Ludwigshafen „Die meisten Verhandlungen sind leise“
Limburgerhof. Wenn Ansgar Schreiner nicht gerade juristische Fälle am Amtsgericht Ludwigshafen verhandelt, widmet sich der Richter der Musik. Der Limburgerhofer leitet das Ensemble Alpha & Omega.
Man muss sich auf beides gut vorbereiten. Es ist wichtig, dass man sich in die Thematik eingearbeitet hat. Das ist bei Musik so und auch bei einer Hauptverhandlung. Und bei beidem gibt es gewisse Regeln und Gesetze, die eingehalten werden müssen, damit man zu einem Erfolg kommen kann. In der Musik, wie in der Gesellschaft. In einem Musikstück hat jede Note ihren Wert und ihre Besonderheit – wir haben Viertelnoten, wir haben ganze Noten, Noten die im Staccato gespielt werden, Noten die im Legato gespielt werden. Diese Vielfalt ist auch bei uns Menschen so. Jeder von uns ist unterschiedlich gestrickt und bringt sich damit in die Gemeinschaft ein. Das fügt sich dann eben – wenn es klappt – zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Wenn jemand vor Gericht steht, lief es vorher aber nicht sehr harmonisch. Ich bin seit Jahrzehnten für Jugendstrafsachen zuständig und muss ganz ehrlich sagen: Wirkliche Konflikte und Konfrontationen vor Gericht sind dort eher selten. Wir haben viele Verhandlungen, bei denen die Jugendlichen einem nach dem Urteil die Hand geben, weil sie das Gefühl haben, in ihrer Art ernst genommen zu werden. Sie müssen sicher sowohl im Chor als auch bei Gericht mal durchgreifen, oder? Ja, man übernimmt eine Leitungsfunktion und versucht ein Ziel zu erreichen, von dem man selbst denkt, dass es gut ist. Sie spielen Orgel und haben die C-Prüfung während Ihres Jura-Studiums gemacht. Sind Musik und Recht eine seltene Kombination? So arg selten ist die nicht. Als ich mit dem Studium begonnen habe, hat einer unserer Professoren gefragt, warum wir Jura studieren. Es kam raus, dass es eine Gruppe von Leuten gibt, die Jura studieren, weil ihre Eltern Jura studiert haben. Es gibt eine zweite Gruppe, die ganz begeistert ist von der Juristerei, Wahrheit und Gerechtigkeit. Und es gibt eine Gruppe junger Leute, die studieren Jura, obwohl sie gar nicht wissen, warum sie Jura studieren. Ich habe mich ein bisschen in diese Gruppe eingereiht. (lacht) In einer weiteren Vorlesung hat mein Professor dann zum Besten gegeben: Wenn man Jura studiert und das sinnvoll machen will, sollte man ein Hobby haben, also auch mal etwas anderes machen. Also die Musik. Er spielte zum Beispiel Posaune. Es gibt übrigens eine Arbeitsgerichtsband in Mainz und einen Chor beim Pfälzischen Oberlandesgericht in Zweibrücken. Ihr Ensemble Alpha & Omega ist nach einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg 2009 und 2010 entstanden. Meine Frau und ich haben damals in beiden Jahren jeweils eine halbe Etappe genommen. Einmal bis nach Lourdes und von dort aus im nächsten Jahr bis Santiago de Compostela. Sie sind den ganzen Weg gelaufen? Gefahren, mit dem Rad. Und was hat das mit Musik zu tun? Wir waren kurz vor Lourdes und haben noch einen kleinen Umweg gemacht. Wir sind an einem Kloster vorbeigefahren, das nennt sich Sobrado dos Monxes. Wir sind dann rein. Alles leer. Eine riesige Kirche, ähnlich wie der Speyerer Dom. Man hat gesehen, dass einige Fenster kaputt waren, das Efeu schon reinwächst. Eine tolle Atmosphäre und eine tolle Akustik. Mit einem leichten Gesang hätte man die ganze Kirche füllen können. Und dann kam uns die Idee: Lass’ uns doch mal Mönchsgesänge probieren. Deshalb haben Sie mit dem Ensemble zunächst gregorianische Choräle gesungen. Ist das eine Musik, mit der man heute noch begeistern kann – Männergesang, ohne Begleitung, aus der Zeit um 600 nach Christus? (lacht) Das frage ich mich auch immer wieder. Wenn wir Konzerte machen, dann liegt das Durchschnittsalter im Publikum natürlich nicht bei 20 oder 30 Jahren. Außerdem singen wir auch andere Musik, mit inzwischen vier Männern und vier Frauen. Sie hatten am Samstag einen Auftritt in Ludwigshafen und sind nun wieder im Amtsgericht. Ist eine Verhandlung eher laut oder leise? Die meisten sind sehr leise. Und wenn es doch mal laut wird, dann genügen meist ein, zwei energische Worte.