Mannheim / Ludwigshafen Ein Korb fürs Leben: Cara Delia Schwab lässt die Flechtkunst wieder aufleben

Das Pfälzer Motto „ned huddle“ gilt beim Ausputzen, wenn Cara Delia Schwab – aufgewachsen in Lingenfeld – die überstehenden Rute
Das Pfälzer Motto »ned huddle« gilt beim Ausputzen, wenn Cara Delia Schwab – aufgewachsen in Lingenfeld – die überstehenden Ruten am fertigen Korb abgeschneidet.

Einst konnten die meisten Menschen Körbe flechten, und Deutschland exportierte filigrane Arbeiten in alle Welt. Diese Fähigkeit ist hier heute fast vergessen und wird nur noch von wenigen kultiviert – aber mit wachsender Begeisterung. Cara Delia Schwab entdeckt als Künstlerin und Ethnologin die Flechtkunst wieder und gibt ihr Wissen in Kursen an der Mannheimer Textilerei weiter.

Wenn Cara Delia Schwab Straßenbahn fährt, mit einem ihrer Körbe über dem Arm baumelnd, erregt sie immer wieder Aufmerksamkeit. „Was, der ist selbst geflochten?!“, fragen Frauen. Kinder möchten ihn anfassen, Teenies wollen lernen, wie man das macht. Und ein alter Mann, der sieht, wie sie ein großes Bündel Weidenruten transportiert, lächelt und zeigt mit dem Daumen nach oben. Die Älteren erinnern sich noch, wie es war, einen Korb selbst zu erschaffen, in den ein Stück Lebenszeit hineinfließt und der als guter Begleiter offen für alles sein wird. „Es ergeben sich oft tolle Gespräche“, erzählt die 42-Jährige. „Körbe sind etwas Besonderes, weil das Flechten eigentlich zu uns Menschen gehört. Es steckt in uns verborgen.“ Geflochtenes strahlt eben Wärme aus, fühlt sich schön an und ist ein Kreislaufprodukt: „Das Material entsteht aus der Erde und kann wieder verkompostiert werden“, sagt Schwab. „Weidenkörbe halten aber zwei bis drei Generationen: Man kann sie reparieren und auch mal unter der Dusche säubern – das mögen sie gerne.“

Flechten ist ein künstlerisches Spiel mit Form, Farbe und Material.
Flechten ist ein künstlerisches Spiel mit Form, Farbe und Material.

Stolz ist sie auf ein Exemplar mit edlem Lederhenkel und rechteckigem katalanischen Boden. Die Seite ist eingebuchtet, damit sie sich beim Tragen angenehm an die Hüften schmiegt. In ihrem Gartenhäuschen in einer Mannheimer Kleingartenanlage stehen fröhlich-bunte Wickelkörbe, die aus einem Spiralmuster geformt und mit selbstgefärbtem Raffiaband umwickelt sind. Darin experimentierte die Flechtkünstlerin mit verschiedenen Naturfasern, mit Taglilien oder Gräsern aus dem Wald. Sie probiert auch Osterglocken, Stängel von Spitzwegerich oder Blätter vom Drachenbaum aus, immer nach der Grundregel: nach dem Ernten erst gut trocknen, damit sie schrumpfen, und vorm Flechten wässern, um die Fasern wieder biegsam zu machen. Extravagant wirken die Weidenkörbe, die die Wand schmücken und deren Ninsenboden durch ein geometrisches Muster besticht, das eine dänische Flechterin erfunden hat.

„Eine krasse Lernkurve“

Der Kreis der Eingeweihten, die das alte Handwerk aufleben lassen und zu einer Kunstform weiterentwickeln, ist überschaubar. Cara Delia Schwab ist international vernetzt, reist umher, um verschiedene Techniken zu lernen, und gibt ihr Wissen auf Instagram und in Kursen im Studio der Handarbeit bei der Mannheimer Textilerei (https://textilerei.next-mannheim.de/) weiter.

„Es kann eine Selbstermächtigung sein, das Flechten zu lernen. Unsere Hände sind dafür gemacht, so etwas zu tun und nicht nur eine Maus über den Schreibtisch zu schieben“, sagt Schwab, die Ethnologie und Soziale Arbeit studiert hat und beruflich in Ludwigshafen arbeitet – mit Menschen und doch viel zu oft am Computer. Neulinge im Flechten sind überrascht, wie körperlich anstrengend die Arbeit ist, und wachsen dann daran, dass sie Probleme überwinden, die sich nicht mit einem Tastenklick lösen lassen. „Ich hatte selbst eine krasse Lernkurve“, sagt Schwab.

Körbe mit raffiniertem Ninsenboden wirken auch als Wandschmuck.
Körbe mit raffiniertem Ninsenboden wirken auch als Wandschmuck.

Es waren die Pflanzen, die sie zuerst riefen. In der Corona-Zeit ging sie viel wandern, dann auf längere Touren, übernachtend abseits in den Wäldern, sodass sie entsetzt war, als sie von ihrer Reise in die Stadt zurückkam. Wie leben wir eigentlich, fragte sie sich und besuchte Angebote einer Wildnisschule. Das Flechten eines Korbs aus Brombeerranken fiel ihr schwer. „Das war nicht meins“, erinnert sie sich. Aber als sie 2021 den Garten in einer Kleingartenanlage übernahm, kippte ein Weidenbaum unter der Schneelast um, weil sie ihn nicht geschnitten hatte. Sie holte das nach, und da sie die die Ruten nicht vergeuden wollte, flocht sie einen Zaun daraus. Die Zufriedenheit darüber hat sie motiviert.

