Landau Herzensangelegenheit

„Ich bin ein unruhiger Geist“, sagt Walter Weber über sich.
»Ich bin ein unruhiger Geist«, sagt Walter Weber über sich.

Zweimal im Jahr feiert Walter Weber aus Godramstein Geburtstag. „Am 9. August habe ich meinen 28. gefeiert. Einige Wochen davor meinen 71.“, scherzt er im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Vor 28 Jahren begann für ihn ein neues Leben – mit einem neuen Herzen. Und davon möchte Weber gerne erzählen. „Ich will den Menschen zeigen, wie lange man mit einem fremden Herzen leben kann“, betont er. Angefangen hat alles im Jahr 1979. Damals arbeitete er als Maurer und Vermessungstechniker, renovierte sein Haus und spielte Handball. „Ein- bis zweimal pro Woche habe ich beim TSG Godramstein trainiert. Plötzlich bin ich im Training nicht mehr richtig auf Touren gekommen“, erinnert sich Weber. Vom Hausarzt gab es Sportverbot – zu spät. Die Diagnose: Eine zu große Herzkammer und eine undichte Herzklappe. Wie konnte das passieren? Weber hatte damals jeden Winter Fieber, sich nichts weiter dabei gedacht. Eine nicht ausgeheilte Angina hatte dann zu einer Herzentzündung geführt. Weber ist kein Einzelfall: „Wir Kardiologen sehen so etwas recht häufig“, sagt Philipp Raake, Leitender Oberarzt der Abteilung für Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, auf Nachfrage der RHEINPFALZ. „Körperliche Anstrengung bei einer Erkältung ist ein großer Risikofaktor.“ Mit Sportverbot, Medikamenten und regelmäßigen Kontrolluntersuchungen schaffte Weber es bis ins Jahr 1983. Dann musste ein Herzschrittmacher her. Nach einem Jahr hatte der sich aber aus Walters Körper herausgearbeitet. „Heutzutage passiert so etwas kaum noch. Vor 30 Jahren sah es aber noch anders aus. Wahrscheinlich ist damals eine Sonde gebrochen“, sagt Raake. Der Schrittmacher kam zunächst in die linke Brust und schließlich in den Bauch. So konnte Weber einige Jahre überbrücken. Im Jahr 1989 war dann ein Kasten Sprudel eine kaum noch zu bewältigende Herausforderung. „Auf einer Treppe mit 17 Stufen musste ich drei Pausen einlegen“, erinnert sich Weber. Ohne neues Herz wären seine Tage nun gezählt, sagten die Ärzte. Damals war Walter 42 Jahre alt. „Die Info musste ich erst einmal verdauen“, erinnert er sich. Besonders groß war die Sorge, ob solch eine Transplantation gut gehen werde. Weber sprach damals mit Menschen, die ebenfalls ein neues Herz bekommen hatten. „Das machte mir Mut.“ Mit der Vorstellung, das Herz eines Verstorbenen zu bekommen, kann sich aber nicht jeder anfreunden: „Einer meiner Bettnachbarn im Krankenhaus ist schließlich gestorben, weil ein neues Herz für ihn keine Option war.“ Für Raake ist das nichts Neues: „Wir haben auch immer mal wieder Patienten, die sich das einfach nicht vorstellen können.“ Heutzutage kann in solchen Fällen die Kunstherztechnologie helfen. „Diese unterstützt das Herz, ersetzt es aber nicht“, erklärt er. Das erste Kunstherz wurde 1986 eingesetzt. Mittlerweile leben manche Patienten mit dieser Technologie fünf bis sechs Jahre, wie Raake sagt. Zum Vergleich: Nach einer herkömmlichen Herztransplantation leben Patienten im Schnitt zwölf Jahre. Im internationalen Vergleich schneide Deutschland damit schlecht ab. „Das liegt an der Vergabeordnung“, sagt Raake. Denn in Deutschland ist die Dringlichkeit das wichtigste Kriterium, um ein neues Organ zu bekommen. „In Zukunft soll aber auch die Erfolgsaussicht stärker berücksichtig werden“, betont der Arzt, der als Mitglied in der Bundesärztekammer an den Richtlinien für Organvermittlung beteiligt ist. Das Hauptproblem beim Thema Herztransplantation sei der Mangel an Spenderherzen. Deshalb kommen auf 200 Herztransplantationen etwa 1000 Kunstherzen. Auch für Patienten ab 65 Jahren ist ein Kunstherz oft die letzte Chance. Denn auf die High Urgency-Liste kommt man nur bis 65. Ältere Patienten hätten kaum eine Chance auf ein Herz, betont Raake. Bei Weber sah es damals noch anders aus. Nach exakt zehn Wochen auf der Warteliste wurde er am 9. August 1990 als Nummer 16 in Heidelberg transplantiert. Nach sieben Wochen durfte er nach Hause. Und wie war das Gefühl mit dem neuen Herzen? „Na ja, es war ein fremdes Organ. Ich versuchte immer zu hören, ob es noch seinen Dienst tut.“ Alter und Geschlecht des Spenders wollte er nicht wissen. Er lebe mit dem neuen Herz sehr gut. Ganz wichtig sei viel Bewegung. Schon zwei Wochen nach der OP ist er bereits täglich zwei Kilometer marschiert. Mittlerweile geht er mit seiner Frau drei- bis viermal pro Woche morgens um halb sieben zum Nordic Walking. Immer drei bis vier Kilometer durch die Weinberge. Hinzu kommen Reha-Sport und Volleyball. Auch auf die Ernährung achtet er. „Zucker ist bei uns verpönt. Deshalb passe ich auch heute noch in meinen Hochzeitsanzug.“ Die Medikamente unterdrücken sein Immunsystem so weit, dass das Herz nicht abgestoßen wird. „Mit geschwächtem Immunsystem muss man natürlich ein bisschen aufpassen“, sagt Weber. So hat er zum Beispiel alle Zimmerpflanzen auf Hydrokultur umgestellt. Denn in normaler Erde können Schimmelpilze entstehen, die dann auf die Lunge gehen. Außerdem lässt er sich jedes Jahr gegen Grippe impfen. Seine Einstellung zum neuen Organ ist pragmatisch: „Dass im Herzen die Seele liegt, das habe ich noch nie geglaubt. Es ist einfach nur ein Muskel und hat nichts anderes zu tun als zu pumpen.“ Seine 69-jährige Frau Anneliese bezeugt: „Mein Mann hat durch das neues Herz kein neues Wesen.“ Weber ist im Verein Herztransplantation Heidelberg und im Bundesverband der Organtransplantierten. Dort trifft er sich mit Angehörigen, frisch Transplantierten und Patienten, die kurz davor sind. „Wenn die Leute dort hören, dass ich schon seit 28 Jahren mit meinem neuen Herzen lebe, dann bin ich für sie immer ein Mutmacher.“

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