Ludwigshafen „Overath spielt auch nicht mehr beim FC“

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Andere feiern ihren 65. und den Eintritt ins Rentenalter richtig groß – Wolfgang Niedecken hat sich an seinem Geburtstag lieber in die Berge verzogen und ist mit seiner Frau Tina wandern gegangen. Dass es die Band BAP seit 40 Jahren gibt, zelebriert der Kölsch-Rocker indes mit einer Tour und gastiert dabei auch in Ludwigshafen. Ein Gespräch über Ruhestand, Meinungsfreiheit, das Musikgeschäft und die unerschütterliche Liebe zum 1. FC Köln.

Wolfgang Niedecken, Sie sind im Frühjahr 65 geworden – auch wenn hierzulande inzwischen über die Rente mit 70 diskutiert wird: Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, in den Ruhestand zu gehen?

Nicht die Bohne! Ich war total überrascht, dass mein 65. Geburtstag ein Medienthema war. Ich dachte immer, nur die runden Geburtstage interessieren – aber 65? Das ist mir erst bewusst geworden, als es in den Medien hieß: Der Niedecken könnte jetzt eigentlich auch in Rente gehen. Da habe ich mir kurz Gedanken gemacht, um dann direkt zu sagen: Das ist nicht mein Thema. Sie könnten sich also ein ruhiges Leben als Privatier gar nicht vorstellen? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Wenn man sein Hobby zum Beruf gemacht hat, denkt man ja nicht: Ich gehe jetzt mal für anderthalb Stunden auf die Bühne und singe von „Waschsalon“ bis „Verdamp lang her“ alles, was das Publikum hören will – und mache anschließend das, was ich gerne tue. Ich mache ja wirklich die ganze Zeit nur das, was ich wirklich will. Wie war das denn 2011 nach Ihrem Schlaganfall – haben Sie damals daran gedacht, sich von der Bühne zurückzuziehen und kürzer zu treten? Da schon gar nicht. Damals habe ich mich darauf konzentriert, in der Reha wieder in die Gänge zu kommen, denn mein Sprachvermögen war weg, ich hatte Schwierigkeiten klar zu denken und konnte noch nicht einmal einen zusammenhängenden Artikel in der Zeitung lesen: Das war wirklich ein Horror. Insofern hatte ich alle Hände voll zu tun – da gab es keinen Gedanken, halblang zu machen und mir eine Hängematte zu kaufen. Dann also lieber „Lebenslänglich“, wie ja auch das Motto von Album und Tour lautet – ein wenig mehr Gelassenheit legen Sie inzwischen aber schon an den Tag, oder? Das auf jeden Fall. Allerdings war ich vorher auch schon gelassen, denn man drückt ja nicht eben mal kurz die Gelassenheitstaste: Das ist ein Prozess. Wobei ich selbst ja noch ein anderes Bild von mir habe: Wenn ich mich manchmal im Fernsehen sehe, dann wirke ich da schon sehr gelassen – auch wenn ich es innen drin weniger bin. Doch Gott sei Dank können die Leute ja nicht in mich reingucken. Dann verraten Sie uns doch zumindest jetzt einmal, inwiefern Sie sich verändert haben! Nach dem Schlaganfall habe ich gemerkt: Hoppla, du hast keine Zeit mehr zu verlieren – und dadurch bin ich entschlossener geworden. Ich bin heute viel schneller bereit, meine Konsequenzen zu ziehen und Entwicklungen abzubrechen, von denen ich weiß, dass sie schlecht für mich sind. So viel Zeit habe ich nicht mehr – das ist jetzt keine Larmoyanz, sondern eine nüchterne Feststellung. Wenn ich überlege, wie die durchschnittliche Lebenserwartung ist … … bei uns Männern sind wir inzwischen bei gut 77 Jahren angelangt … … wie lange kann ich das dann hier noch machen? Natürlich werde ich es so lange machen, wie es irgendwie geht und auch niemals sagen, ich mache jetzt eine Abschiedstour. Ich freue mich wie ein Schnitzel, dass Bob Dylan es immer noch macht mit 75: Der weiß schon, warum er es „Never Ending Tour“ genannt hat. Könnten Sie sich eine solche auch vorstellen? Ja, auf jeden Fall – das Live-Spielen ist wirklich das Sahnehäubchen und der eigentliche Grund, wieso die meisten überhaupt in einer Rock ’n’ Roll-Band spielen. Ich