Ludwigshafen „Wir spielen tollen Handball“

Zweimal wurde die SG Flensburg-Handewitt bislang Deutscher Handball-Meister: 2004 und 2018.
Zweimal wurde die SG Flensburg-Handewitt bislang Deutscher Handball-Meister: 2004 und 2018.
Herr Machulla, in der Rückrunde der vorigen Meistersaison ein Spiel verloren, diese Saison bislang keins. Nach so einem imposanten Lauf steigen doch automatisch die Erwartungen. Doch Sie sagten nach dem Titelgewinn, dass der Druck für Sie und die Mannschaft nun viel geringer sei. Wieso? Maik Machulla:

Er ist geringer, weil wir das ganz große Ziel erreicht haben. Dieses Ziel möchten wir am liebsten noch einmal erreichen, daher arbeiten wir weiter hart daran. Wir wissen aber auch, was es bedeutet, im Handball Titel zu gewinnen. Du brauchst ganz, ganz viel Leidenschaft, ganz viele Punkte und natürlich Glück mit Verletzungen. Wir mussten sechs Spieler neu integrieren. Das ist eine große Aufgabe in einem Mannschaftssport wie Handball, wo sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Es dauert, bis die Automatismen, die Abläufe in den Köpfen sind. Die konnten noch nicht von Anfang an vorhanden sein und daher haben wir uns einfach gesagt, dass wir die Zeit brauchen, um die Mannschaft zu entwickeln. Denn alle Spieler, die gegangen sind, waren gestandene Bundesliga-Spieler mit sehr viel Erfahrung und enormer Qualität. Wir haben viele junge Handballer geholt, die noch nicht die große Bundesliga-Erfahrung haben. Da ist es gut, dass wir Spieler haben, die wissen, was in der Bundesliga abgeht, die die Liga ganz genau kennen. Von daher waren die Erwartungen etwas geringer als die Jahre zuvor, weil man wusste, dass es Zeit braucht, die Mannschaft zu entwickeln. Der Umbruch geht aber weiter. Nächste Saison werden zwei Spieler ausgetauscht, dann drei, unter anderem Kapitän Tobias Karlsson. Innerhalb von fünf Jahren haben Sie eine komplette Mannschaft ausgetauscht … Genau. Da ist es sehr hilfreich, dass wir erfolgreich sind. Denn es gibt uns die Zeit und auch die Ruhe, gute Entscheidungen zu treffen. Da muss man dann nicht so viel Energie auf das Alltagsgeschäft verschwenden, um eventuell einen schlechten Saisonstart oder eine schlechte Periode in eine positive zu drehen. Von daher ist es wichtig, dass wir den Spielern, die zu uns kommen, die Flensburger Siegermentalität einimpfen. Wer nach Flensburg kommt, der sollte wissen, dass wir hier erfolgreich spielen wollen, um Titel mitspielen wollen. Uns ist es sehr wichtig, dass wir diese Maxime immer weiter transportieren. So etwas transportieren natürlich am besten Spieler weiter, die diese Erfolge erlebt haben, die so etwas vorleben, die wissen, was erwartet wird, um hier in Flensburg zu spielen. Wir verlieren in den nächsten Jahren viele wichtige Spieler, die aus Altersgründen ihre Karriere beenden. Daher gilt es für uns, wieder gute Entscheidungen zu treffen, um Spieler zu verpflichten, die mit der gleichen Leidenschaft, der gleichen Einstellung für Flensburg spielen. Sie sagten, dass die letzten zehn Tage in der vorigen Saison die Hölle gewesen seien. Warum? Einfach an Interesse, an Aufmerksamkeit, an innerer Unruhe. Es war eine sehr angespannte Situation. Man kommt nicht runter. Man hat immer im Kopf, was in zehn Tagen passieren kann. Das treibt einen natürlich. Man muss aufpassen, dass man da die Lockerheit behält und nicht verkrampft. Das ist alles natürlich leichter gesagt als getan. Das habe ich bei mir und bei den Spielern gemerkt, was da alles auf uns zukommen kann. Das ganz große Ziel ist zum Greifen nahe. Wir müssen uns „nur“ über die Linie bringen. Aber im Sport hat man gesehen, wie das ist mit dem „nur“. Das ist eine harte Aufgabe für uns alle gewesen und es war eine große nervliche Anspannung. Wie haben Sie geschafft, die Lockerheit zu bewahren? Ich weiß nicht, ob wir es geschafft haben. Wir waren auf jeden Fall erfolgreich. Das zeigt, dass wir Sachen gut gemacht haben. Es ist auch unglaubwürdig, wenn man versucht, irgendwie von einem normalen Alltag