Landau Demirkan: Hartz IV der Sargnagel der SPD

Für ihre Dankesrede zum Martinipreis erhielt Renan Demirkan großen Beifall.
Für ihre Dankesrede zum Martinipreis erhielt Renan Demirkan großen Beifall.

Voll besetzt ist der große Saal im Haus des Gastes in Bad Bergzabern. Was in der Südpfalz-SPD Rang und Namen hat, ist hier wie Kurt Beck und Alexander Schweitzer. Sinnig und süß ist der Tischschmuck: Auf roten Läufern sind Plätzchen in Martini-Gänse-Form verteilt. Als Martin Schulz durch die Reihen geht, während noch die Jazz-Combo des Alfred-Grosser-Gymnasiums spielt, brandet Beifall auf. Dutzende Handys werden gezückt. Der frühere SPD-Vorsitzende strahlt. Herzlich umarmt er Renan Demirkan. Seit 30 Jahren verleiht die südpfälzische SPD den Martinipreis an Menschen oder Organisationen, die sich um die Demokratie bemühen und Verständigung suchen. Als im Vorstand darüber beraten wurde, sagt der SPD-Unterbezirks-Vorsitzende Thomas Hitschler, sei der Name Renan Demirkan gefallen und habe sofort alle überzeugt. Einen Laudator zu finden, sei nicht schwer gewesen. Martin Schulz habe sofort zugesagt. Und das „aus tiefer Überzeugung“, wie Schulz zu Beginn seiner Rede betont. Renan Demirkan, die er persönlich gut kenne, sei eine streitbare Frau, eine großartige Europäerin, die sich stark gemacht habe für Respekt unter Bürgern gleich welcher Herkunft, für eine „Gesellschaft der gleichen Augenhöhe“. Sie pflege eine „Solidarität der Tat“, erklärt der Laudator und erwähnt zwei Projekte der Martinipreisträgerin: Demirkan hat ein Wohnprojekt für an Brustkrebs erkrankte Frauen gegründet, in dem diese zur Ruhe kommen können und psychoonkologisch betreut werden. Und sie hat den Verein „Checkpoint Demokratie“ mit gegründet, eine Plattform, die zum Dialog über Rassismus, Rechtspopulismus und den Zustand unserer Gesellschaft einlädt. Das sind Themen, die auch Martin Schulz umtreiben. Die Ausgrenzung von Minderheiten, die Spaltung der Gesellschaft in „die da“ und „wir“ greife immer mehr Platz. Gegen „Hass und Hatz“ zu kämpfen, sei nicht einfach: „Und wenn du dann noch Renan Demirkan heißt, lebst du täglich mit Anfeindungen.“ Dass sie diesem Ungeist mit Mut entgegentrete, sei ganz im Sinn von Artikel Eins des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Er sehe Demirkan deshalb als „Persönlichkeit des Artikels Eins“ an. „Für den Sieg des Bösen reicht es, dass die Guten nichts tun“, schließt Schulz. „Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein, nach innen wie nach außen.“ „Mann Martin, ich habe mich so aufgehoben gefühlt in deinen Gedanken“, sagt Renan Demirkan nach der Entgegennahme des Preises. Doch dann kündigt sie an, dass ihre Dankesrede „einigen von euch nicht gefallen wird“. Die Autorin, selbst SPD-Mitglied, bezeichnet sich als „Kind der 68er, angefixt von Willy Brandt – doch leider gibt es nicht nur Willy Brandts in der Partei“. Auf Gerhard Schröder und die Hartz-IV-Reformen bezieht sich die Rednerin: „Hätte er sich nur einen Tag lang mit den Folgen von seiner Agenda beschäftigt, hätte es die Spaltung der Gesellschaft nicht gegeben, hätten wir heute keine SPD bei 14 Prozent und ich behaupte mal: keine Antidemokraten im Parlament.“ Hartz IV sei „der Sargnagel der SPD“. Zeitverträge gehörten verboten, fordert Renan Demirkan weiter. Wenn Menschen, zum Beispiel auch freischaffende Künstler, zu Tagelöhnern würden und ins Hartz-IV-System rutschten, bedeute das die Demütigung einer ganzen Gesellschaft. Die Idee der Sozialdemokratie müsse neu überdacht werden, verlangt sie und wettert: „Wer kann einer Partei noch irgendetwas glauben, wenn sie mit den eigenen Leuten so umgeht, wie sie mit Martin Schulz umgegangen ist?“ Brausender Beifall. Einen Wunschzettel trägt Renan Demirkan vor: Die Politik solle sich an Artikel 1 Grundgesetz orientieren und im Dialog mit der Bürgerschaft bleiben. Einkommensunterschiede sollten abgebaut und flächendeckender Demokratieunterricht eingeführt werden.

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