Neustadt „Ich habe alles wiedergefunden“

Zeigt auf der Karte, wo die Ukraine liegt: Uta von Marées.
Zeigt auf der Karte, wo die Ukraine liegt: Uta von Marées.

Wenn der Arbeitskreis Ukraine-Pfalz der Evangelischen Landeskirche Mitte Juni wieder in die Westukraine fährt, ist auch Uta von Marées dabei. Die Presbyterin aus Lachen-Speyerdorf wollte bei ihrer ersten Reise 2012 wissen, ob die Lebensumstände wirklich dramatisch sind. Das Interesse hat auch mit ihrer eigenen Biografie zu tun.

„Ich stamme ja aus dem Osten und bin zwei Mal geflohen“, erzählt die 76-Jährige. 1940 wurde sie in Ratzebuhr in Pommern (heute Polen) geboren. Die Familie war wohlhabend, besaß eine Tuchfabrik. Wegen jüdischer Vorfahren durfte ihr Vater zwar nicht als Notar, aber als Anwalt einigermaßen unbehelligt arbeiten. Die unbeschwerte frühe Kindheit endete jäh. Im Januar 1945 ermordeten die Nazis den Großvater von Uta von Marées. Wenig später erschoss die einmarschierende Rote Armee ihre Tante und ihren Vater. Beerdigen konnte sie den Vater nicht. Im Februar 1945 musste sie sich mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern auf den Weg nach Jastrow machen. Sie erinnert sich noch gut: „Es war bitterkalt. Die Strecke führte durch den Wald; von dort haben sie auf uns geschossen.“ Ihr einjähriger Bruder verhungerte während des Trecks, ihr anderer Bruder wäre fast an einer Lungenentzündung gestorben. Von Jastrow ging es in Viehwagen mit dem Zug in ein Lager nach Flensburg, von wo sie der Onkel nach Guben an der Oder-Neiße-Grenze holte. Dort betrieb die Familie eine Tuchmacherei. Der Onkel musste später kurzzeitig ins Gefängnis, ihre Mutter floh 1952 aus der DDR nach Westberlin, wo sie als politischer Flüchtling Asyl für die in Guben wartende Familie beantragte. Im Sommer 1952 holte die Großmutter Uta von Marées aus einem Jugendlager der Kirche, ließ sie einen Rucksack packen und floh mit ihr und ihrem Bruder nach Westberlin. Mit der Großmutter, der Mutter und dem Bruder kam sie nach der Flucht nach Lachen-Speyerdorf. Einigen Bürgern dort habe es zunächst nicht gefallen, Flüchtlinge aufzunehmen, doch ihre Mutter habe sich in einer Gegend mit Tuchfabriken niederlassen wollen. Dort arbeitete sie auch, bis sie bei einem Arbeitsunfall einen Arm verlor. Zwischenzeitlich hatte sich die Familie ein Haus gebaut, bezahlt aus dem Lastenausgleich für das verlorene Vermögen in der alten Heimat. Uta von Marées verließ Deutschland 1961 nach dem Abitur, arbeitete zunächst als Au-pair in Lausanne und blieb in der Schweiz: „Mir war es hier zu eng. In Lausanne hatte ich schnell einen Freundeskreis.“ Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Deutsch und Französisch für Ausländer und arbeitete 33 Jahre als Deutschlehrerin an der Privatschule Lémania. Die Ferien aber verbrachte sie meist bei Mutter und Großmutter, bevor sie 2002 ganz nach Lachen-Speyerdorf zurückkehrte. „Ich habe ein gutes Leben, kann mich nicht beklagen. Ich bin glücklich hier. Ich habe ja auch nie den Kontakt verloren und verschiedene Leute noch gekannt.“ Heute engagiert sie sich im Krankenpflegeverein, im Presbyterium, im Arbeitskreis Ukraine-Pfalz und im Fahrdienst, außerdem geht sie immer noch wandern und pilgern; Santiago de Compostela erreichte sie bereits zweimal. Dabei genießt sie, dass sie ihren Gedanken nachhängen kann und zur Ruhe kommt: „Ich habe im Leben oft keine Zeit zum Nachdenken gehabt, da ist das Laufen ideal.“ Bei der ersten Ukrainefahrt 2012, die über Polen zurückführte, war sie auch das erste Mal wieder in ihrer alten Heimat. Eine Freundin, Ruth Kreiselmaier, hatte sie überzeugt, das zu tun. „Ich habe alles wieder gefunden, bin überall freundlich aufgenommen worden.“ Einen Monat später fuhr sie allein, ein Jahr später zeigte sie ihren Neffen, wo die Familie herstammt.

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