zu sprechen. Das glaubt dir kein Spieler. Es waren zwei Spiele, in denen es um alles ging und in denen unsere Spieler das Größte erreichen konnten, was ein Handballer erreichen kann. Es war kein normales Spiel und trotzdem muss man irgendwie locker bleiben. Wir haben unseren Rhythmus beibehalten. Wir haben mit lockeren Spielchen Spaß ins Training eingebaut. Wir sind mit der Mannschaft auch mal essen gegangen, um auch einmal etwas Anderes zu machen und Zeit miteinander zu verbringen. Sehen Sie sich und Ihr Team noch als Opfer Ihres eigenen Erfolges? Opfer des eigenen Erfolges beziehe ich im Hinblick auf die eigene Wahrnehmung, auf die Ziele, die wir haben. Die werden natürlich von außen anders gesehen. Unsere Mannschaft befindet sich noch im Umbruch. Von außen betrachtet scheint er abgeschlossen zu sein. Das sehe ich nicht so. Wir sind derzeit gut drauf. Ich sehe viele positive Dinge in meiner Mannschaft. Und trotzdem gibt es viele Sachen, wo ich im Spiel merke: Das sind neue Spieler, die noch nicht die Erfahrung haben, die die alten Spieler hatten. Dennoch kriegen wir es hin. Aber die Erwartungshaltung im Umfeld ist auf einmal eine ganz andere. Trotz all dieser Parameter beweisen Sie und das Team doch seit Wochen, das Sie dem Druck standhalten. Ja, das zeigt, dass dieses Team extrem gereift ist im vergangenen Jahr. Wir haben etwas zu verteidigen und damit können wir umgehen. Wir halten dem Druck stand. Wir spielen tollen Handball. Natürlich gibt es auch Phasen, wo es nicht so gut läuft, aber insgesamt spielt das Team erwachsen. Jetzt reden Sie immer wieder von der Mannschaft, von Entwicklung. Aber all diese Punkte brauchen eine Person, die sie dahin führt. Wie groß ist Ihr Anteil am Erfolg? Schwer zu sagen. Wie soll ich das bewerten? Wenn man sieht, wie die Mannschaft Handball spielt, wie intakt sie ist, macht mich das stolz. Das klappt auch nur, wenn Du jemanden hast, der ein gutes Gespür hat. Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich ein gutes Gespür habe, was meine Mannschaft braucht und was sie nicht braucht. Es ist sicherlich auch von Vorteil, dass ich vor Kurzem noch selbst Spieler war. So merke ich, was die Spieler nervt. Oder ich erinnere mich daran, was mich als Spieler nervte. Das unterlasse ich dann. Wir alle wollen gemeinsam Erfolg haben und für die SG alles geben. Deshalb bin ich bereit, als Vorbild voranzugehen und alles für meine Mannschaft zu tun, um das Team in Persönlichkeit, Mentalität, Taktik weiter zu entwickeln und voran zu treiben. Aber ich mache mich auch nicht wichtiger, als ich bin. Am Ende stehen 16 Spieler auf der Platte und sie müssen das umsetzen, was ich ihnen mitgebe. Sie sprachen nervende Übungen an. Ihre Spieler und ihr Co-Trainer Mark Bult sagten in einem Fernsehporträt über Sie, dass Sie zu Beginn zu viel wollten, noch etwas zu verbissen waren. Sie sagten auch, dass Sie irgendwann den Schalter umgelegt haben. Wann war das? Wer gab den Impuls? Ich bin ein selbst reflektierender Mensch. Ich frage mich immer, was kann ich an mir verbessern, was sollte ich ändern? Das war tatsächlich relativ schnell am Anfang. Ich habe da gemerkt, dass ich nicht alle Trainingsübungen zeigen muss, die ich mir ausgedacht habe, sondern es ging wirklich darum, mit der Mannschaft gemeinsam einen Weg zu finden, wie wir miteinander arbeiten wollen, wie wir taktisch ausgerichtet sein wollen und, vor allem, wie wir miteinander umgehen wollen. Ich muss zugeben, dass das am Anfang nicht einfach war. Ich habe noch mit einigen Spielern zusammengespielt. Mit einigen anderen habe ich in anderen Vereinen zusammengespielt. Dann war ich lange Zeit Co-Trainer. Ich wollte mich nicht verstellen und musste einen Weg finden, mit den Spielern zu arbeiten. Das war dann bei manchen Dingen komisch und nicht glaubwürdig. Dann habe ich versucht, mich von der Mannschaft etwas zu distanzieren, habe aber umgehend gemerkt, dass das nicht der richtige Weg ist, ich kannte die Jungs ja gut genug. Es wäre falsch gewesen, eine künstliche