Neustadt Bürgermeister Ulrich: Man hofft, dass es keine Verletzten gibt

An Pfingstsonntag marschierte die Gruppierung „Freieinig“ von der Festwiese Richtung Hambach. An dem Wochenende war die Verwaltu
An Pfingstsonntag marschierte die Gruppierung »Freieinig« von der Festwiese Richtung Hambach. An dem Wochenende war die Verwaltung stark gefordert.

Die schwierige Finanzlage, hunderte Versammlungen und Demos, zuletzt auch noch die Wahl: All das fällt in die Zuständigkeit von Neustadts Bürgermeister Stefan Ulrich. Im Gespräch mit Stefan Fischer sagt er, was ihm dabei die meisten Sorgen bereitet und wie er mit den Belastungen umgeht.

Herr Ulrich, bevor Sie im März 2021 Bürgermeister wurden, waren Sie Stadtkämmerer. Hätten Sie sich damals vorstellen können, wie viel Arbeit Ihnen die zusätzlichen Aufgaben machen würden?
Zunächst habe ich mir als Kämmerer gar nicht vorstellen können, dass ich überhaupt mal Bürgermeister würde. Aber es ist schon so, dass der neue Bereich Sicherheit und Ordnung für mich gänzlich Neuland war.

Es dürfte damals nicht absehbar gewesen sein, dass Sie dort so stark gefordert sind. Rund 300 Versammlungen und Demonstrationen gab es seit 2021 in Neustadt, das war neu für die Stadt.
Das war damals wirklich nicht absehbar.

Was macht Versammlungen für die Verwaltung so aufwendig? Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Das Versammlungsrecht soll Versammlungen ermöglichen, nicht verhindern. Wir müssen aber darauf achten, ob Belange von Sicherheit und Ordnung betroffen sind. Wir müssen dann abwägen zwischen dem grundgesetzlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit und anderen betroffenen Gütern, wie Störungen und Belästigungen, aber auch Beeinträchtigungen der Gesundheit oder gar des Lebens Dritter. Das Versammlungsrecht sieht sogenannte Kooperationsgespräche mit den Anmeldern für diese Abwägung vor, an der die anderen Sicherheitsbehörden beteiligt sind. Da wird die komplette Versammlung erörtert. Dabei muss auch berücksichtigt werden, ob mit Gegenversammlungen zu rechnen ist.

Das klingt, als wären viele Leute in Ihrem Haus damit befasst.
Ja, das sind im Regelfall ein bis zwei Personen. Bei einer Lage wie an Pfingsten mit drei oder vier Großversammlungen, da ist das ganze Haus gefordert.

Und manchmal ist bis kurz vor der Versammlung unklar, ob die von der Stadt erlassenen Auflagen vor Gericht halten. So wie die Beschränkung auf 15 Trommler beim Marsch von „Freieinig“ am Pfingstsonntag.
Das bindet außer dem Ordnungsamt auch sehr stark unsere Kolleginnen von der Rechtsabteilung, die uns sehr gut unterstützen. So ein Auflagenbescheid hat sehr schnell einen Umfang von 15 bis 20 Seiten, weil da alles geregelt werden muss, etwa welche Hilfsmittel erlaubt sind oder wie viele Ordner zu stellen sind. Diese Auflagen müssen dabei sehr gut begründet werden, weil damit zu rechnen ist, dass sie rechtlich überprüft werden.

Bei so vielen Versammlungen, die zuletzt zu bewältigen waren: Welche Aufgaben sind dann hinten runtergefallen?
Mit Sicherheit fehlte Zeit, Prozesse zu prüfen und zu optimieren. Durch den hohen persönlichen Einsatz der Mitarbeiter konnte vieles aufgefangen werden. Das schlägt sich aber bis heute in einer großen Menge an Überstunden nieder. Die Lage entspannt sich übrigens nicht. Bis Ende des Jahres wurden bereits gut 80 Versammlungen angemeldet. Inwieweit diese aber auch zustande kommen, muss sich noch zeigen.

Was Sie in diesem Jahr auch gefordert hat, war die Europa- und Kommunalwahl. Normalerweise ist der Oberbürgermeister Wahlleiter. Doch da Marc Weigel die FWG-Liste für den Bezirkstag anführte, fiel diese Aufgabe an Sie. Wann wurde Ihnen das klar?
Das war letztes Jahr. Aber die Arbeit dazu ist bei mir persönlich erst im Mai so richtig angefallen. Um die Wahlen hat sich zuvor vor allem Christian Littek als Fachbereichsleiter gemeinsam mit unserem Wahlteam gekümmert, weil ich viel mit den Versammlungen an Pfingsten zu tun hatte.

