Neustadt Die Geschichte einer Radikalisierung

«Neustadt». Mit der Aufführung der Operette „Die Csardasfürstin“ ging gestern Abend die aktuelle Theatersaison im Saalbau zu Ende. Über fünf Monate müssen sich die Neustadter Theaterfreunde nun gedulden, bis sich wieder der Vorhang hebt, denn die neue Spielzeit startet für die beiden städtischen Theater-Reihen „Leichte Muse“ und „Schauspiel“ erst Ende Oktober beziehungsweise Anfang November: mit einer schwarzen Komödie von George Tabori und dem neuen Luther-Stück von John von Düffel.

In der Schauspielreihe dominieren in der Saison 2017/18 insgesamt die Klassiker: „Tod eines Handlungsreisenden“, Arthur Millers 1949 uraufgeführtes Drama über den Handelsvertreter Willy Loman, der sich mit aller Gewalt an seine Lebenslüge, den Traum vom materiellen Aufstieg, klammert, ist im Dezember mit Helmut Zierl in der Titelrolle in einer Inszenierung des Euro-Studios Landgraf zu sehen. Im Januar 2018 folgt das Pfalztheater Kaiserslautern mit „Der gute Mensch von Sezuan“, Bertolt Brechts 1938 bis 1942 entstandener Parabel um die Frage, ob es unter den Bedingungen des Kapitalismus überhaupt gute Menschen geben kann. William Shakespeares „Hamlet“, auf der ewigen Bestenliste des Dramas sicher ein heißer Anwärter auf Platz 1, ist im April an der Reihe: in einer sehr modernen Inszenierung der „Theater Kompagnie Stuttgart“, die sich darum bemüht, das finstere Geschehen mit aktuellen Bildern und einer zeitgemäßen psychologischen Zeichnung der Figuren aus dem dänischen Mittelalter ins 21. Jahrhundert zu holen. Und fast genau in einem Jahr, am 8. Mai, endet die Reihe mit der 1817 in Rom uraufgeführten komischen Oper „La Cenerentola“, Gioacchino Rossinis Version des Aschenputtel-Stoffes nach der Vorlage des Franzosen Charles Perrault. Auch diese Produktion kommt aus dem Pfalztheater nach Neustadt. Mit dem Trend zu Klassikern wird die Kulturabteilung der Stadt ihrem selbstgestecken Anliegen gerecht, verstärkt Stücke anzubieten, die auch im Schulunterricht behandelt werden. Regelrecht beflügelt ist das Team um Wolfgang Dinges hier von der Erfahrung mit Dürrenmatts „Physikern“ im Februar, als 220 Schüler und ihre Lehrer in den Saalbau gelockt wurden und sich bei der anschließenden Aussprache mit Schauspielern immerhin noch 65 im „Aqua“ zusammendrängten. Diese unter dem Label „Extraklasse“ laufende Reihe im „Aqua“ soll es 2017/18 nun auch wieder bei den Stücken von Miller, Brecht und Shakespeare geben. Neueren Datums sind in der neuen Saison in der Schauspielreihe dagegen nur zwei Stücke: „Geächtet“ des Amerikaners Ayad Akhtar, das im März im Saalbau zu sehen ist, und „Martinus Luther“, das am 2. November, passenderweise nur zwei Tage nach dem 500. Jahrestag von Luthers Wittenberger Thesenanschlag, die neue Schauspielsaison eröffnet. Bei dem durch Live-Musik unterstützten Historiendrama des 1966 in Göttingen geborenen Dramatikers und Romanciers John von Düffel, der unter anderem 2009 bei den Nibelungenfestspielen in Worms mit „Das Leben des Siegfried“, einer komödiantische Version der Nibelungensage, Erfolge feierte, handelt es sich um eine Auftragsarbeit eines Theaterverlags zum 500. Jahrestag der Reformation, die im Herbst 2016 vom Theater Münster uraufgeführt wurde und in Neustadt in einer Inszenierung des Tourneetheaters „Theaterlust“ aus München zu erleben ist. „Wie Luther wurde, was er war, und wie Luther aufhörte, Luther zu sein“ – so beschreibt der Autor seinen Ansatz, der einerseits dieser großen historischen Figur Gerechtigkeit widerfahren lassen, andererseits aber auch die Schattenseiten nicht aussparen will. An Luthers Beispiel erzählt von Düffel so auch die Geschichte einer religiösen Radikalisierung oder wie einer zum Hassprediger wurde, der als Gottessucher begann. Um Religion geht es irgendwie