Sommer-Interview Warum sich Beat Fehlmann für analytisch versaut und was er vom „Posaunisten“ Trump hält

Beat Fehlmann auf der Terrasse seines verwunschen wirkenden Gartens.
Beat Fehlmann auf der Terrasse seines verwunschen wirkenden Gartens.

Beat Fehlmann ist seit sechs Jahren Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Warum er sich ganz bewusst für Ludwigshafen als Wohnort entschieden hat, was er zum Rechtsruck in Europa sagt und was er einen Donald Trump beim Brunch fragen würde – darüber hat der Schweizer mit Steffen Gierescher gesprochen.

Herr Fehlmann, hört sich Musik im Sommer anders an?
Ja, sie klingt tatsächlich ein bisschen leichter, weil wir damit nach draußen gehen und sie in Open-Air-Situationen präsentieren können. Das ist etwas, was ich als Erlebnis total gerne mag. Grundsätzlich sind wir als klassisches Orchester meistens auf der Ebene der Exzellenz, der Präzision und Genauigkeit unterwegs. Unter freiem Himmel ist das anders, atmosphärisch ist das kaum zu überbieten.

Reagiert auch das Publikum anders?
Open Air ist ja eher der Ausnahmezustand. Wenn es diese stimmungsvollen Momente gibt, wo Natur und Kultur zusammentreffen, dann löst das schon andere Interaktionen aus als im immer gleich verdunkelten Saal. Das Uniforme ist weg. Da pfeift auch mal ein Vogel dazwischen. Das hat einen Einfluss darauf, wie man zuhört und wie man sich fühlt. Dann ist alles anders, natürlich auch das Publikum.

Interagieren die Leute mit dem Orchester je nach Land unterschiedlich?
Da gibt es starke regionale Unterschiede. Dennoch glaube ich, dass speziell Deutschland und Österreich Länder sind, in denen die Musikkultur eine extrem wichtige Rolle spielt und die Klassik vielen Menschen vertraut ist. Vertrauter jedenfalls als anderswo. Das merkt man bei der Hörgewohnheit und an dem höheren Grad von Abgeklärtheit. Das Dargebotene muss dann schon etwas Besonderes sein. Auf der anderen Seite spürt man als Künstler, wenn Musik differenzierter wahrgenommen wird, und freut sich, wenn sie die Zuhörer berührt. Das heißt aber nicht, dass der Job dann einfacher ist. Am Ende geht es darum, dass alle ein möglichst eindrückliches Erlebnis haben.

Welcher Konzerttyp ist Beat Fehlmann, wenn er im Publikum sitzt?
Ich bin sehr aufmerksam und analytisch versaut (lacht). Die professionelle Musikerebene kann man nicht so einfach verlassen. Sie achten als Journalist vermutlich auch auf sprachliche Formulierungen oder den Schreibstil und bemerken einen Kommafehler eher als andere. So ähnlich ich es bei mir bei der instrumentalen Umsetzung. Ich kann es nie abstellen, die Komponisten-Perspektive einzunehmen. Das heißt: Man hört etwas und denkt sofort mit, was der nächste Schritt ist. Ich höre sehr strukturell zu, bin aber auch emotional und kann das durchaus genießen. Geht es um Musik, ist das aber sicher eine andere Form des Kunstgenusses für mich.

Der Intendant an der Eingangstür zum „Blauen Haus“ in der Heinigstraße, das nur wenige Meter von seinem Büro entfernt liegt.
Der Intendant an der Eingangstür zum »Blauen Haus« in der Heinigstraße, das nur wenige Meter von seinem Büro entfernt liegt.

Wohin würden Sie sich gerne beamen lassen, wenn das, wie bei Scotty im Raumschiff Enterprise, möglich wäre?
(denkt länger nach) Oh, das fällt mit jetzt gar nicht so einfach. Und ich frage mich gerade, warum? Vielleicht weil ich zuletzt viel unterwegs war in sehr schönen, historischen Städten, wie Parma. Und es ist ja auch immer wieder ein kleiner Schock, wenn man nach Ludwigshafen zurückkommt.

Inwiefern?
Na ja, dieses raue Ludwigshafen. Man fährt rein und sieht diese halb abgebrochenen Brücken. Trotzdem ist es ein Ort, der mir sehr viel bedeutet.

Warum?
Weil so viel drinsteckt. Das hat auch immer mit Menschen zu tun.

Sie haben sich ganz bewusst entschieden, in Ludwigshafen zu wohnen.
Das stimmt. In dieser Stadt finden Kunst und Kultur ihren Platz. Beides kann einen Unterschied machen. Es ist schön, das zu erleben. In Städten, die sehr saturiert sind und fast schon ein Überangebot haben, ist das ein ganz anderes Setting.

