Neustadt Flower-Power-Lesung in der Stadtbibliothek

Im Hippie-Modus: Bodo Redner und Kerstin Bachtler in Neustadt.
Im Hippie-Modus: Bodo Redner und Kerstin Bachtler in Neustadt.

Lyrik und Musik, beflügelnd bis leicht bekifft: Mit ihrer Flower-Power-Lesung „Don’t worry – be Hippie!“ bescherte das Duo Texttaxi in der Stadtbücherei in Neustadt seinem Publikum einen beschwingten Sonntag Morgen.

Mit ihrem Projekt „Texttaxi“ sind Kerstin Bachtler und Bodo Redner seit zwölf Jahren unterwegs in Sachen unterhaltsamer Literaturvermittlung. Im Rahmen der Reihe „Literatur live in NW“ machten sie am Sonntagmorgen Station in der Stadtbücherei. Auf Einladung des Literarischen Forums in Kooperation mit der Buchhandlung Quodlibet und der Bücherei präsentierten sie ihr Programm „Don’t worry, be Hippie!“.

Es ging um die Generation der zwischen 1946 und 1964 geborenen und nun in die Jahre gekommenen Babyboomer. Die waren geprägt von Love & Peace, Woodstock & Vietnamkrieg, changierten zwischen Protest und Rebellion, mitunter drogenbedingtem Ausstieg in Rückzug in innere Welten. Bachtler und Redner waren epochengetreu kostümiert, schienen in Schlaghosen und Afro-Look geradewegs dem Musical „Hair“ entsprungen. Ihr Texttaxi starteten die SWR-Redakteurin und Hörspiel-Sprecherin und der Schauspieler und Regisseur mit Literatur-Schnipseln zum Thema „Liebe“. Ihre Text-Collage in rund fünfzig Teilen enthielt neben bekannter Pop-Lyrik auch Unbekanntes, Schräges und Abseitiges zum Wundern und Neu-Entdecken: In rund 50 lyrischen Kleinteilen entfaltete das Rezitatoren-Duo unkompliziert und frech das regenbogenbunte Panorama einer Epoche, die aus der historischen Distanz betrachtet – Stichwort Kriege – einige Parallelen zur Jetztzeit aufwirft.

Berühmte Texte und Autoren

Berühmte Songtexte wie der Beatles-Klassiker „Lucie in the Sky with Diamonds“ waren dabei. Dieser entfaltete, tanzend und auf Deutsch vorgetragen, augenfällig in seiner multidimensionalen Bildhaftigkeit sein (vermeintliches?) L-S-D-Potenzial. Neben zeitgenössischen Texten kamen auch Stimmen geistiger Einfluss-Größen zu Gehör, allen voran der libanesische Dichter Khalil Gibran (1883-1931). In hymnischer Sprache beschwört der Philosoph die Liebe und die Freiheit des Körpers („Kleider“). Oder Erich Fried mit seinen Gedanken über Liebe und Krieg.

Beat-Poeten wie Allan Ginsbergh, Jack Kerouagh und William S. Burroughs blickten hinter die Kulissen einer nicht mehr funktionierenden Gesellschaft, rechnen ab mit der Verlogenheit des Amerikanischen Traums. Junge Lyriker wie Peter Rühmkorf, Wolf Biermann und Peter Brinkmann prangerten in Deutschland Missstände an. So behandelte Brinkmann in seinem Gedichtband „Westwärts I + II“ die zeitlose Thematik einer zerstörten Landschaft. Günter Kunert findet Trost vor der Depression in der Natur, besingt den „Schachtelhalm“ als Überlebenden einer erwarteten (Atom-)Katastrophe.

Einladung zum Entdecken

Einige unbekannte Texte lunen zum Entdecken ein, etwa das Gedicht „Gedanken einer alten Frau am Abend ihres Todes“ von Hans Josef Moser (Jahrgang 1968) mit seinen betörenden Endzeilen “gefallen aus dem Blütenmeer der Liebe / wird das Nichts zur Seligkeit meines Wesens“.

Aber auch moderne Klassiker kamen zu Wort: Martin Walser etwa mit seinem Gedicht „Wut“ und Bert Brecht mit seinem „Friede – wozu?“ neben Rilke (Herbstlied, unendlicher Friede) und Hesse (Stille). Es gab Originalmusik zum Wegdriften und die ein oder andere Simultan-Übersetzung, zum Beispiel von Mick Jaggers „Sympathy for the Devil“ und von „The Times They Are A-Changing“ von Literaturnobelpreisträger Bob Dylan ließen aufhorchen.

Augenzwinkernd spielten die Akteure mit Hippie-Klischees, ließen Räucherstäbchen zirkulieren und brachten mit einer Meditationsübung ihr Publikum in kollektive Tiefenentspannung. Dass der Geist der Hippie-Zeit durchaus tief in der Literaturgeschichte wurzelt, wurde deutlich an Textbeispielen von Gottfried Kellers Spinnen-Gedicht („Friede der Kreatur“ und Wilhelm Busch („Bewaffneter Friede“). Eine Spur echten Hippie-Spirit entdeckten Bachtler/Redner sogar bei Spaßvogel Heinz Erhardt („Das Lama“, „Das Vöglein“). Und die ultimative Überraschung lüftete das Duo am Ende: Der Oberhippie von allen war Friedrich Schiller. Wie sonst könne seine als Europa-Hymne bekannte „Ode an die Freude“ verstanden werden: Verschwisterung alles Menschen, Frieden, Li-i-i-i-i-e-be. So schön! Und leider immer noch ein Traum. Aber erstrebenswert wie sonst nichts. Das wussten bereits die Hippies in allen Epochen.

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