Wenn die Zeit anders vergeht

Sie suchte nach Kursen, etwa an der Volkshochschule, in denen es dauerte, bis sie die geradezu mathematisch komponierten Muster begriff und die Hände wussten, was sie tun sollten. Im ungewohnten Zusammenspiel aus Körper und Kopf müssen erst neuronale Verbindungen im Gehirn geschaffen werden, bis das Flechten zu einer einfachen Bewegung wird, bei der die Zeit anders vergeht. Still und ganz auf den Moment konzentriert oder so gesellig wie früher, als die Korbmacher-Familien an Winterabenden ihre Lieder sangen.

Während Cara Delia Schwab erzählt, hält sie einen fast fertigen bauchigen Weidenkorb zwischen den Beinen und kürzt überstehende Enden der Ruten. Beim „Ausputzen“ müsse man wissen, was man tut und dürfe „net huddle“, heißt es bei Pfälzer Korbmachern, sagt Schwab, die in Lingenfeld aufgewachsen ist. Mit Erfahrung erspüren die Hände irgendwann intuitiv die Dicke des Materials, wie hart es ist und wie viel Druck ausgeübt werden muss, ohne dass es bricht. Weder Maschinen noch Künstliche Intelligenz sind dazu bisher in der Lage. Alle Flechtarbeiten auf der Welt sind in Handarbeit entstandene Unikate, denen Menschen ihre Zeit gewidmet haben und für das Pflanzen gewachsen sind.

Wenn man Fasern gegenläufig verzwirnt, entsteht eine Kordel.
Wenn man Fasern gegenläufig verzwirnt, entsteht eine Kordel.

Es ist eins der ältesten Handwerke der Menschheitsgeschichte, noch älter als das Weben. Bereits in der Jungsteinzeit sind Körbe fürs Sammeln von Beeren und Kräutern entstanden, die heute nicht weiter verbessert werden können. Die Römer pflegten den Weidenanbau, und Abbilder auf Grabmälern zeugen von aufwendig geflochtenen Stühlen.

Boom zur Jahrhundertwende

Im Laufe der Geschichte fertigte hierzulande jeder das Flechtwerk an, das er für seine Zwecke benötigte, Früchtekörbe, Fischreusen, Vogelkäfige oder Zäune. Es soll ein mittelalterlicher Brauch gewesen sein, dass sich der Mann von seiner Angebeteten im Korb zum Fenster hochziehen ließ; doch wenn sie nicht interessiert war, fiel er mit Korb zu Boden: Der Verschmähte „bekam einen Korb“, der uns bis heute als Redewendung erhalten blieb.

Für ärmere Leute war es ein Nebenerwerb, am Fluss die einjährigen Ruten der Weiden zwischen Dezember und März zu ernten und mit der ganzen Familie Körbe zu fertigen. Die erste Korbmacherzunft entstand 1590 in München, und die Feinflechterei entwickelte sich als Kunst, nachdem 1772 der Weidenhobel zum Spalten erfunden wurden. Dadurch konnten fortan filigrane und spezielle Formen gefertigt werden bis hin zu Kleiderständern oder Kinderwagen. Um die Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg boomte die Nachfrage nach Korbwaren, die von Arbeitern im Akkord gefertigt und in alle Welt verschickt wurden. Bis in die 1960er-Jahre gab es noch eine Innung der Korbflechter.

Der Pappkarton ist schuld

Doch erst der Pappkarton, dann der Plastikbehälter ersetzte den Korb. Dazu drängten aus Asien billigere Produkte aus Rattan oder Peddigrohr nach Europa. Und heute weiß Otto-Normalverbraucher nicht mehr, wie man Brombeerranken oder Brennnesseln zur Schnur verzwirnt, wie man sie über die Staken windet, bis sich ganze Korbwände hochziehen. Es ist, als würde man in einigen Jahrzehnten nicht mehr von Hand schreiben können, und nur noch wenige beherrschten die Kalligrafie.

Um das Wissen zu bewahren, ist die Flechtkunst als immaterielles Unesco-Welterbe anerkannt. Das Korbmuseum in Dahlhausen erinnert an die Geschichte und lädt internationale Lehrer zum Flechtsommer ein, ebenso wie die einzige verbliebene Schule in Lichtenfels, die jährlich den Korbmarkt veranstaltet. Korbmacherinnen – denn die einstige Männerdomäne wird als Textilkunst verstärkt von Frauen erobert – rund um den Globus tauschen sich heute aus und experimentieren mit Techniken vom anderen Ende der Welt. „Techniken, die tausende Jahre alt und auf der ganzen Welt unabhängig voneinander entstanden sind“, sagt Cara Delia Schwab. Für die Ethnologin mit ihrem Interesse an anderen Kulturen schließt sich damit ein Kreis im Lebenslauf. Glatt und rund wie ein Korb.

Kontakt

Cara Delia Schwab bietet immer wieder Kurse an, die sie auf ihrer Instagram-Seite die_handflechterei https://www.instagram.com/die_handflechterei/ ankündigt

.

x