Distanz herzustellen. Das habe ich unter anderem in Gesprächen mit den erfahrenen Spielern wie Lasse Svan oder Tobias Karlsson gemerkt. Der Respekt war da und die Jungs glauben an das, was wir machen, die glauben an meine Arbeit. Kaum jemand redet noch über Vorgänger Lubomir Vranjes. Das ist doch die beste Bestätigung, das beste Lob, dass Sie alles richtig gemacht haben. Ich weiß nicht, ob ich alles richtig gemacht habe. Es ist eine Bestätigung, dass die Mannschaft voll hinter diesem Weg steht, alles akzeptiert und versteht, was wir verändert haben und dass die Veränderungen notwendig waren. Nicht nur, weil ich geglaubt habe, dass ich etwas verändern muss, weil ich dachte, es war falsch, sondern weil ich Sachen ändern wollte. Die Dinge davor waren auch gut gewesen. Aber ich wollte die Mannschaft neu ansprechen, neu kitzeln, neue Impulse setzen, neu motivieren. Für mich ist es eine Bestätigung, dass die Mannschaft an unsere Richtung glaubt, die wir vorgeben, an mich als Trainer glaubt und an das Konzept. Sie wurden in Ihrer ersten Saison als Cheftrainer auf Anhieb Deutscher Meister. Nun sind es 18 Spiele ohne Niederlage in Folge. Das haben zuvor nur Lemgo und Kiel geschafft. Sie sind ein junger Trainer. Sind solche Erfolge gleich zu Beginn eher vorteilhaft oder nachteilhaft? Das wird sich alles noch herausstellen. Wir investieren viel. Wenn du in Flensburg angestellt bist, dann arbeitest du auf allerhöchstem Niveau und bist genau dafür angestellt, um mit der Mannschaft erfolgreich zu sein. Für mich als Trainer ist es schön zu sehen, dass die Art der Führung funktioniert, dass ich gute Charaktere in der Mannschaft habe und die Jungs die richtige Mentalität mitbringen. Ich weiß nicht, was kommt, aber ich brauche keine schlechte Saison, um als Trainer zu wachsen. Ich glaube, ich wachse hier jeden Tag an meinen Aufgaben. Ich arbeite bei einem europäischen Spitzenverein. Von mir wird jeden Tag Top-Leistung erwartet. Ich habe einen hohen Anspruch an mich und meine Arbeit. Es ist wichtig, als Trainer mal keine erfreuliche Erfahrung zu machen. Ich sehe dann, wie ich in solchen Krisensituationen reagiere. Wichtig ist dabei, dass man sich als Trainer treu bleibt, ein Ziel hat und einen klaren Weg geht, wie man als Trainer arbeiten will. Sie betonen immer wieder, Sie gehen die Sache mit Demut an. Wann werden Sie das Saisonziel korrigieren? Denn vor der Runde gab es keine offiziellen Äußerungen, den Titel zu verteidigen. Das werde ich niemals machen. Wir werden offensiv damit umgehen. Es ist ja auch schwer, wenn man so lange da oben steht, sich dahinter zu verstecken. Wenn wir die Möglichkeit haben, den Titel zu verteidigen, werden wir auch sagen, dass wir da oben bleiben wollen. Wir wissen auch, was es bedeutet, da oben zu stehen. Es wird zwangsläufig so kommen, wenn wir weiter so erfolgreich sind und Spiele gewinnen. Doch es ist wirklich noch ein verdammt langer Weg. Der THW Kiel ist nach wie vor Titelfavorit. Es ist der cleverere Weg, bodenständig zu bleiben und weiter konzentriert zu arbeiten, als etwas heraus zu posaunen, das in ferner Zukunft passiert und was man zum jetzigen Zeitpunkt wenig beeinflussen kann. Sehen Sie den Titelkampf eher als Zwei- oder Dreikampf? Das ist natürlich ein Dreikampf. Die Löwen haben auch einen kleinen Umbruch zu bewältigen. Sie haben wichtige Spieler verloren vor der Saison. Und zudem sind sie auch nicht gerade als der große Titelfavorit in die Saison gestartet. Derzeit ist Kiel absolut im Soll. Sie sind Favorit Nummer eins. Dahinter kommen wir und die Rhein-Neckar-Löwen, dann Magdeburg. Aber bei Magdeburg muss man abwarten, wie es weitergeht. Sie sagten, Sie lesen nicht die Geschichten über sich. Sie sind aber jemand, der gerne reflektiert. Wie bekommen Sie dann mit, wie die Öffentlichkeit über Sie denkt? Es geht mir nicht darum, welches Bild die Öffentlichkeit von mir hat, sondern die Mannschaft. Außerdem ist es wichtig für mich zu wissen, was erwartet der Verein von mir, wie komme ich im Verein an? Bin