Kusel Grillen im Schatten der Linde

Es wäre zu einfach, Rutsweiler/Glan auf den Platz mit der alten Linde und dem Dorfbrunnen an der Hauptstraße zu reduzieren. Aber keine andere Ecke der 330-Einwohner-Gemeinde eignet sich besser als Ausgangspunkt, als Zwischenrast und als Ziel bei einer Erkundungstour durch das Dorf. Wie alt der denkmalgeschützte Baum ist, das weiß niemand so ganz genau. Um das Jahr 1876 dürfte die Linde wohl gepflanzt worden sein, schätzt Ortsbeigeordneter Walter Höbel – „damals wurde der Friedhof angelegt, und die Bäume dort haben die gleiche Größe“. Die Linde ist der Dorfmittelpunkt. Dort treffen sich Jung und Alt auf ein Schwätzchen, ein Bierchen oder auch auf eine ausgedehnte Mahlzeit. Denn neben Tisch und Bänken steht mitten im Ort auch ein Grill bereit. Terminabsprachen? Überflüssig! „Es kann eigentlich kaum passieren, dass man nach Feierabend vorbeiläuft, und niemand ist da“, weiß Ortsbürgermeister Joachim Sander. Seit September 2014 ist auch schlechtes Wetter kein Grund mehr, zu Hause zu bleiben: Ein Wohnwagen – innen in gemütlicher Holzoptik ausgebaut – lädt bei Regen zum Kartenspielen oder Würfeln ein. Von außen soll das Domizil bald hergerichtet werden. Gegenüber steht das alte Spritzenhaus. Von dort läutet täglich um 11 und 18 Uhr die Glocke, seit etwa acht Jahren mit elektronischer Steuerung. Genau drei Minuten lang. Sobald es vorbei ist, schließt sich das Läuten aus dem Nachbarort Theisbergstegen an. „Die Steejer haben drei Minuten Verspätung“, sagen die Einheimischen. Das ist allerdings nicht das einzige akustische Signal, nach dem man in Rutsweiler die Uhr stellen kann. Um die Mittagszeit wird im Steinbruch auf der anderen Seite des Glans gesprengt. In die Geschichte des Ortes ist die Detonation vom 10. September 2001 eingegangen – das „Kerweschießen“, wie der erste Beigeordnete Wolfgang Sander berichtet: Am Kerwemontag vor 14 Jahren setzte es einen ungewohnt lauten Knall, es folgte ein Steinhagel auf Rutsweiler. Fensterscheiben, Fassaden, Gartenzäune und selbst Möbel wurden in Mitleidenschaft gezogen; die größten der Brocken, die aufs Dorf niederprasselten, waren bis zu 20 Kilogramm schwer. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden. Ein Unfall – es hatte mehr Sprengstoff gezündet als geplant. Der Steinbruch prägt den Ort. Die wenigen Seitenstraßen – Berg-, Schul-, Flurstraße, Borrwiese und Wingertstraße – führen die sanften ersten Anstiege zum Potzberg hinauf, von überall bietet sich ein spektakulärer Blick auf den gegenüberliegenden Bruch. „Und der Ausblick ändert sich regelmäßig“, berichtet der Ortsbürgermeister von reger Bewegung an der steinernen Wand. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde in Rutsweiler ein Holzsteg über den Glan errichtet, über den die Arbeiter aus den Potzberggemeinden den Steinbruch erreichen konnten. „Damals haben viele Rutsweilerer dort gearbeitet“, schildert Höbel, „dann kam die Technisierung, und es wurden auch immer weniger Pflastersteine gebraucht.“ Der Steg existiert schon seit 40 Jahren nicht mehr. Was es noch gibt: immerhin neun Betriebe, darunter Bäckerei und Forellenzucht. Der Sitz des Garten- und Landschaftsbaus in der früheren Schlackemühle am Ortseingang aus Theisbergstegen ist ein wahres Schmuckstück – zuvor war dort seit den 1960ern der Betriebshof eines Busunternehmens, wie sich Wolfgang Sander erinnert. Und zwei Vereine gibt es im Ort: den Unterhaltungsverein und den Förderverein Ottilienquelle, der an Vatertag wieder sein großes Fest an der 1860 eingeweihten, seither mehrmals wiederbelebten Schutzhütte mit Springbrunnen auf halbem Weg zum Potzberggipfel gefeiert hat. In der Nähe des jüngsten Neubaugebiets – in der Verlängerung der Bergstraße wurden 1993 acht Bauplätze erschlossen, bis 1998 waren alle verkauft – liegt der Spielplatz. „Etwa zehn Kinder unter zwölf Jahren“ gebe es in Rutsweiler, schätzt Joachim Sander. Die Seilrutsche locke aber durchaus auch Nachwuchs aus den Nachbarorten an – die defekte Wippe allerdings müsse demnächst repariert werden. Früher war hier der Sportplatz des 1962 wenige Meter weiter eingeweihten Schulhauses, in dem 1971 der Unterricht schon wieder eingestellt wurde. Seit 1988 hat das alte Schulhaus eine neue Aufgabe: als Dorfgemeinschaftshaus. Dort führt nicht nur der Unterhaltungsverein dreimal im Jahr seine weit über die Dorfgrenzen hinaus beachteten Theaterstücke auf. Tanzschule und Frauenturngruppe nutzen den Saal mit dem großen Dorfwappen an der Wand hinter der Bühne, private Feiern finden ebenfalls statt – nur Polterabende müssen nach draußen verlegt werden. Schließlich gilt es, den auch nach 27 Jahren noch sehr ansehnlichen Parkettboden zu schützen. Außerdem organisiert Christa Schaab den wöchentlichen Stammtisch. Freitags um 20 Uhr treffen sich im Saal des Dorfgemeinschaftshauses zehn bis zwölf Rutsweilerer, um über alte Geschichte und das aktuelle Dorfleben zu plaudern. Ein beliebter Treffpunkt für überwiegend Ältere, aber auch einige Jüngere, wie Ortschef Sander berichtet – vor allem, seit Mitte der 1990er das Gasthaus Kaiser dichtgemacht hat. „Und Neubürger sind bei dem Stammtisch immer willkommen“, unterstreicht Sander. Info 95 Dörfer und drei Städtchen liegen im Landkreis. Von A wie Adenbach bis W wie Wolfstein machen wir uns auf, sie zu erkunden, uns ihre Besonderheiten zeigen zu lassen, Geschichte und Geschichtchen zu erfahren. Jeden zweiten Donnerstag erzählen wir aus einem anderen Ort.

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