Geschichten aus der Geschichte Warum Ronald Reagan Thomas Nast „bemerkenswert“ fand

„Mr. Gorbatschow, tear down this wall“: Ronald Reagan in Berlin.
»Mr. Gorbatschow, tear down this wall«: Ronald Reagan in Berlin.

Ist den noch lebenden ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump der Vater der politischen Karikatur in den USA, der in Landau geborene Thomas Nast bekannt? Ein Brief klärt auf.

Wussten bereits verstorbene Präsidenten der jüngeren Geschichte von seinen Illustrationen und ihrem Einfluss auf Politik und Gesellschaft? Diese Fragen hat man sich im Vorstand des Thomas-Nast-Vereins schon häufig gestellt. Es blieb bisher bei Vermutungen. Ein Schreiben aus den USA an ein Vereinsmitglied im Mai dieses Jahres sorgte für eine Überraschung.

Darin berichtet Wolfgang Mieder, ein international bekannter Sprachwissenschaftler und Sprichwortforscher der University of Vermont, wie er bei seinen Recherchen zu Ex-Präsident Ronald Reagan auch auf Verweise zu Thomas Nast gestoßen ist.

Symbole wichtig für Amerika

Das Weiße Haus in Washington veröffentlichte 1981 in einer seiner regelmäßig erscheinenden Dokumentationen zum aktuellen politischen Geschehen die Rede von Ex-Präsident Ronald Reagan anlässlich des Antrittsbesuchs von Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Während des Staatsempfangs würdigte Reagan die Leistungen und Errungenschaften deutscher Einwanderer für die USA unter anderem auch mit diesen Worten: „Aber einer der bemerkenswertesten deutschen Auswanderer ist der Karikaturist Thomas Nast, der einige ganz besondere Kunstwerke schuf. Er schenkte uns Bilder von Santa Claus, dem republikanischen Elefanten, dem demokratischen Esel und er schuf die Figur des Onkel Sam, die Personifizierung Amerikas auf der ganzen Welt. Diese Symbole waren wichtig für die Amerikaner und ihr Selbstverständnis.“

US- Präsident Ronald Reagan würdigte einst Thomas Nast.
US- Präsident Ronald Reagan würdigte einst Thomas Nast.

Präsident Reagan hatte wohl gute Berater, auch wenn es nicht zutrifft, dass Nast die Figur des Uncle Sam schuf. Die heitere Symbolgestalt der USA existierte schon vor seiner Geburt. Dass ein deutscher Bundeskanzler im Weißen Haus in der Laudatio eines amerikanischen Präsidenten von Thomas Nast und seinen Verdiensten für die Vereinigten Staaten von Amerika erfuhr, ist erstaunlich. Womöglich war der Karikaturist Bundeskanzler Schmidt schon bekannt.

US- Präsident Ronald Reagan würdigte einst Thomas Nast.
US- Präsident Ronald Reagan würdigte einst Thomas Nast.

„Mr. Gorbatschow, tear down this wall“

Die Würdigung Reagans führt den Verfasser dieses Beitrags zu einer etwas provokanten Frage und zu spekulativen Gedanken. Hätte Nast, der gelegentlich auch Präsidenten seiner republikanischen Partei kritisierte, gegen die Politik seines Verehrers seinen spitzen Stift gezückt? Empört hätten ihn wohl Reagans Aufrüstung zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 1981 und seine militärischen Interventionen in den Bürgerkriegsländern El Salvador und Nicaragua. Nasts Antikriegs-Illustrationen standen Reagans Politik entgegen. Zeitlos dokumentieren sie die schrecklichen Folgen des Krieges, das Leid von Frauen und Kindern, die Gefahr des Wettrüstens und visionär das Schweigen der Waffen für immer. Gewürdigt hätte Nast gewiss Reagans Abrüstungspläne in späteren Jahren, die zur Abschaffung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenraketen in Europa führten und seinen leidenschaftlichen Appell an den sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow 1987 am Brandenburger Tor, der den Weg zur Wiedervereinigung öffnete: „Mr. Gorbatschow, tear down this wall!“

Die Schande einer Mauer, die Menschen unterschiedlicher Nationalität, kultureller Herkunft oder Hautfarbe voneinander trennt, hatte Nast 1870 symbolisch und mit historischem Bezug in seinem Werk „The Chinese Wall around the United States of America“ illustriert. In dieser Karikatur versuchen einreisewillige Chinesen die gegen sie errichtete Schutzmauer zu überwinden. Sie werden jedoch von einer aufgebrachten Menschenmenge gewaltsam zurückgedrängt. In dem 1882 erlassenen Gesetz der US-Regierung zum Einreiseverbot von Chinesen für die Dauer von 60 Jahren sah Nast die amerikanische Demokratie durch puren Rassismus erschüttert.

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