Neustadt „Die Sprache ging in den Untergrund“

Rechte Musik ist für viele junge Leute das Einstiegsmedium in die Neonazi-Szene. Mit diesem Plakat protestierten Bürger 2017 geg
Rechte Musik ist für viele junge Leute das Einstiegsmedium in die Neonazi-Szene. Mit diesem Plakat protestierten Bürger 2017 gegen ein entsprechendes Konzert in Thüringen.

«Neustadt». Neonazi-Ideologie in der Musik entlarven, um dem „Rechtsrock den Stecker zu ziehen“ – das ist das Ziel des 26-jährigen Politologen Timo Büchner, der dazu das Buch „Weltbürgertum statt Vaterland - Antisemitismus im Rechtsrock“ vorgelegt hat. Am Dienstag stellte er es in der Neustadter Gedenkstätte für NS-Opfer im Quartier Hornbach vor.

Der Abend beginnt mit einem Zitat aus dem „Blutlied“ der Mannheimer Skinband „Tonstörung“, deren Mitglieder 1993 wegen Volksverhetzung und ähnlicher Delikte verurteilt wurden. Es lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib“, heißt es darin. Nur eines von vielen Beispielen, wo offener Antisemitismus in die Musik der ultrarechten Szene eingeflossen ist. Büchner, der in Wirklichkeit anders heißt und zu seinem eigenen Schutz ein Pseudonym verwendet, erklärt zunächst, dass „Rechtsrock“ keineswegs nur Rockmusik umfasse, sondern viele Musikrichtungen. Auch Schlager oder Balladen, etwa im Stile eines Reinhard Mey. Entscheidend für die Kategorisierung sei die Funktion der Musik: junge Menschen für die rechte Szene zu rekrutieren und sie zu mobilisieren. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Hören solcher Musik und dem Begehen krimineller Taten“, sagt Büchner. Die Feindbilder seien Migranten, Juden, Schwarze, Homosexuelle, linke Punks, aber auch der Staat, die Parteien und die bürgerliche Gesellschaft insgesamt. Die offene Diffamierung habe aber häufig dazu geführt, dass Lieder indiziert oder Gruppen verboten wurden, erklärt Büchner. Wie beispielsweise das Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ (Blut und Ehre), das neonazistische Bands koordinierte und in Deutschland im Jahr 2000 verboten wurde. Die Folge: „Die Sprache ging sozusagen in den Untergrund.“ Es entwickelten sich sprachliche Codes, die die Verfolgung erschweren. Da ist beispielsweise von Ratten, Bazillen oder Ungeziefer die Rede, häufig seien Juden gemeint. Oder von der „Millionenlüge“ in Bezug auf den Holocaust. „Wie funktioniert das mit den Codes?“, möchte eine Besucherin später in der Diskussion wissen. „Viele Leute, die diese Songs hören, verstehen das doch gar nicht.“ Büchner erklärt, dass sich in der Regel ein Prozess abspiele. „Je öfter sie das hören, desto mehr verstehen sie.“ Ein Besucher ergänzt, dass es dabei ja auch nicht unbedingt um Verstehen im rationalen Sinne gehe. Sondern einfach darum, ein bestimmtes Vokabular „draufzukriegen“, eine ungefähre Ahnung von seiner Bedeutung zu haben und sich damit zu einer Gruppe Eingeschworener zugehörig zu fühlen. Ein anderer Zuhörer verweist darauf, dass diese „Codierung“ auch in der Youtube-Szene eine große Rolle spiele. Mit „keine Läuse in Auschwitz“ etwa werde die Judenvernichtung nicht explizit geleugnet. Doch „Eingeweihte“ wüssten, was gemeint sei. Eine junge Frau macht deutlich, dass auch der Umgang mit Bands, die nationalistisch, aber nicht offen anti-semitisch sind, schwierig sei. „Was sag ich jemandem, der mit einem ,Frei.Wild’-T-Shirt herumläuft?“, fragt sie. „Frei.Wild“ ist eine Deutschrock-Band aus Südtirol, die mit subtilen Anspielungen arbeitet, sich aber von Extremismus jeglicher Art distanziert. Büchner sagt: „Es hilft nur eins: Die Texte genau lesen.“ So werde beispielsweise in dem Lied „Wir reiten in den Untergang“ die Judenverfolgung verharmlost, indem die Band sich als ähnlich verfolgt darstellt wie die Juden in der nationalsozialistischen Diktatur („Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“). Eberhard Dittus, Vorsitzender des Fördervereins der Gedenkstätte, rief abschließend die zahlreichen jungen Besucher auf, „den Mund aufzumachen“, wenn sie mit der rechten Musikszene konfrontiert werden. Der Förderverein war Veranstalter der Lesung, unterstützt wurde er von den Vereinen „Neustadt gegen Fremdenhass“ und der „Engagierten Jugend Neustadt“ sowie vom Beauftragten für Antisemitismusfragen in der Staatskanzlei, Dieter Burgard.

Timo Büchner heißt eigentlich anders und ist auch bei Fotos lieber vorsichtig – kein Wunder bei der Brisanz des Themas, das er i
Timo Büchner heißt eigentlich anders und ist auch bei Fotos lieber vorsichtig – kein Wunder bei der Brisanz des Themas, das er in seinem Buch anfasst. Unser Bild entstand daher vor der Lesung in der Gedenkstätte.
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