Sie meinen: New York, London, Berlin oder Wien kann jeder?
Genau. In Ludwigshafen bekommt man ein viel direkteres Feedback. Diese unmittelbare Rückmeldung zu haben, schätze ich sehr. Man muss sich nicht immer nur selbst vergewissern, ob das, was man macht, wahnsinnig wichtig ist (lacht). Hier bekommt man das sofort zurückgespiegelt. Ich finde es sehr aufregend, hier Dinge zu verwirklichen. Für mich ist es wichtig, den Puls der Stadt zu verstehen. Und das funktioniert am besten, wenn man vor Ort lebt. Ich arbeite und wohne in der Innenstadt. Man kann sich sehr frei bewegen. Schade finde ich, dass es hier extrem getrennte Welten gibt. Man lässt sich einerseits in Ruhe, kümmert sich andererseits aber auch nicht umeinander.

Wie gehen Sie damit um?
Das treibt mich in meiner Arbeit unheimlich an, weil ich versuche, eine Verbindung zwischen diesen Welten herzustellen. Wenn es diese besonderen Momente der Begegnung gibt, merkt man speziell im Zentrum, also dort, wo es so unterschiedliche Blasen gibt, dass etwas daraus entstehen kann. Gelingt es in diesem Bereich, Gemeinschaft zu schaffen, dann wird das sehr dankbar angenommen.

92 Musiker aus 21 Nationen: die Deutsche Staasphilharmonie Rheinland-Pfalz.
92 Musiker aus 21 Nationen: die Deutsche Staasphilharmonie Rheinland-Pfalz.

Welche Komposition würde zu den Hochstraßen passen? Sie arbeiten und leben ja zwischen beiden Trassen.
Solche Straßen durch eine Stadt zu legen, ist ein brutaler Einschnitt, optisch etwas stark Trennendes, aber gleichzeitig wichtig für den Individualverkehr. Was mich da inspirieren würde, wäre diese Schnittstelle zwischen Individuum und Kollektiv.

Klingt nach großem Paukenschlag.
Die Pauke wäre wohl dabei (lacht).

Was sagen Sie dazu, dass die Stadt die finanzielle Förderung für die „Ugliest City Touren“ eingestellt hat?
Ich finde das schade, weil Ironie ein gutes Mittel ist, diesem fragwürdigen Titel „Hässlichste Stadt Deutschlands“ mit solchen Stadttouren zu begegnen. Das Schönheitsbild, das ich von einem urbanen Raum habe, hat zwar wenig mit Ludwigshafen gemein. Dennoch halte ich es für eine lebenswerte und inspirierende Stadt – eine Art Möglichkeitsraum, der sehr interessant ist. Ich versuche, darauf bewusst zu reagieren, aber nicht im Sinne, etwas entweder schön- oder komplett schlechtzureden.

Haben Sie hier einen Lieblingsplatz?
Nicht unbedingt, die Parkinsel ist natürlich sehr einladend. Aber ich bewege mich weitgehend zwischen meinem Büro und dem „Blauen Haus“ gegenüber, wo ich wohne – ein historisches Gebäude mit tollem Garten, in dem ich mich sehr wohl fühle. Es hat viel Flair, es ist ein sehr schöner Ort.

Die Farbe Blau spielt jetzt auch politisch eine größere Rolle. Die AfD hat bei der Kommunalwahl hohe Zugewinne verzeichnet und sitzt mit zwölf Mandatsträgern im neuen Stadtrat. Wie geht’s Ihnen damit?
Das beobachte ich mit Sorge. In meiner Heimat hatten wir eine ähnliche Entwicklung mit der Schweizerischen Volkspartei, SVP. Die Rechtspopulisten hatten vor 15, 20 Jahren viel Auftrieb. Das waren damals ähnliche Mechanismen. Die SVP hat aus der Protesthaltung agiert. Das Dagegensein war eine veritable Position, mit der sich viele identifizieren konnten. Nach dem Motto: Endlich sagt mal jemand Dinge, bei denen sich etablierte Parteien schwer tun, sie zu benennen. So wurde die SVP automatisch mit eingebunden in die Verantwortung. Da hat relativ schnell eine Entzauberung stattgefunden, weil man nicht nur gegen etwas sein kann, sondern einen Beitrag leisten musste. Ist halt alles doch ein bisschen komplexer als nur Schwarz-weiß. Tabuthemen auszusparen, ist hingegen immer gefährlich. Die Schweiz hat viel dazugelernt, mit so einer Haltung umzugehen. Problematisch ist es, wo man die Grenze zieht – und Deutschland ist von der Historie her natürlich eine ganz andere Nummer als die Schweiz.

Am 9. Juni war auch Europawahl, ebenfalls mit einem Rechtsruck. Die Schweiz ist ein neutraler Staat inmitten Europas. Wären Sie dafür, dass ihr Heimatland der EU beitritt?
(denkt kurz nach) Ja, ich würde für diesen Weg stimmen, aber aktuell ist das nicht realistisch. Da würde sich momentan keine Mehrheit finden. Für völlig ausgeschlossen halte ich das in der Zukunft aber nicht.

