Annweiler Freiheitsbaum aufgestellt und Kirchturm wieder begehbar

Traudel und Hermann Andres blicken aus dem sanierten Glockenturm über die Altstadt Annweilers.
Traudel und Hermann Andres blicken aus dem sanierten Glockenturm über die Altstadt Annweilers.

Annweiler hat wieder einen Freiheitsbaum. Bürger können dort ihre Forderungen anbringen. Adressatin wird die neue Bürgermeisterin sein.

Mit dem Abschluss der sogenannten Ertüchtigung des Turms der Stadtkirche erfüllte sich der scheidende Stadtbürgermeister Annweilers, Benjamin Seyfried, am Samstagnachmittag als letzte Amtshandlung einen Herzenswunsch. Er gab das aus dem Mittelalter stammende, begehbar gemachte Bauwerk der Öffentlichkeit frei. Verknüpft wurde die Feier auf dem Rathausplatz mit dem Aufrichten eines Freiheitsbaums nach einer Idee des Volkskundlers Helmut Seebach.

Der in den städtischen Wäldern geschlagene Laubbaum war von Schülern aus der Klasse 10b der Realschule plus mit langen, flatternden Bändern in den deutschen Nationalfarben ausgeschmückt worden. Das Publikum half mit, das stattliche Gewächs in die ins Pflaster eingelassene Hülse zu stellen. Im pfälzischen Brauchtum bedeuteten festlich geschmückte Bäume stets den Beginn einer neuen Zeit, erläuterte Seebach den Vorgang und nannte als Beispiele die Weihnachts-, Mai-, Hochzeits- oder Richtfestbäume. Auch die zum ersten Mal 1832 beim Hambacher Fest gezeigten Freiheitsbäume hätten als Symbol einer Zeitenwende gegolten, mit ihren schwarz-rot-goldenen Bändern als Ausdruck für geforderte Freiheit, Gleichheit, Menschen- und Bürgerrechte.

Nach mehr als 190 Jahren steht in Annweiler wieder ein Freiheitsbaum.
Nach mehr als 190 Jahren steht in Annweiler wieder ein Freiheitsbaum.

Freiheitsbäume galten als Beschwerdebäume

Die bevorstehende konstituierende Versammlung des neugewählten Stadtrats Anfang Juli mit der ersten Bürgermeisterin in der Geschichte der Stadt stellt nach Ansicht Seebachs zwar schon einen gewissen Neubeginn dar, in Wahrheit habe in Annweiler die Zeitenwende aber bereits 2019 mit Seyfrieds Ära eines neu entstandenen und vorgelebten demokratischen Geistes begonnen, betonte der streitbare Buchautor. Er sei sich aber sicher, dass Seyfrieds Nachfolgerin Carmen Winter (CDU) das Amt ganz im Sinne ihres Vorgängers, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Wahl angetreten war, weiterführen werde.

Die vor mehr als 190 Jahren allenthalben aufgestellten Freiheitsbäume hätten wie auch der in Annweiler als Beschwerdebäume gegolten, ergänzte Seyfried. Zum Zeichen ihres Unmuts hätten Annweilers Bürger 1832 Zettel, auf denen sie sich kritisch mit der Amtsführung des damaligen Bürgermeisters und der Misswirtschaft des städtischen Försters auseinandersetzten, an die Zweige ihres Freiheitsbaums geheftet. Der Baum sei vom Bürgermeister kurzerhand beseitigt worden. In der folgenden Nacht aber hätten ihn die Bürger solidarisch durch einen neuen ersetzt. Schließlich habe der unbeliebte Stadtchef zurücktreten müssen.

Imposanter Blick über die Altstadt

Die Bürger feierten daraufhin in den Gasthöfen gemeinsam mit den Gendarmen ein Fest. „Zeigen auch Sie, dass Ihnen Ihre Stadt und die Bürger nicht egal sind“, empfahl Seyfried. Im Unterschied zu damals sollten die schriftlichen Forderungen aber nicht in den Baum gehängt, sondern auf bereitgelegten Postkarten geschrieben und in den städtischen Briefkasten geworfen werden.

Mit traditionellen und neuen Freiheitsliedern umrahmte der Liederinterpret und Gitarrist Werner Mansmann aus Hauenstein die Veranstaltung. Anschließend konnten sich diejenigen, die gut zu Fuß sind, von den erfolgreich abgeschlossenen Arbeiten im Kirchturm überzeugen. In dem Bauwerk aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, das mit seinen dicken Mauern und dem ehemals hoch gelegenen Eingang dem Wehrturm einer Burg gleicht, führt nun eine an den Wänden entlanglaufende, mehrmals durch Podeste unterbrochene Treppe mit 95 Stufen bis hinauf in die Glockenstube. Aus den mit gotischem Maßwerk versehenen Fenstern ergibt sich ein imposanter Blick auf die Altstadt Annweilers und auf die Landschaft ringsherum.

Die Baumaßnahme geht auf Seyfrieds Initiative und die finanzielle Bereitschaft der Kulturstiftung der Stadt zurück, insbesondere auf den Einsatz des Stiftungsmitglieds Martin Graf. Die Ausführung übernahmen die Firma Felix Scherthan und Schreinermeister Karl-Heinz Sommerfeldt. Einschließlich der modernen Beleuchtungsanlage belaufen sich die Gesamtkosten auf 86.733 Euro. Ein Drittel dieser Summe wurde durch Spenden finanziert.

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