könnte mir nie vorstellen, nur noch Platten zu machen und ab und zu einen Playback-Gig im Fernsehen, um die Platten zu promoten: Ich lebe immer auf die Tourneen hin. Zur Vorbereitung auf Ihre aktuelle Tour sind Sie in der Türkei gewesen – warum gerade die Türkei? Ich bin in diesem Ort – ein Naturschutzgebiet westlich von Antalya, wo es keine anonymen Hotelhochhäuser gibt – schon seit 1985 zu Gast. Andernorts ist die türkische Riviera inzwischen leider ja bereits ziemlich verschandelt worden. Was begeistert Sie so an diesem Land, dass Sie seit über 40 Jahren immer wieder dorthin fahren? Damals war es vor allem die Gastfreundschaft und halt eine ganz andere Kultur. Teilweise war das auch eine Zeitreise, man kam irgendwo hin und dachte, die Zeit sei stehengeblieben. Inzwischen ist das in den Urlaubsgebieten natürlich längst vorüber, der Charme verschwunden und sehr viel Neureiches eingezogen. Und nun hat sich auch noch die politische Situation deutlich verändert. Das ist bitter und macht mir große Sorgen, denn die Pressefreiheit dort ist bedroht. In dem wunderschönen Land herrscht mittlerweile eine repressive Angststimmung: Wenn jemand dabei ist, den man nicht kennt, redet man nicht über Politik – das habe ich zuletzt erlebt, als ich vor vielen, vielen Jahren in der DDR nicht sagen durfte, was ich wollte. Und das Schlimme ist: Viele Türken fallen auf diesen Erdogan rein, der immer wieder die Nationalstolz-Karte zückt. Auf der aktuellen Tour wird 40 Jahre BAP gefeiert – was hat sich in diesen vier Jahrzehnten am stärksten im Musikgeschäft verändert? Die Radiolandschaft hat sich bedenklich verändert. Früher haben wir ein Album herausgebracht, mit diesem die Radio-Redakteure bemustert, und dann haben die von dem Album das laufen lassen, was sie gut fanden. Mittlerweile gibt es Research-Programme und dann wird festgestellt, was radiotauglich ist. Da sind wir heilfroh, dass wir eine Live-Band mit gutem Ruf sind und nicht davon abhängig, radiotaugliche Singles herauszubringen. Verändert hat sich ja auch die BAP-Besetzung… Über das Thema kann ich eigentlich nur noch lachen. Als ich jüngst im Radio eine Quiz-Frage nach der vielzitierten Originalbesetzung von BAP stellte, hat das kein Mensch gewusst. Denn die Originalbesetzung ist jene, mit der wir 1976 angefangen haben – was eine andere war als die vom ersten Album 1979. Und die von 1980 ist wieder eine andere als die von 1981/82, als wir überregional bekannt geworden sind – warum also in aller Welt soll ich mich ständig dafür verantworten, dass wir nicht mehr in der Besetzung von 81/82 spielen? Nun, auffällig sind diese vielen Wechsel ja schon. Die verschiedenen Musiker sind aus den verschiedensten Gründen ausgestiegen, und aus den verschiedensten Gründen sind andere reingekommen. Das ist so wie im ganz normalen Leben in einem Kegelverein oder einer Fußball-Mannschaft: Es ist der normale Lauf der Zeit, dass das Personal wechselt – Overath spielt auch nicht mehr beim FC. Aber die Leute hätten halt gerne die Band nach dem „Elf Freunde sollt ihr sein“-Prinzip. Elf Freunde – so wie damals in den 1970er-Jahren, dem erfolgreichsten Jahrzehnt in der Geschichte des 1. FC Köln. Seither hat man als FC-Fan wie Sie eher ein verdammt dickes Frust-Fell entwickeln müssen. Fünf Ab- und Aufstiege später habe ich das auch. Der erste Abstieg 1998 war eine Katastrophe. Mittlerweile bin ich ganz froh, dass wir einen ordentlichen Sportdirektor haben, einen ordentlichen Trainer und ein Präsidium, wo die Eitelkeiten minimalisiert wurden – das fühlt sich momentan alles sehr, sehr gut an. Termine Konzerte mit Wolfgang Niedecken und BAP am Donnerstag und Freitag, 10. und 11. November, 20 Uhr, im BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen. | Interview: Christoph Forsthoff

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