Herxheim Flucht vor den Taliban

Gholam ist froh, dass er seine Frau und seinen Neffen aus Afghanistan nach Deutschland bringen konnte.
Gholam ist froh, dass er seine Frau und seinen Neffen aus Afghanistan nach Deutschland bringen konnte.

Drei Wochen nach der vollständigen Übernahme Afghanistans durch die Taliban ist in Gholams Leben wieder ein klein wenig Ruhe eingekehrt. Er, seine Frau und sein kleiner Neffe Bilal sind in Sicherheit, doch noch immer bangt der gebürtige Afghane um seine Familie.

Gholam (aufgrund der prekären Lage in Afghanistan verzichten wir auf die Nennung von vollständigen Namen und genaue Ortsangaben) ist 25 Jahre alt und lebt bereits seit über fünf Jahren in Deutschland. Er hat eine Wohnung in Herxheim, sein Beruf als Maurer mache ihm Spaß, sagt er. Wer dem jungen Mann auf der Straße begegnet, würde keine Sorgen hinter dem freundlichen Lächeln vermuten – und hätte nicht die geringste Ahnung. Nun hat sich Gholam dazu bereit erklärt, seine Geschichte zu teilen und einen Einblick in sein Leben zu geben.

Ende Juli steht Gholam nervös am Frankfurter Flughafen. Nicht, weil der junge Mann seinen ersten Flug antritt, sondern weil ein besonderer Anlass in Afghanistan wartet: seine Hochzeit. „Das hatten wir seit langer Zeit geplant“, sagt Gholam. „Meine Familie hatte in einem Hotel den Festsaal gebucht, und alles war bereit, um in großem Stil zu feiern“, sagt er. Doch es sollte anders kommen.

In den Weinbergen groß geworden

Als Gholam über einen Zwischenstopp in Dubai endlich in seiner alten Heimat ankommt, empfängt ihn seine Familie mit offenen Armen. Seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend kehren schlagartig zurück. „Das war eine schöne Zeit“, erinnert sich Gholam. Der Familie habe lange Zeit eine Reihe von Weinbergen gehört. Dort seien er und seine Geschwister dem Vater zur Hand gegangen, hätten aufeinander aufgepasst und spielend ihren Alltag verbracht. In den ländlichen Regionen Afghanistans gingen Kinder nicht in den Kindergarten. „Das war aber nicht schlimm, wir haben einfach einander beschäftigt und zuhause ausgeholfen“, erzählt er.

Umringt von seinen Liebsten, macht sich Gholam also an die letzten Hochzeitsvorbereitungen. „Die Unruhen durch die Taliban waren zwar deutlich spürbar, aber trotzdem haben wir uns alle auf das Fest gefreut“, sagt der 25-Jährige. Dann erhält die Familie eine Nachricht: Das Hotel sei in die Hände der Taliban gefallen – die Traumhochzeit kann nicht gefeiert werden. „Wir haben dann in einem kleinen Haus außerhalb geheiratet“, sagt Gholam. Ohne viele Gäste. „Es musste plötzlich alles ganz schnell gehen“, erzählt er. Stress und Angst habe sich in der Familie breit gemacht.

Am Flughafen fallen Schüsse

In der Nacht des 21. August – wenig Tage später verlassen die letzten deutschen Soldaten das Land – stehen 13 Menschen am Flughafen. Die seit Wochen geplante Abreise nach Deutschland steht bevor. „Mit den deutschen Papieren und meinem kleinen Neffen an der Hand haben uns die Beamten schnell durchgelassen“, sagt Gholam. Doch dann ertönen Schüsse. „Mit meiner Frau und Bilal an der Seite habe ich mich umgeschaut, und dann schlossen sie die Tür“, erzählt er. Die Gesichter seiner Familie verschwinden hinter Glas und Metall. Umringt von Menschen in Uniform und verängstigten Fluggästen, tritt das Trio die Reise nach Deutschland an – ohne Mütter und Geschwister.

Um 4 Uhr morgens landet das Flugzeug in Frankfurt. In Sicherheit. „Meine Familie in Afghanistan konnte ich nicht erreichen“, sagt Gholam. Voller Ungewissheit und Sorge melden sich die drei an weißen Pavillons, einem provisorischen Büro des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. „Für meine Frau und Bilal haben sie dann die Formalitäten übernommen“, sagt Gholam. Er selber habe zum Glück einen deutschen Pass.

Teil der Familie in den Iran geflohen

Die Schlange der Mitreisenden ist lang. „Viele hatten überhaupt keine Papiere dabei, sie hatten ihr Leben in Afghanistan zurückgelassen“, erzählt der 25-Jährige. Nur ein buntes Armband mit einer Nummer haben sie am Arm gehabt, als einziges Zeugnis ihrer Identität.

Erst nach einigen Tagen erhält Gholam Nachricht von seiner Familie. „Mein Bruder ist mit meinen Schwestern in Richtung Iran gefahren“, erzählt er, „sie sind auf dem Weg zu meinem Onkel und dem anderen Bruder“. Wegen der steilen Bergpässe und unwegsamen Pfade seien seine Mutter und Schwägerin zurückgeblieben. Seine Mutter habe sich mit Bilals Mutter in einem Dorf nahe der Grenze zu Tadschikistan versteckt. Aber auch dort gebe es immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Taliban und auch unter ihnen, sagt Gholam.

Kann Bilals Vater nachkommen?

Nicht einmal finanziell könne er seine Mutter momentan unterstützen, sagt Gholam: „Alle Banken werden von den Taliban kontrolliert.“ Immerhin könne er regelmäßig 150 Euro in den Iran überweisen, um wenigstens einem Teil der Familie zu helfen. Er selbst und seine Frau kümmern sich derweil um den kleinen Bilal. Er geht bereits in einen Kindergarten. „Hoffentlich können wir bald seine Eltern einfliegen“, sagt Gholam. Dafür steht das junge Ehepaar in stetigem Kontakt mit der Caritas in Herxheim und den helfenden Händen von Herxheim Bunt. „Über Bilal können wir wohl bald seinen Vater nach Deutschland bringen“, sagt Gholam. Alles andere müsse sich zeigen.

Auch wenn ein normaler Alltag noch in weiter Ferne liegt, behält sich der junge Herxheimer seinen optimistischen Blick: „Mein Leben funktioniert wieder, ich habe meine Frau an meiner Seite und meine Familie ist am Leben“. Wenn eines Tages alle wieder glücklich vereint sind, wird die Traumhochzeit vielleicht noch nachgefeiert. In Deutschland und in Sicherheit.

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