Ludwigshafen „Können uns und euch und niemandem helfen“

Probenszene aus der Mannheimer „Mahagonny“-Oper mit dem markanten Bühnenbild von Ines Nadler.
Probenszene aus der Mannheimer »Mahagonny«-Oper mit dem markanten Bühnenbild von Ines Nadler.

Letzte Neuproduktion des Mannheimer Musiktheaters in dieser Spielzeit ist ein Stück, das die Tradition der Gattung in satirischer Haltung aufs Korn nimmt. An Aktualität seiner Gesellschaftskritik hat Bertolt Brechts und Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in den seit seiner Uraufführung vergangenen 87 Jahren nichts eingebüßt. Am Nationaltheater führt Markus Dietz Regie, die musikalische Leitung hat Benjamin Reiners.

Markus Dietz begann seine Theaterlaufbahn als Schauspieler, unter anderem am Staatstheater in Kassel und an der Freien Volksbühne in Berlin unter Hans Neuenfels. Inszeniert hatte er danach regelmäßig an wichtigen deutschen Bühnen, war Hausregisseur am Schauspiel Leipzig und arbeitet heute als Oberspielleiter des Schauspiels in Kassel. In Kassel wird er in den kommenden Jahren auch Janaceks „Jenufa“ und Wagners „Ring des Nibelungen“ in Szene setzen, nachdem er inzwischen auch in der Oper tätig ist. „Mahagonny“ wurde von seinen Autoren als epische Oper (im Gegensatz zur traditionellen dramatischen und in Anlehnung an Brechts Begriff vom epischen Theater) bezeichnet. Ein halbes Jahrhundert später hätte man von Antioper gesprochen. Das zentrale Thema von „Mahagonny“ ist die Genussgier. Vorgeführt wird die rücksichtslose menschliche Glückssuche unter den Bedingungen des Turbokapitalismus. Die Handlung dreht sich um Holzfäller, die ihre Ersparnisse verprassen wollen in Mahagonny, der von drei flüchtigen Verbrechern gegründeten fiktiven Hauptstadt des entfesselten, zügellosen Genusses. An einem Ort, an dem alles möglich (und unmöglich) ist, wo keine Gesetze herrschen, moralische Skrupel, Regeln des Anstands und Gerechtigkeit unbekannt sind, wo alles käuflich ist und zur Ware wird. Als einzige Sünde gilt, kein Geld zu haben. „Mahagonny“, erklärte Brecht, „ist ein Erlebnis. Denn: ,Mahagonny` ist ein Spaß“. Die erste Frage an Markus Dietz beim Gespräch bezog sich daher auf seine Sicht auf das Stück, den Grundgedanken seiner Inszenierung. „Ich habe keine vorgefasste Meinung zu den Stücken, die ich in Szene setze“, antwortet der Regisseur. „Ihnen von vornherein feststehende eigene Gedanken überzustülpen, ist nicht meine Art. Stattdessen lese ich den Text und erfasse den Inhalt. Daraus ergibt sich dann die Regie.“ Musikalisch stelle „Mahagonny“ eine sehr vielschichtige Vorlage dar, führt der Regisseur aus, in der Travestien Bachscher Choräle und Fugen, Arien und Märsche, Filmmusik und Tanzstücke dicht nebeneinander stehen. Das zentrale Element von Ines Nadlers Bühnenbild werde eine bewegliche, verstellbare Wand bilden mit optischen Chiffren aus unserem Alltag. Die inszenatorische Absicht sei in Bildern und im Spiel der Darsteller ein desillusionierendes episches Theater. Diese Spielweise, so Dietz, habe er noch während seiner Ausbildung an der Hamburger Schauspielschule aus zweiter Hand vermittelt bekommen: von Brecht-Schauspielern, die am Berliner Ensemble noch selbst mit dem großen Theatermann zusammengearbeitet hatten, und von Erich Engel, der dort regelmäßig Regie geführt hatte. Für Dietz schildert „Mahagonny“ eine Geld- und Spaßgesellschaft, in der sich durch Bestechung alles erreichen lasse und die Werte ins Wanken geraten seien. Ein Mörder werde dort freigesprochen, weil er das Gericht bestochen hat, und einer, der im Wirtshaus die Zeche geprellt hat, wird zum Tode verurteilt, da er über das für die Bestechung nötige Geld nicht verfügt. Auch findet sich keiner in dieser gnadenlos materialistischen Gesellschaft bereit, ihm den niedrigen Betrag zu schenken oder zu leihen. „Wir können uns und euch und niemandem helfen“, heißt es in Brechts Libretto zur „Mahagonny“-Oper. Diese Konstellation findet der Regisseur erschreckend ähnlich heutigen Verhältnissen und Einstellungen und „Mahagonny“ daher höchst aktuell. Was er außerdem beklagt, ist der Rückgang von Allgemeinbildung, die in unserer Gesellschaft zu beobachten sei. „Heute“, sagt Markus Dietz, „geht viel Kulturgut verloren, was bedrückend ist. Handelt es sich doch dabei um die Basis unseres Handelns“. Er seinerseits ist immerhin überzeugt von seiner Tätigkeit: „Theatermachen ist etwas Schönes“, sagte er. Termine Premiere am Samstag, 1. Juli, 19 Uhr, im Opernhaus des Mannheimer Nationaltheaters; weitere Vorstellungen am 5., 14., 19. und 26. Juli. Dann wieder in der neuen Spielzeit am 17. September, 12. und 15. Oktober. Kartentelefon: 0621/1680150.

Regisseur Markus Dietz.
Regisseur Markus Dietz.
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