Was war das für eine Erfahrung für Sie, wie haben Sie die Wahl empfunden?
Fordernd... fordernd. Im Wahlteam waren überwiegend Kolleginnen und Kollegen, für die es auch Neuland war. Wenn man bedenkt, dass an dem Wahlsonntag 9. Juni exakt 554 Personen eingeplant wurden, damit diese Wahl gelingt, und was im Vorfeld an logistischem Aufwand nötig ist, dann ist das schon enorm. Hinzu kommt, dass eine Wahl ein sehr hohes Rechtsgut ist, das rechtssicher und exakt ablaufen muss. Da ist auf vieles zu achten, das hat viele Beteiligte sehr gefordert. Ich bin wirklich stolz auf dieses Team, dass letztlich alles funktionierte.

Lagen Sie da abends öfter mal wach im Bett, weil Sie sich Gedanken gemacht haben, ob alles klappt?
Ich habe das Glück, dass ich sehr gut einschlafe, aber mich beschäftigt das dann öfters mal nachts, wenn ich wach werde. Das bringt einen schon mal um den Schlaf. Auch die Versammlungen fassen mich emotional an. Das ist nichts, was einfach nur sachlich zu betrachten ist. Man hofft dann immer, dass da nichts passiert, dass es keine Verletzten gibt oder noch Schlimmeres geschieht. Bei der Versammlung am Samstag vor Pfingsten mit den vielen Ständen von Kritikern aus ganz Deutschland, da waren wir mit zehn Mitarbeitern im Einsatz, teilweise aus anderen Abteilungen. Da war auch schwer abzuschätzen, ob es zu massiven Problemen kommt. Und man macht sich auch Gedanken, wie sich das auf unseren Handel auswirkt oder auf den Tourismus.

Da sind die Finanzen das vielleicht weniger aufregende Thema, aber rosig sieht es da auch nicht aus.
Das ist richtig. Finanzen ist ein objektiveres Thema, in dem man sachlicher agieren kann. Die Finanzausstattung bereitet trotzdem Sorgen. Wir sind eine der vier kreisfreien Städte, die vom Entschuldungsprogramm des Landes nicht profitieren, weil da nur Kassenkredite abgelöst werden. Wir haben aber hohe Investitionsschulden, keine Kassenkredite. Gleichzeitig haben wir einen Sanierungsstau. Vieles davon sieht man nicht, wenn ich etwa an die Abwasserkanäle denke, die 50, 60 Jahre alt sind. Ich denke auch an Großprojekte wie die Realschule Plus am Böbig oder ein neues Brand- und Katastrophenschutzzentrum. Die Herausforderungen, die im Katastrophenschutz auf uns zukommen, werden ja eher größer als kleiner. Wir werden also investieren müssen.

Auch ein Thema also, bei dem man nachts wachliegen könnte.
Das bin ich ja schon gewohnt, auf diesem Feld habe ich mehr Erfahrung.

Wie schalten Sie vom Berufsalltag ab?
In erster Linie bei meiner Familie. Meine Frau unterstützt mich sehr und hält mir den Rücken frei. Wir haben vier erwachsene Kinder und eine Enkelin. Die Familie ist der Hafen, den ich brauche. Ich stamme aus der Westpfalz und bin auch noch regelmäßig bei der Familie meiner Schwester und meinen Eltern.

Haben Sie es angesichts der vielen aufwendigen Aufgaben bereut, Bürgermeister geworden zu sein?
Nein. Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Ich habe das dann auch abgewogen und bin zum Ergebnis gekommen, dass ich es nicht bereue. Es ist eine einmalige Chance, die sich im Leben bietet, durch die Vielfältigkeit der Aufgaben. Sicher gibt es Zeiten, in denen man am Rand der Belastungsfähigkeit läuft, aber man wächst tatsächlich an diesen Aufgaben.

Stefan Ulrich bei seiner Vereidigung als Bürgermeister im Februar 2021.
Stefan Ulrich bei seiner Vereidigung als Bürgermeister im Februar 2021.
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