Neustadt Jeder kann das Rennen verlieren

Was ich schon immer mal tun wollte, mich aber nicht getraut habe: Unter diesem Motto berichten RHEINPFALZ-Mitarbeiter in loser Reihenfolge, wie sie sich ihrer „Angst“ stellten. Heute: ein Boxenstopp-Training mit dem Neustadter Audi-Sport-Team Rosberg. In der am Wochenende auf dem Hockenheimring zu Ende gehenden Saison der Deutschen Tourenwagen Masters (DTM) geht es mit den beiden Piloten Jamie Green (Großbritannien) und Nico Müller (Schweizer) an den Start.

Die zwei Sattelschlepper mit den beiden Audi RS 5 sowie dem gesamten Material haben am Rande der Landebahn auf dem Speyerer Flugplatz Position bezogen. Die 18 Mechaniker des Teams Rosberg packen die wichtigsten technischen Geräte aus. Die Renningenieure Erich Baumgärtner und Karl Jennings sowie Teammanager Kimo Liimatainen und Teamkoordinator Ramon Hämmerle beraten letzte Details des einstündigen Trainings. Arno Zensen, Geschäftsführer, Teamchef und Mitbegründer des seit 20 Jahren in Neustadt beheimateten Rennstalls des ehemaligen finnischen Formel-1-Weltmeisters Keke Rosberg, beobachtet das Szenario. Es ist das sogenannte Rollout, mit dem jedes Rennwochenende beginnt. Nico Müller, der 22 Jahre alte Schweizer aus Blumenstein in der Nähe von Bern, hat sich hinter einem Müllcontainer „versteckt“, schlüpft in seinen Rennoveral, holt aus seiner Tasche Helm und Handschuhe hervor. Ich ziehe den schwarzen Pulli der Automobilmarke aus Ingolstadt über, die Teamkollegen geben mir noch eine Unterziehhaube zum Helm und feuerfeste Handschuhe. Dann bin ich mitten im Geschehen, Teil der Crew, deren Aufgabe darin besteht, bei den Stopps während des Rennens in der Boxengasse binnen zwei bis drei Sekunden die vier Reifen zu wechseln. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch vor zwölf Jahren im damaligen Neustadter Page-Hotel mit keinem Geringeren als dem heutigen Formel-1-Piloten Nico Rosberg, der damals noch im Neustadter Team die ADAC Formel BMW fuhr und mit neun Siegen die Meisterschaft holte. Er erzählte mir, wie wichtig das Boxenstopp-Training auf dem Flugplatz Speyer sei, und ging dabei auch im Detail auf die Aufgaben der Crew ein. Ich war derart fasziniert, dass ich das Ganze einfach mal hautnah miterleben kann. Und jetzt ist es soweit. Der Motor des 465 PS starken Audi RS 5 mit Müllers Nummer 22 heult auf. Jennings, ein gebürtiger Brite und Mann der ersten Stunde im Team Rosberg, nimmt noch einige wenige technische Einstellungen vor. Dann gibt er dem jungen Schweizer grünes Licht“. Inzwischen ist die Boxengasse auf dem Rollfeld mit rot-weißen Verkehrshütchen abgesteckt. Die letzten Markierungen der jeweiligen Positionen sind mit Kreide auf den Zement gezeichnet. Hämmerle fungiert als Einweiser in die Boxengasse, die EDV-Technik ist ausgerichtet. Für die Boxenstopp-Crew heißt es nun, sich in kompletter Ausrüstung ein wenig aufzuwärmen, um anschließend in der richtigen und auf Zentimetern abgestimmten Stellung ihre Position zu beziehen. Jeder Handgriff muss perfekt sitzen. Die Hauptlast liegt bei den jeweils vier Schlagschraubern, den sogenannten Steckern und Fängern. Mir wurde die Rolle des Fängers des vorderen linken Reifens zugeordnet. Rouwen Baier hatte mir vor dem Echtbetrieb einige Tipps gegeben: „Die Knie etwas angewinkelt, die Hände in der Fanghaltung auf Hüfthöhe und mit Blickkontakt zwischen dem Schlagschrauber und Stecker zum Reifen.“ Keine ungefährliche Aufgabe, Arno Zensen hat mir von einigen Missgeschicken berichtet. „Jeder Einzelne kann das Rennen verlieren“, sagt der Geschäftsführer des Teams, während Müller die ersten Runden dreht. Im Helm und unter der Haube rinnt bereits der Schweiß. Es ertönt das Signal zum Boxenstopp. Mit 80 Stundenkilometern fährt Müller in die Gasse, mit der Berührung des sogenannten Lollipops steht sein Fahrzeug. Eine höhere Geschwindigkeit ist laut Reglement nicht erlaubt. Im Bruchteil von wenigen Hundertstelsekunden ist der linke Reifen ab. Ich muss ihn abfangen – keine leichte Aufgabe, da dieser mit Wucht kommt und ohne Rückwärtsschritt aufgefangen werden muss. Auch deswegen, weil sich dahinter die Ausfahrtgasse für die weiteren Rennfahrzeuge befindet. Alles klappt, und binnen 2,8 Sekunden ist der Vorgang vollzogen, die Hände gehen in die Höhe, und Nico Müller fährt wieder auf den Kurs. Das Ganze wiederholt sich mehrmals an diesem Nachmittag. Dann gibt es einen Doppel-Stopp: Binnen weniger Sekunden kommen beide Fahrzeuge zum Reifenwechsel. Da gibt es keine Verschnaufpause, aber die Crew sprüht vor Leidenschaft. Jeder Handgriff wird aufgezeichnet, die EDV ist auch beim Rollout im Einsatz, die Renningenieure können so jede Schwachstelle aufdecken. Ein Grund, weshalb die Techniker beim Team Rosberg täglich am eigenen Simulator in der Firmenzentrale den Boxenstopp trainieren. Dazu kommen fünf bis sechs Stunden Fitnesstraining im eigenen Studio. „Die Jungs müssen absolut topfit sein, wenn sie im Einsatz sind“, sagt Zensen. Mit den Boxenstopp-Zeiten ist er zufrieden. Es geht aber noch schneller: Bei einer der letzten Stopps reichen 2,15 Sekunden – rekordverdächtig. Das größte Lob kommt meist von den Piloten: „Wichtig ist, dass wir die Position bei einem Stopp behalten und keine Zeit verlieren. Die Jungs machen hier einen tollen Job“, sagt Müller.

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