Neustadt Das Geisterhaus

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Herxheim

. Nur eine Kaffeemaschine steht verlassen auf dem hölzernen Tresen der Rezeption am Eingang des ehemaligen Technologiezentrums. Sonst deutet nichts auf Leben in diesen kahlen Räumen hin. Sicherheitskräfte, die das Gebäude in der Luitpoldstraße rund um die Uhr bewachen, brauchen eben manchmal auch ein bisschen Koffein. Wer durch die schwere Metalltür ins Innere des gesichtslosen Baus mit Flachdach gelangt, betritt eine künstliche Welt, die viele nie kennengelernt haben. Dabei würden heute bis zu 550 Flüchtlinge in Herxheim leben, wenn alles so gekommen wäre, wie es noch vor einem Jahr geplant war. Aber was ist im Leben schon planbar? Ein Novembermorgen, Nebel liegt über Herxheim. Ein stechender Duft, den man sonst nur aus feuchten Kellern kennt, wabert durch die Flure der nie eröffneten Erstaufnahmeeinrichtung, kurz Afa. Paul Rößler steht in einem der langen Gänge, seine Wollmütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Er war einer derjenigen, die sich im Auftrag der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, einer Landesbehörde, darum kümmerten, das Flüchtlingsheim rechtzeitig fertigzustellen, bevor die ersten Menschen dort ankommen würden. Doch so weit kam es nie. Als die ersten osteuropäischen Staaten die Balkanroute dicht machten, stauten sich die Flüchtlingsströme an den Grenzen. Die Fremden kamen nicht bis Herxheim. Viele Stunden Arbeit hat Rößler investiert, hat mit anderen Bierbänke organisiert, Stockbetten, Waschmaschinen. Der 29-Jährige ist ein netter Typ, einer von denen, die älteren Damen aus der Nachbarschaft auch mal die Einkaufstüten bis zur Wohnungstür tragen. Aber hat er sich nie geärgert, dass die ganze Mühe umsonst war? „Nein, gar nicht. Ich wusste aber, dass es funktioniert hätte, denn das Deutsche Rote Kreuz hatte alles im Griff.“ Jetzt heißt es für ihn nur noch: Alles muss raus. Denn der Mietvertrag des Landes mit dem Inhaber des Gebäudes läuft zum Jahresende aus. Dabei wurden rund 300.000 Euro hineingesteckt – vor allem in den Brandschutz und die sanitären Anlagen. Die Einrichtung war schlüsselfertig, wie Makler sagen würden. Rößler öffnet eine Tür. In dem Raum liegen hunderte Matratzen, akkurat gestapelt. „Die werden in Speyer eingelagert“, sagt er. Man weiß ja nie, für was sie noch gut sein könnten. Das ehemalige Technologiezentrum wirkt gespenstisch, wie ein Haus, das schon lange leer steht. Kein Kindergeschrei, keine Helfer, keine fremden Gesichter. Der Linoleumboden, auf den das fahle Licht der Leuchtstoffröhren fällt, hat den Charme eines ungarischen Militärhospitals. Dass das Land planen würde, in Herxheim eine Afa aufzubauen, hatte niemand geahnt. Auch nicht Theresia Riedmaier. Natürlich war der Landrätin klar, dass die Flüchtlinge nicht an den Grenzen des Kreises halt machen würden. Jeden Abend sah sie im Fernsehen Bilder von Menschen, die über den Balkan nach Deutschland kamen. „In einigen Nächten wurden bis zu 700 Menschen vom Mannheimer Hauptbahnhof nach Rheinland-Pfalz gebracht und dann verteilt“, sagt sie. Doch eine Erstaufnahmeeinrichtung in Herxheim? Als die Nachricht im vergangenen Spätsommer von der Landesregierung kam, lief es Riedmaier plötzlich kalt über den Rücken. Ihr erster Gedanke: Das wird ein großes Problem. Doch es dauerte nicht lang, bis sie Mut fasste. „Mir war klar: Wenn eine Gemeinde im Kreis diese Aufgabe meistern kann, dann Herxheim.