Ludwigshafen Schwarze Melancholie
Warum in die Ferne schweifen, wenn ein musikalisch-literarisches Juwel wie „Villon & Heine“ von Ernst und Johannes Alisch, Vater und Sohn, gleich vor der Haustür liegt? Das Altriper Kulturforum hat die beiden ins Bürgerhaus Alta Ripa geholt. Zu erleben war eine eindrucksvolle Verschmelzung von Musik und Lyrik. Der Schauspieler Ernst Alisch, im Mannheimer Nationaltheater zuletzt als Prospero in Shakespeares „Sturm“ zu sehen, wohnt seit 30 Jahren in Altrip.
Francois Villon und Heinrich Heine sind in der Rezitationskunst beliebt, ihre Gedichte lassen sich mit Musik zu vorzüglicher Wirkung bringen. Aber Vater Ernst und Sohn Johannes ist hier etwas Unerwartetes gelungen: die nahtlose Vereinigung von zwei gegensätzlichen Dichtern in einem Hörbild ohne Pause. Der Umgetriebene im Frankreich auf der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit und der politische Spötter, der ins Pariser Exil getrieben wurde – was haben sie gemein? Francois Villon ist eine der rätselhaftesten Persönlichkeiten der Weltliteratur. Seine lyrische Begabung wurde von hochgestellten Herren bewundert und gefördert. Er hätte komfortabel in ihrer Gunst leben können, aber er war ein „mauvais garcon“, den es zu schweren Jungs und leichten Weibern zog. Vermutlich endete er, erst Anfang 30, am Galgen, den er so oft besungen hatte. In seinen Balladen taumelt er von mittelalterlicher Gottesfurcht zu neuzeitlichem existenziellem Geworfensein. Dieses ist der schwarzen Melancholie Heinrich Heines verwandt. Auf dieser Grundstimmung bauen Vater und Sohn Alisch ihre Performance auf. Große Dichtung soll man stets aufs Neue aus der eigenen Zeit heraus interpretieren. Der Villon-Teil gehört dem Sohn. Atmosphärisch dicht, dramatisch strukturiert, experimentell und improvisierend entwirft er auf der Campanula ein intensives Gefühl von Villons existenzieller Haltung. Die Campanula ist eine Variante des Cellos, auf dem Johannes Alisch ein Spezialist ist. Ernst Alisch pointiert die Musik mit vier Balladen. Deren rotzige moderne Übersetzung verstärkt er durch knarrende Stimmführung. Die beiden ersten Balladen spricht er sitzend mit demonstrativer Beiläufigkeit, handeln sie doch von einem Bittgesuch an den Herzog von Orléans und einer allgemeinen Bitte um Verzeihung, die dem selbstbewussten Villon hörbar schwer fallen. Erst danach richtet sich Alisch zur Rezitation auf, berichtet zart von einer Maus, die der hartgesottene Dichter an sein weiches Herz nimmt, und selbstbewusst von einer verlorenen Existenz: „Ich, Francois Villon, verehrt und angespiehn.“ Im Heine-Teil steht die Rezitation im Vordergrund. Ernst Alisch hat zwei lange, weniger bekannte Gedichte ausgewählt. „Götterdämmerung“ beschwört eine Endzeitvision mitten im Monat Mai. „Achtes Traumbild“ schildert eine Geisterstunde, in der die Toten aus ihren Gräbern aufstehen und berichten, wie die Liebe sie zu Tode gebracht hat. In den plastischen Vierzeilern zieht Alisch alle Register des Schauspielers. Nachdem das Licht erloschen und die Musik verklungen ist, muntert Alisch das Publikum mit einer Zugabe auf: einem frech-fröhlichen Liebesgedicht, wie es so ironisch nur Heine reimen konnte.