Neustadt Das Rad des Lebens

Das vergangene war kein leichtes Jahr für Willi Altig. „Ich bin noch nicht drüber weg“, sagt er zum Tod seines Bruders. „Ich war blind. Ich habe nicht gesehen, wie krank er war.“ Durch dick und dünn sind die beiden Unverwüstlichen gegangen, bis zu jenem 11. Juni, an dem Rudi Altig den Kampf gegen die heimtückische Krankheit verlor. Jetzt im März hätte er seinen 80. Geburtstag gefeiert. In der letzten Zeit war Rudi Altig oft in seiner Heimatstadt. „Öfter als sonst. Wir beide hatten immer was zu tun“, erinnert sich Willi. Natürlich besuchten sie dann Karl Ziegler, ihren Trainer und Weggefährten, der mit seinen 97 Jahren geistig immer noch hellwach ist. Ziegler lebt mit seiner Frau Hilla in der Neckarstadt, dort, wo er einst ein Radgeschäft aufbaute, das er Willi Altig übergab, als er selbst Bundestrainer wurde. „Irgendwann in den 70er- Jahren war das“, sagt Willi Altig. „Radsport Altig“ gibt es immer noch – in der Lenaustraße und in der Uhlandstraße. Willi steht jeden Tag in der Werkstatt, speicht Räder ein, macht neue fahrfertig, hat zehn Mitarbeiter um sich geschart. „Nichts ist einfacher geworden. Man muss am Ball bleiben, aber wenn man was kann und fair ist, dann kommt und bleibt die Kundschaft, die vor allem die persönliche Beratung schätzt“, sagt er. Willi Altig, der am 17. Januar 82 Jahre alt wird, gesundheitlich kaum Beschwerden hat, „außer, dass mal die Hände weh tun“, ist ein modern ausgerichteter Mensch, mag das neue grundsätzlich lieber als „alte Brocken“. Und so schätzt er ganz besonders die E-Bikes. „Die sind doch eine super Sache, sind gerade bei dem zunehmenden Verkehr auf der Mittelstrecke bis zu zehn Kilometern eine tolle Alternative. Man muss keinen Parkplatz suchen, kommt nicht verschwitzt im Büro an“, wirbt er für die kraftschonenden Velos. Selbst fährt Altig auch eins, aber er tritt weiter auf seiner Rennmaschine in die Pedale, um fit zu bleiben. Nicht mehr so regelmäßig und nicht mehr so schnell, aber immer noch geht er mit einer kleinen Gruppe auf seine Odenwald-Runde. Von den Alten, die sich früher sonn- und feiertags um 9 Uhr trafen, sind immer weniger dabei. Von der großen Truppe des RRC Endspurt nur noch Bernd „Fips“ Rohr (79), der Vierer-Weltmeister von 1962, der ihm noch halbtags im Verkauf hilft. Willi Altig kam nach dem Krieg in seine Heimatstadt zurück und startete mit Bruder Rudi die erfolgreiche Karriere. „Wir waren zweimal ausgebombt, erst in Mannheim und dann im Elsass, wohin wir mit Tausenden Mannheimern gebracht wurden und wo wir zwei Jahre lebten“, erzählt er, ehe sie von Altdorf zu den Großeltern nach Hundszell bei Ingolstadt kamen. Dieses Jahr feiert das Rad 200. Geburtstag. Auf das Jubiläum freut sich der Ur-Monnemer richtig. „Ich war bei der Ausstellungseröffnung ,2 Räder - 200 Jahre’ im Technoseum eingeladen. Eine tolle Schau. Ich war überrascht. Da gibt es super Sachen, die ich noch gar nicht kannte“, sagt Altig, der sich „über den Drais und seine Erfindung aber nie einen Kopp“ machte. Er habe den Namen mal gehört als Junge, ansonsten weiß er nur noch, dass er, als er beim Benz lernte, jeden Monat fünf Mark vom Lohn abgezogen bekam, um sich ein Fahrrad zu kaufen. Seither gehören Willi und das Fahrrad unzertrennlich zusammen. Etwas enttäuscht ist er, dass Mannheim nicht die Tour de France 2017 an Land zog. „Hierher hätte sie besser gepasst als nach Düsseldorf. Aber ich weiß, Mannheim ist nicht so reich. Doch das Land hätte da unterstützen können“, meint Altig, der auch kritisiert, dass die Stadt den sportlichen Bereich im Jubiläumsjahr nicht besser unterstützt. So wird er eben die Tour de France im Fernsehen gucken, wie so viele andere Sportereignisse auch. Es habe sich halt so vieles verändert, wenn Geld im Spiel sei, „dann geht es nicht mehr so fair zu“, glaubt er. „Und das mit dem Doping wird mir jetzt ein bissel zu arg. Aber es sind auch so viele Pharisäer unterwegs, die genau wissen, dass sie die Medizin nicht mehr aus dem Sport rauskriegen. Ich will das Doping nicht befürworten, aber wie damit umgegangen wird, das ist verlogen“, sagt Willi Altig. Er wohnt mit seiner 30 Jahre jüngeren Frau ganz nahe und sehr gerne an der Radrennbahn, die seinen Namen und den seines Bruders trägt. „Eine schöne Ehre, aber sie verpflichtet auch, so denke ich zumindest“, sagt er. Die Radrennbahnen waren einst die Bühnen der „Mannheimer Ochsen“. Willi Altig und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Rudi hatten in den 1950er und 1960er Jahren für Furore gesorgt. Und nichts davon möchte Willi Altig missen.

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