Beat Fehlmann im Jahr 2020 während der Renovierung des Probensaals.
Beat Fehlmann im Jahr 2020 während der Renovierung des Probensaals.

Welche Rolle kann Musik oder Kultur spielen, den zahlreichen Krisen weltweit mit Optimismus zu begegnen?
In Krisen- oder Kriegsgebieten gibt’s oft nur Freund und Feind. Kunst und Kultur haben die wichtige Aufgabe, wieder Verbindungen herzustellen.

Es fehlen also die Zwischentöne?
Genau. Dabei gibt es so viel Verbindendes. Das herauszustellen, kann Kunst, Kultur und gerade Musik auf einer sehr emotional erlebbaren Ebene leisten. Sie berührt einen intellektuell, aber auch körperlich. Und Musik macht man – nicht nur im Fall eines Orchesters – zusammen. Diese Harmonie, dieser Prozess ist enorm wichtig, um wieder Perspektiven zu finden. Letztlich haben wir die Wahl, wie wir zusammenleben. Wir müssen nur einen gemeinsamen Weg finden, diesen zu gestalten. Den Klimawandel können wir nicht mehr zurückdrehen, aber wir können und müssen ihn gemeinsam beeinflussen. Alleingänge führen selten zum Erfolg.

Vom Alleingang zum Doppelpass: Wo verbringen Sie als Paar den Sommer?
Die letzten fünf Sommer sind wir zu Hause geblieben. Wir waren ausgiebig Wandern im Pfälzerwald. Dieses Jahr fahren wir in die Bretagne. Meine Frau hat sehr lange in Frankreich gelebt und ist sehr frankophil. Man kommt gut mit dem Zug hin, wir freuen uns aufs Meer und ein anderes Klima. Ansonsten bin ich ein Mensch, der auch sehr gerne in den Bergen unterwegs ist – gerade im Sommer.

Wie sieht für Sie ein perfekter Sommerabend aus?
Entspannt draußen am Tisch sitzen, im T-Shirt oder maximal in einem leichten Jäckchen, und etwas Leckeres essen und trinken.

Bier oder Wein?
Wein.

Rot oder Weiß?
Kommt aufs Essen an, eher Weiß.

Mit welchem Promi würden Sie sich gerne zum Sommerbrunch treffen?
(denkt länger nach, sehr lange ...)

Dann schlage ich Ihnen jemanden vor: Wie wär’s mit Donald Trump?
Sehr ungern. Und schon gar nicht im Urlaub.

Weil der Kaffee womöglich im Gefängnis serviert würde?
(Lacht) Angesichts dessen, was ich vorhin über unterschiedliche Standpunkte gesagt habe, müsste ich eigentlich mit ihm reden, gerade, weil ich ihn total daneben finde. Er ist wirklich so ein Idiot.

Was würden Sie ihn fragen?
Ich würde versuchen, das Gespräch so zu gestalten, dass man über das Plattitüden raushauen, das ja seine Domäne ist, hinwegkommt. Gelingt das, würde ich ihn fragen, was ihm wirklich wichtig ist. Was verbirgt sich hinter der öffentlichen Figur Trump? Das würde mich tatsächlich interessieren. Da ist ja bei ihm wahnsinnig viel Maske und Kalkül. Ist er strategisch oder einfach nur impulsiv, und woher kommt seine Haltung?

Welches Instrument passt zu ihm?
Ein Blechbläserinstrument, vielleicht die Posaune. Das wäre zwar hart für die ganze Posaunenwelt, aber er posaunt ja ständig irgendetwas heraus.

Der Ton macht bekanntlich die Musik.
Vielleicht sollte man ihm das mal erklären (lacht herzhaft).

Zur Person: Beat Fehlmann

Der in Aarau im Schweizer Kanton Aargau geborene Beat Fehlmann ist seit 2018 Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Sie hat 120 Mitarbeiter, darunter 92 im Orchester, die aus 21 Nationen stammen. Der Vertrag des ausgebildeten Klarinettisten und Komponisten läuft noch vier Jahre. Zuvor trug der inzwischen 50-Jährige die Verantwortung für die Südwestdeutsche Philharmonie in Konstanz. 2022 ist Fehlmann für seine innovative Arbeit der Kulturpreis der deutschen Orchester verliehen worden. Seit 2013 ist er mit einer Keramikerin – eine Landsfrau – verheiratet. Das Paar und ihr Hund – ein Kromfohrländer – leben im „Blauen Haus“ direkt gegenüber der Staatsphilharmonie.

Zur Sache: Sommer-Interview

In den Sommermonaten sprechen wir mit Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen über Gott und die Welt, über Sehnsuchtsorte, Urlaubspläne, Berufliches und ihren Bezug zur Region und zur Stadt.

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