Ludwigshafen „Mogeln, sich herausreden“

Buchstabensalat: Nicht allen fällt es leicht, aus Buchstaben Wörter zu formen, diese zu lesen oder zu schreiben.
Buchstabensalat: Nicht allen fällt es leicht, aus Buchstaben Wörter zu formen, diese zu lesen oder zu schreiben.

Seit 40 Jahren bietet die Volkshochschule (VHS) Kurse für „funktionale Analphabeten“ an; seit 15 Jahren besteht die Selbsthilfegruppe Analphabeten Ludwigshafen-Mannheim (Saluma). Immer noch soll es 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland geben.

„Ich hab immer meinen Mann mitgenommen“, erzählt die 57-jährige Sirikit, wie sie das Problem mit den Buchstaben ein Leben lang gemeistert hat. „Ich hab’ immer dieselben Produkte gekauft“, ging Thorstens Weg an schriftlichen Alltagsinformationen vorbei. „Wenn ich auf dem Amt war, hab’ ich immer die Lesebrille vergessen“, erzählt Gudrun am Freitag auf der Fachkonferenz, mit der VHS und Saluma die runden Jahreszahlen ihres Wirkens feiern. „Das sind doch deutliche Zeichen von Kreativität und Intelligenz“, kommentiert Elfriede Haller, die seit mehr als 30 Jahren Lese- und Schreibkurse in der VHS gibt, die Erfahrungen der Saluma-Mitglieder. Als „raffinierte Strategien, um das Leben zu meistern“ interpretiert Haller, was den Betroffenen selbst wie „mogeln, sich herausreden“ vorkomme und zu einer permanenten, schambesetzten Selbstwahrnehmung führe. „Ein funktionaler Analphabet kann zwar Buchstaben, Wörter und einzelne Sätze lesen und schreiben“, erklärt VHS-Leiterin Stefanie Indefrey die Begrifflichkeit. „Er hat aber Mühe, einen längeren zusammenhängenden Text zu verstehen“, so die 55-Jährige weiter. 60 Prozent aller funktionalen Analphabeten hierzulande seien Männer. Diese Angaben wie auch die geschätzte Gesamtzahl der Betroffenen gehen auf eine Studie der Universität Hamburg zurück. „Die Beratungsstelle der VHS Ludwigshafen war bundesweit unter den ersten, die mit zunächst knapp 20 ausschließlich deutschen, erwachsenen Teilnehmern ein Kursangebot gestartet hat“, erinnert sich die heutige Bereichsleiterin Weiterbildung, Hedwig Kiefer, an den Beginn ihres Berufslebens. „Es gab weder Lehrkräfte, die für die Lese- und Schreibkurse ausgebildet waren, noch gab es Materialien“, schildert die 62-Jährige. „Wir hatten nur die Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht hat, diese Kulturtechniken zu beherrschen, um gleiche Chancen in der Gesellschaft zu haben“, sagt Kiefer. „Vernetzung“ war der zentrale Begriff der Fachkonferenz, bei der es neben der Reflexion des Vergangenen vor allem um künftige Herausforderungen ging. „Wie kommen wir noch näher an die Leute ran? Wie können wir sie ansprechen? Wo sollten bereits Weichen in Richtung des Hilfeangebots von VHS und Saluma gestellt werden?“, lauteten die Fragestellungen, die die rund 30 Konferenzteilnehmer – Experten, Vertreter der Landes- und Lokalpolitik wie auch der Wirtschaft – im Anschluss an die Festvorträge diskutierten.

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