“ Nur wenige Tage später machte sich Riedmaier mit Mitarbeitern des Landes ein Bild vom ehemaligen Technologiezentrum. Allen war schnell klar: Das Gebäude ist geeignet – es muss nur saniert werden. Anschließend ging es ins Rathaus, wo Bürgermeisterin Hedi Braun die Gäste empfing. Sie kann sich noch gut daran erinnern. „Ich dachte nur: oh Gott“, sagt Braun, als Riedmaier ihr die Nachricht überbrachte. Aber was sollte sie auch tun? Ablehnen, sich verweigern? Keine Chance. „Wir mussten einfach das Beste aus der Situation machen, obwohl ich Angst hatte, dass die Stimmung im Ort kippen könnte.“ Und das Böse kam nach Herxheim – am 4. Dezember 2015. In den frühen Morgenstunden füllen zwei Männer in schwarzen Jacken an einer Herxheimer Tankstelle vier Kanister mit einem Benzin-Diesel-Gemisch. Sie fahren in die Luitpoldstraße. Der Zaun ist schnell überwunden, sie steigen aufs Gebäudedach. Dort hebeln sie mehrere Oberlichter auf und schütten den explosiven Cocktail hinein. Als sich die Flüssigkeit auf dem Boden ausbreitet, entzündet sie sich, weil die Täter einen der Kanister anstecken und ins Gebäude werfen. Das Feuer frisst sich über den Hallenboden, die Stichflammen lodern bis zur Decke und zerstören Teile des Daches. Die beiden Männer können im Schutz der Nacht entkommen, doch am 17. April gehen die mutmaßlichen Täter der Polizei ins Netz. Die Staatsanwaltschaft hat kürzlich Anklage erhoben. Rößler hat inzwischen einen großen Raum betreten, an dessen Decke Rohre verlaufen. Was aussieht wie eine Fertigungshalle, sollte eigentlich als Betreuungsstätte für geflüchtete Kinder dienen. Pädagogen hätten sich um sie gekümmert, ihnen die ersten Brocken Deutsch beigebracht. Doch es steht nur noch ein zusammengestauchter Kaufladen verlassen in der Ecke, in Kartons sind kleine Spielfiguren in Plastikbeuteln abgepackt. Es wäre alles da gewesen, nur die Kinder fehlen. Ein Besuch bei Franz-Ludwig Trauth. Der Herxheimer Ortsbürgermeister sitzt an einem langen Holztisch, vor ihm liegen ein paar Aktendeckel. Der Christdemokrat ist nicht dafür bekannt, mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen. Er ist seriös. So seriös wie ein Professor für physikalische Chemie am Max-Planck-Institut. Doch wenn Trauth über die Erstaufnahmeeinrichtung redet, werden seine Gesichtszüge weich. „Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht, dass etwas passieren könnte. Es gab ja diesen Anschlag. Aber mir war klar, dass das Land so handeln musste“, sagt er. Nun machen sich viele über die Zukunft des Gebäudes in der Luitpoldstraße Gedanken. Manche sagen, die Gemeinde plane, das Areal zu kaufen. Trauth will sich dazu nicht äußern. Aber er sagt: „Wir haben einen Blick darauf und werden uns auch bald mit dem Inhaber zusammensetzen.“ Und was meint er zu den Gerüchten, dass Bauhof und Feuerwehr dort untergebracht werden sollen, wenn die Kommune beim Kauf den Zuschlag erhält? „Ich kann nur so viel sagen: Eine öffentliche Nutzung wäre für uns denkbar.“ Das Kapitel Flüchtlingsheim ist nun geschlossen. Wer sich mit Herxheimern unterhielt, als die Nachricht durchsickerte, dass im Ort eine Afa eingerichtet werden soll, spürte bei vielen große Unsicherheit. Manche dachten sogar darüber nach, sich ein hochwertigeres Haustürschloss zuzulegen – aus Angst vor den Fremden. Doch am Ende zeigten die Herxheimer, was sie zu leisten im Stande sind. Die Kleiderkammer ist nur ein Beispiel. Trotz all der Arbeit, all der Mühe wird das Heim nie öffnen – aber manchmal reicht schon der Versuch, etwas Gutes zu tun, damit am Ende etwas Gutes bleibt.

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