Neustadt Die Lunte brennt

Ein Erkältungsvirus geht derzeit um, das so ziemlich jeden, den es erwischt, schachmatt setzt. Noch tückischer ist das ebenfalls grassierende Wahlkampfvirus, wer von dem befallen wird, zeigt plötzlich veränderte Verhaltensweisen. Im Gegensatz zum Erkältungsvirus, das beinahe jeden heimsuchen kann, sucht sich das Wahlkampfvirus gezielt Politiker. Besonders gefährdet sind derzeit Kommunalpolitiker. Selbst ansonsten friedliche Vertreter dieser Spezies mutieren zu streitsüchtigen Wesen, wenn das Virus sie trifft. Zu beobachten war das in der jüngsten Sitzung des Lindenberger Gemeinderates. Dort harmonieren die Vertreter von FWG, CDU und SPD eigentlich bestens. Bei den meisten Themen ist man sich einig, und Ratssitzungen sind so friedlich, dass es manchmal fast schon langweilig ist. Langjährige Beobachter der Lindenberger Kommunalpolitik wissen, dass das nicht immer so war. Ende der 1990er beziehungsweise Anfang der 2000er-Jahre waren Ratssitzungen in Lindenberg hochexplosiv. Eines der Themen, über die damals heftig gestritten wurde, war die Ausweisung eines Baugebiets. Soll das Gebiet Obere Äcker oder soll die Südliche Hauptstraße zum Baugebiet werden? Das war die Frage, die für ordentlich Zoff sorgte. Um ein Baugebiet ging es auch am Dienstag. Nicht um die Südliche Hauptstraße, die ist inzwischen bebaut, und auch nicht um die Oberen Äcker, zumindest nicht um das Gebiet, um das vor knapp 20 Jahren gestritten wurde. Die Oberäcker-Wiesen, eine 6000 Quadratmeter große Fläche am oberen Ende der Hauptstraße in Richtung Wald, soll bebaut werden, so ein Vorschlag der FWG, der den Ratsmitgliedern vorgelegt wurde. Die Wiesen sind in unmittelbarer Nähe der Oberen Äcker. Ein Teil der Fläche ist identisch, aber es ist nicht das vor knapp 20 Jahren heftig umstrittene Gebiet. Doch in Wahlkampf-Zeiten gehen solche Differenzierungen leicht unter. Schon im Hauptausschuss in der vergangenen Woche war das Thema umstritten gewesen, und so genügte ein kleiner Funke, dass sich Beobachter in frühere Lindenberger Ratszeiten zurückversetzt fühlten. Diesen Funken legte FWG-Fraktionssprecher Friedrich Eschmann mit einem Seitenhieb, CDU-Fraktionssprecher Hans-Werner Rey zündelte weiter und SPD-Fraktionssprecher Stefan Frieß brachte die Lunte zum Brennen. Vor allem die SPD war es gewesen, die sich vor rund 20 Jahren erfolglos für das Baugebiet Obere Äcker stark gemacht hatte, die FWG war vehement dagegen gewesen. Er vermute, dass „persönliche Interessen“ zu „einer Sinnesänderung um 180 Grad“ bei der FWG geführt hätten, stichelte Frieß in Anspielung darauf, dass die Familie eines FWG-Ratsmitglieds Grundbesitz im Bereich Oberäcker-Wiesen hat. Laut Ortsbürgermeister Reiner Koch (FWG) haben von den 14 Grundbesitzern elf Interesse an einer Ausweisung als Baugebiet. Die Umfrage sei nicht aussagekräftig, die umliegenden Anlieger seien dagegen, es werde sicher eine Bürgerinitiative gegründet, so Frieß. Vor 20 Jahren waren heutige Ratsmitglieder der FWG in einer Bürgerinitiative gegen ein Baugebiet Obere Äcker aktiv. Auch nach 20 Jahren kann man da schon noch einmal nachharken, zumindest, wenn Wahlkampf ist. Koch, sonst eher um Ausgleich bemüht, giftete in Richtung Frieß, Eschmann echauffierte sich und haute mehrfach mit der Faust auf den Tisch. Am Schluss wurde die Entscheidung über ein Baugebiet vertagt. Der Streit ist damit nicht beendet. Am Mittwoch wurden Mails verschickt, aus denen man unter anderem erfahren konnte, dass Frieß wohl deshalb gegen eine Bebauung der Oberäcker-Wiesen sei, weil ein naher Verwandter gegenüber wohnen soll. Wie auch immer die Geschichte um das Baugebiet ausgehen mag, eines ist sicher: Etwas haben das Erkältungsvirus und das Wahlkampfvirus gemeinsam. Irgendwann ist ihre Zeit vorbei, und bei beiden hofft man, dass das möglichst schnell der Fall ist.

x