auch im Stück „Geächtet“ („Disgraced“) des pakistanischstämmigen New Yorkers Ayad Akhtar, das 2012 zum Überraschungserfolg am Broadway avancierte und in Deutschland 2016 in der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ zum „besten ausländischen Stück des Jahres“ erkoren wurde. Im Mittelpunkt stehen zwei wohlsituierte Ehepaare mit ausgesucht multikulturellem Hintergrund – ein agnostischer Moslem, ein Jude, eine Afroamerikanerin und eine weiße Christin –, die sich zu einem scheinbar harmlosen Dinner versammeln. Schnell aber landet das Gespräch beim Thema Islam, und es offenbart sich auf schmerzhafte Weise, wie tief sich Angst und Vorurteile in die Gesellschaft eingegraben haben. Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer kündigte bei der Vorstellung der Reihe an, dass er dieses Stück als Dankeschön-Veranstaltung für die Ehrenamtlichen der Flüchtlingshilfe in Neustadt auserwählt hat. Auch die Abo-Reihe „Leichte Muse“ verspricht in der Saison 2017/18 wieder große Theaterabende im Saalbau. Gleich zum Auftakt am 26. Oktober steht die rabenschwarze Farce „Requiem für einen Spion“ des 2007 verstorbenen Theater-Altmeisters George Tabori in einer Inszenierung des Euro-Studios Landgraf auf dem Spielplan, bei der sich drei ehemalige britische Geheimdienstler aus dem Zweiten Weltkrieg nach Jahrzehnten in einer Londoner Tiefgarage wiedertreffen, die ihnen einst als Nazi-Bekämpfungs-Zentrale diente. „Zwei Stunden großes Gelächter – das einem im Halse steckenbleibt“, schrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“ zur Wiener Uraufführung im Jahr 1993. Ein Wiedersehen mit Publikumsliebling Jochen Busse gibt es im November in der Komödie „Der Pantoffel-Panther“, einer Inszenierung der Münchner Tournee, die auf einer Produktion der „Komödie am Kurfürstendamm“ in Berlin basiert. Der Schauspieler, der zuletzt im Dezember 2015 als „Der Kurschattenmann“ die Massen in den Saalbau lockte, spielt diesmal einen insolventen Pantoffel-Importeur, der nur mit Mühe die finanzielle Katastrophe vor seiner nichtsahnenden Ehefrau, gespielt von Billie Zöckler, verbergen kann. In dieser hoffnungslosen Situation taucht der Italiener Luigi bei ihm auf, der ihn versehentlich für den legendären Auftragskiller „Der Panther“ hält und ihm sehr viel Geld für einen „Job“ in Aussicht stellt. So nimmt das Chaos unaufhaltsam seinen Lauf. Beim Musiktheater kommt in der neuen Spielzeit nicht die Operette, sondern das Musical zum Zuge: „Hairspray“, im Januar als „Landgraf“-Gastspiel zu sehen, wurde 2002 am Broadway uraufgeführt und basiert auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1988 um eine mollige Teenagerin, die sich gegen alle Widerstände ihren Traum verwirklicht, in einer populären TV-Show als Tänzerin aufzutreten. Ebenfalls ein Film-Ableger ist auch das letzte Stück der Reihe „Leichte Muse“, das im April 2018 ansteht: „Monsieur Claude und seine Töchter“, eine Adaption des gleichnamigen französischen Kinohits um einen französischen Konservativen, der sich nach einem Muslim, einem Juden und einem Chinesen nichts sehnlicher als einen Katholiken als Schwiegersohn wünscht ... Noch Fragen? Alle Aufführungen beginnen um 20 Uhr im Neustadter Saalbau. Die Abonnements für die beiden Theater-Reihen sind ab sofort zu buchen über die städtische Kulturabteilung (06321/855447, karin.jakob@stadt-nw.de). Der Preis richtet sich nach dem Sitzplatz und eventuellen Ermäßigungen und beträgt zwischen 45 und 90 Euro für das „Schauspiel“ und zwischen 32 und 65 Euro für die „Leichte Muse“. Einzelkarten sind ab 1. September über die Theaterkasse (06321/855404) und unter www.ticket-regional. de erhältlich. Vor den Schauspiel-Abenden gibt es jeweils um 19 Uhr im Beethovensaal eine Einführung.

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