter, Rechtsmediziner Prof. Dr. Bernhard Urban, von einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille, dem untersten Grenzwert, in die ein angegebener Nachtrunk bereits eingerechnet worden sei. Allerdings ist die Begleitstoffanalyse, mit der die Nachtrunkbehauptung wissenschaftlich widerlegt werden kann, ausgerechnet das Spezialgebiet des Rechtsmediziners Urban. Und so kam es, dass der Führerschein der 43-Jährigen noch am selben Tag für acht Wochen eingezogen wurde. Im Februar 2013 wurde die Fahrerlaubnis dann erneut vorläufig entzogen. Dagegen legte die Frau Beschwerde ein. Es dauerte jedoch nochmals sechs Wochen, bis sie wieder fahren durfte. Vor Gericht spielte die Blutalkoholkonzentration allerdings keine Rolle mehr. Denn, so bestätigte der renommierte Rechtsmediziner Urban – ein wissenschaftlicher Nachweis im Bereich von wenigen Hundertstel sei nicht möglich. Bei dem Einspruch gegen den Strafbefehl konzentrierte sich die 43-Jährige auf eine chronische Innenohrentzündung. Daran leide sie seit 14 Jahren. Je nachdem wie stark die Entzündung sei, höre sie schlecht. Das bestätigte der behandelnde HNO-Arzt im Zeugenstand. Den Knall, mit dem der Seitenspiegel abriss, hätte sie allerdings hören müssen, zeigte sich wiederum der Kfz-Sachverständige überzeugt. Denn dieses Geräusch decke eine ganze Bandbreite von Frequenzen ab. Diesen Aspekt zog auch der forensische Gutachter anhand von Audiogrammen der 43-Jährigen in Betracht. Trotz allem räumten die Gutachter schließlich ein, hätte sie den Knall im Zusammenwirken der Erkrankung, lauter Musik und Fahrgeräuschen überhören können. Wie das Pech der verhältnismäßig hohen Schadenssumme zustande kam, wurde nicht mehr geklärt. Nur die Halterin des Ford Fiesta sagte im Zeugenstand, sie parke ihr Auto immer in der Rheinstraße. Über den abgerissenen Spiegel habe sie die Polizei informiert. Aber wer versicherungstechnisch herangezogen werden könnte, wurde später nicht mitgeteilt. So kaufte sie für knapp 300 Euro einen neuen Spiegel, den ein Bekannter anbrachte. Im Strafbefehl war ein Schaden von 750 Euro angegeben worden. Kleiner Schaden – großer Aufwand. Aber die 43-Jährige verzichtete auf eine Entschädigung für die Zeiten des unberechtigten Führerscheinentzuges. Und die Staatskasse übernimmt die Kosten für die Gutachter. (mldh)

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