Kreis Südliche Weinstraße Algerien statt Amerika

Im 19. Jahrhundert verließ die Familie Nuß ihr Haus in Göcklingen, um eigentlich nach Amerika auszuwandern. Doch es kam alles an
Im 19. Jahrhundert verließ die Familie Nuß ihr Haus in Göcklingen, um eigentlich nach Amerika auszuwandern. Doch es kam alles anders.

Im Mai 2019 machte sich der im französischen Tarbes beheimatete René Nuß mit seiner Frau auf und besuchte Göcklingen – auf der Suche nach seinen Vorfahren. Konkret nach Spuren von Georg Nuß suchten die Gäste aus der 50.000-Einwohnerstadt nordöstlich von Lourdes gelegen. Bei Heimatforscher Hermann Frech wurden sie kundig – eine bewegende (Flüchtlings-)Geschichte.

Frechs Recherchen zufolge war Georg Nuß am 22. März 1784 in Göcklingen geboren. Es war das sechste von acht Kindern der Eheleute Theobald und Margaretha Nuß. Zwei seiner Geschwister starben im Kleinkindalter. Mit großer Wahrscheinlichkeit wohnte Familie Nuß in dem Anwesen in der Pfaffengasse unweit der neu erbauten Kirche. Als 1792 die französischen Revolutionstruppen in den Ort einzogen und die katholische Kirche als Pferdestall benutzten, war dies für den kleinen Georg eine spannende Zeit.

Als Kurfürst Carl Theodor ab 1744 in der Kurpfalz regierte, kehrte Frieden und Wohlstand ein. Dieser setzte sich auch fort, als Carl Theodor ab 1777 in München residierte. Doch als er dort 1799 starb, war das linke Rheinufer unter Napoléon französisch geworden. Im Friedensschluss von Luneville 1801 wurde die Zugehörigkeit zu Frankreich besiegelt. Mit der Einführung des „Code de Civil“, der in Deutschland im Jahr 1900 durch das Bürgerliches Gesetzbuch abgelöst wurde, verstärkte sich der französische Einfluss. In dieser Zeit wurde Georg, nun „Georges“ geschrieben, französischer Soldat.

Also zog Georges mit Napoléons Soldaten in den Krieg. Aus den Aufzeichnungen von René Nuß, dem Nachkommen von Georg Nuß geht hervor, dass er bei Napoléons Feldzug gegen Russland im Jahr 1812 mit über 200.000 Soldaten dabei war. Die eisige Kälte Russlands vernichtete nahezu die gesamte französische Armee. Unter den wenigen Überlebenden befand sich Georg Nuß. Er flüchtete und strandete in Österreich. Er arbeitete drei Jahre als Knecht, lernte eine Österreicherin kennen und heiratete sie. Nach einiger Zeit kehrte er mit seiner Familie nach Göcklingen zurück. Aber die Not in Göcklingen war sehr groß. Mit 1590 Einwohnern bei nur der Hälfte der heutigen Häuser war das Dorf übervölkert. Auswandern nach Amerika erschien Nuß als die einzige Lösung. Nach dem Verkauf der gesamten Habe machten sich Nuß und seine Familie mit über 400 anderen Sinnesgenossen über Saarbrücken, Metz, Paris nach Le Havre auf, um von dort aus per Schiff in das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ zu gelangen. Ein Makler bot gegen Vorkasse preiswerte Tickets und Lebensmittel für die lange Überfahrt an. Am Tag an dem die Überfahrt beginnen sollte, waren weder Fahrkarten, Lebensmittel noch der dubiose Makler da, lediglich das Geld war weg und die Aussiedler sahen, wie das Schiff mit all ihren Hoffnungen in der Ferne verschwand.

Da lagen die verzweifelten Siedler am Stadtrand von Le Havre und konnten wählen zwischen Verhungern oder Betteln; denn man hatte nicht mal Geld für die Rückkehr in die Pfalz.

In einem Bericht des französischen Kriegsministeriums von 1831 schreibt General Bethezéne: „Ich weiß nicht, welch böses Genie es fertig gebracht hat, diese 415 Siedler darunter 76 Frauen und 211 Kinder, diese Menschen, halb französisch (da meinte er wohl die Pfälzer) halb deutsch an unsere Ufer zu spülen. Wir haben sie in Zelten untergebracht und zahlen zehn Cent, aber sie vegetieren dahin.“

1830 startete Frankreich einen militärischen Angriff auf Algerien, das französische Kolonie werden sollte. Um möglichst viele französische Siedler zu gewinnen und um die Herrschaft dort zu festigen, schlug man den Flüchtlingen in Le Havre vor, mit Hilfe des Staates in Algerien zu siedeln. Den Verzweifelten blieb nichts anderes übrig, als das Angebot anzunehmen. Man machte sich also wieder auf den Weg. In Algerien hatte man Plätze für 73 Familien ausgesucht. Es war Ödland mit wilden Sträuchern und musste erst urbar gemacht werden. Die Bewohner lebten in Holzhütten und waren auch dort unterversorgt. Da sie sich mit dem Klima nicht zurechtfanden, machten Krankheit und der Tod unter den Siedlern schnell die Runde.

Dennoch ging es langsam aufwärts. Die Erträge aus der Landwirtschaft wurden größer. Doch die Einheimischen stahlen nächtens die Ernte. So kam es wieder zu Kämpfen, die auf beiden Seiten Tote und Verwundete forderten. Um die Lage seiner Familie zu verbessern, nahm Georg Nuß eine Stelle als Fuhrmann bei der französischen Armee an. Bei einer Fahrt 1836 verschwand er spurlos, wahrscheinlich wurde er ermordet.

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