ich jemand, der den Verein positiv vertritt? Bin ich jemand, der für die Werte des Klubs steht? Kann sich die SG mit mir als Trainer identifizieren? Als Privatperson bin ich bodenständig, lege viel Wert auf ganz normale Sachen wie Respekt, Wertschätzung und Höflichkeit. Das versuche ich auch in der Arbeit mit der Mannschaft und mit den Journalisten rüberzubringen. Ich glaube, dass ist der bessere Weg. Die Social-Media-Sachen lese ich nicht, weil sie weder mich noch die Mannschaft weiterbringen. Da geht es um Emotionen und man kann es da niemandem recht machen. Ich habe gute Freunde an meiner Seite, die mir hoffentlich sagen, wenn ich die Bodenhaftung verliere oder dass ich etwas forscher sein soll. Wie lange ist Ihre Liste von jungen Spielern? Ich spiele da auf Ihren Scout Glenn Solberg an. Sie sagten: Ich möchte keinen jungen Spieler verschlafen. Wir haben uns eine Liste von Spielern erstellt, in denen wir Potenzial in den kommenden Jahren sehen. Es ist eine Liste von Spielern, denen wir früh signalisieren, dass sie für uns interessant sind. Wir teilen ihnen dann mit, dass wir ihren Werdegang beobachten. Diese Liste umfasst 20 Spieler aus ganz Europa. Mir ist da sehr wichtig, dass ich schnell Kontakt mit dem jeweiligen Spieler und den Eltern bekomme, einfach, um zu signalisieren: Hey, wir haben dich im Auge. Du bist ein interessanter Spieler. Mach weiter so. Wenn wir dann dem Spieler bei seiner Entwicklung oder beim nächsten Schritt helfen können, weil wir glauben, die SG kommt jetzt zu früh, aber in drei Jahren könnte es soweit sein, dann bieten wir da Hilfe an. Das ist mir sehr wichtig, denn wir bewegen uns auf internationalem Top-Niveau. Da wäre es schade, wenn uns andere Vereine Spieler wegschnappen, nur weil wir da etwas verschlafen haben. Daher bin ich froh, dass wir diese Position mit Glenn Solberg so gut besetzt haben. Er kümmert sich da sehr drum. Das entlastet mich. Wir sind ein Verein, der Talente verpflichtet, um diese dann, bei der SG Flensburg-Handewitt auf allerhöchstes Niveau zu entwickeln. Wir haben nicht die Möglichkeiten wie Paris oder Veszprém, mit denen wir uns duellieren. Diese Klubs können fertige Weltklasse-Spieler kaufen. Wir nicht. Daher ist es wichtig, dass wir eine gute Mischung aus Weltklasse-Spielern und jungen Akteuren haben. Bleiben wir bei jung. Die Eulen Ludwigshafen haben das jüngste Team der Liga. Der Klub ist Tabellenletzter, Flensburg souverän Erster. Die Rollen sind klar verteilt für das Spiel am 26. Dezember. Nutzt man so eine Partie auch, um etwas auszuprobieren? Nein, ganz im Gegenteil. Wir legen unseren vollsten Fokus auf solche Spiele. Wir wissen genau, dass wir unseren besten Handball in Ludwigshafen zeigen müssen, um die zwei Punkte zu holen. Das müssen wir von uns erwarten. In der Bundesliga gibt es keine Zeit, um zu experimentieren. Im Gegenteil: Das ist ein Spiel in voller Halle und noch am zweiten Weihnachtsfeiertag. Da gibt es gar keinen Grund etwas auszuprobieren. Wir gehen das Spiel mit voller Energie an und mit allem, was wir haben. Die Eulen werden von extremem Verletzungspech verfolgt. Bekommt man so etwas in Ihrer Position und weit oben im Norden Deutschlands mit? Ja, natürlich bekommen wir mit, dass Spieler ausfallen, die für den Verein eine hohe Wichtigkeit haben. Wenn man solche Ausfälle bei Teams wie den Eulen hat, dann ist das nicht einfach zu kompensieren, weil man nicht die Breite im Kader hat. Aber ich glaube, dass es auch immer eine Chance für andere Spieler ist, sich in den Fokus zu spielen und Verantwortung zu übernehmen. In solchen Phasen rücken Teams auch enger zusammen und lassen sich nicht unterkriegen. Das ist eine Qualität, die Mannschaften haben, die lebendig sind, die eine gute Struktur haben und die intakt sind, weil sie sich von solchen schwierigen Momenten nicht aus der Bahn werfen lassen. Solche Verletzungsmiseren sind für Mannschaften mit kleinerem Budget schwieriger zu verkraften, als für Teams, die die Möglichkeit haben, noch einmal nachzulegen.

x