Neustadt Sie haben die Wahl!

Nein, mit dem Bad Dürkheimer Wurstmarkt oder auch vielen ganz normalen Weinfesten in der Pfalz konnte das „Demokratiefest“ am Wochenende auf dem Hambacher Schloss in puncto Besucherzuspruch sicher nicht wetteifern. Am Sonntag schien zwar, wie stichpunktartige Befragungen ergaben, der Anteil der Menschen, die mit ihrem Kommen ganz bewusst ein Zeichen für die freie Gesellschaft setzen wollten, etwas größer gewesen zu sein als am Samstag. Aber von den anvisierten 8000 Besuchern blieb man mit 5000 an beiden Tagen doch ein Stück entfernt. Darüber, woran’s lag, machten sich auch viele Besucher ihre Gedanken. „Für jedes Weinfest wird besser geworben“, sagte eine Maikammererin, die am Sonntag zusammen mit ihrem Mann extra mit dem Rad aufs Schloss gefahren war. „Schade angesichts des vielen Geldes, das hier investiert wurde“, ergänzt ihr Mann. „Wenn es so etwas gibt, sollte man es auch unterstützen“, begründete dagegen eine Diedesfelderin, dass sie nach Samstag auch am Sonntag nochmals auf Schloss gekommen ist. „Wir wollen zeigen, wofür wir sind, anstatt immer nur wogegen man ist“, sagte eine Mannheimerin, die mit zwei anderen Frauen ihren „Mädels-ausflug“ nach Hambach verlegt hat und sich gerade die mit Hilfe von Jugendlichen aus Neustadt, Mannheim und Marseille entstandene Video-Installation „Why do you vote?“ des französischen Fotografen Bruno Boudjelal im Siebenpfeiffersaal angesehen hat. Vielleicht weil es an diesem Tag mehr Sitzkissen gibt als am Samstag, ist der Kreis zwischen den acht Bildschirmen diesmal auch besser gefüllt – und erstaunlich viele bleiben auch länger sitzen, um sich anzuhören, was die jungen Leute über das Wählen denken. Wenn man weiß, dass in dem Viertel in Marseille, in dem ein Teil der Bilder entstand, der Front National heute den Bürgermeister stellt, weil nur eine Minderheit ihre Stimme abgeben wollte, versteht man auch, wie wichtig die Beschäftigung mit dieser Frage ist. Dass Demokratie allerdings kein Friede-Freude-Eierkuchen-Thema ist, deuteten viele der durchaus kritischen Beiträge an, die Besucher gleich am Eingang auf kleinen Zetteln aushängen konnten. „Ist das noch Demokratie oder Diktatur der Finanzwelt?“, schreibt einer oder eine, „Zur Demokratie benötigt man Anstand, Bildung, Empathie + Engagement. Hier reagiert leider nur noch Egoismus“, jemand anderes. Aber auch ausgesprochene Demokratiefest-Fans outen sich hier: „Ein einzigartiges Festival, welches unbedingt regelmäßig stattfinden muss.“ Das sehen nicht alle so: „Guter Wille allein reicht halt nicht. Manches ist doch arg flach geraten“, urteilt ein Neustadter. Tatsächlich wird man wohl selbst mit viel Wohlwollen konstatieren, dass eine etwas dichtere Taktung der Programmpunkte und eine bessere Abstimmung zwischen den einzelnen „Spielorten“ dem Ganzen schon gut getan hätte. Einer der Programmschwerpunkte waren die „Es gilt das gesprochene Wort“-Performances internationaler Künstler zum Thema Europa, die an beiden Tagen im Festsaal liefen – die meiste Zeit allerdings vor viel zu wenig Zuschauern. Am gleichen Ort fand am Samstag auch die Shortlist-Lesung des neuen Herrenhof-Preises für junge Literatur mit anschließender Preisverleihung statt. Aber auch das geriet eher zu einer Veranstaltung für Eingeweihte. Auch die „Querfälltein“-Bühne im rückwärtigen Teil des Schlossareals entwickelte sich leider nur selten zu dem Anziehungspunkt, den sich die Veranstalter erhofft hatten. Vielleicht hätte hier ein Schild auf der Ebene des Besucher-Pavillons zur Orientierung gut getan. Am Samstagmittag musste die Neustadter Percussiongruppe „Kick it“ ihre elektronischen Grooves jedenfalls vor einer Handvoll Zuhörer zelebrieren. Auch die Aufführung der „Poésie dans ma ville“-Beiträge von Schülern des Leibniz-Gymnasium und jungen Lycéens aus Mâcon waren nicht gerade übermäßig besucht. Weitaus besser hatten es da die jungen Musiker der Neustadter „Allstar Bigband“ am Sonntag, die sich über guten Zuspruch freuen konnten. Die hatten mit ihrem prallen Sound allerdings auch akustisch gut auf sich aufmerksam gemacht. Und dann gab es außerdem auch noch die mit viel Liebe zum Corporate Design ausgestatteten Außenspielorte, die allerdings die meiste Zeit still und ruhig da lagen, ohne dass viel passierte. So wie die Station mit Tischen und Bänken an der ehemaligen Kapelle, wo Achmad Al Mohammad, ein junger Syrer, der bei der Stadt Neustadt beschäftigt ist, Passanten am Sonntag mit entwaffnender Freundlichkeit dazu einlud, auf einer „Fahne der Demokratie“ niederzuschreiben, was ihnen zum Thema Demokratie einfällt. Viele Statements konnte er allerdings bis zum frühen Nachmittag noch nicht zusammenbringen. Ähnlich sah es bei der „Blackbox“ der Dualen Hochschule Mannheim gleich am Treppenaufgang zum Schloss aus, die dazu einlud, sich unter Schwarzlicht in Rollenspielen zum Thema „Wählen oder Nicht-Wählen“ zu positionieren. In der „Speakers’ Corner“ oder bei den „Bänken der Demokratie“ weiter unten, fanden sich zwar immer wieder kleinere Gruppen zum Gespräch zusammen, doch bestanden diese oft aus politisch engagierten Menschen, die ohnehin nicht mehr groß für die Sache gewonnen werden mussten. „Ich sehe hier niemanden zwischen 15 und 30, aber für die haben wir das hier eigentlich gemacht“, sagte der Sprecher von Pulse-of-Europe aus Speyer am Sonntag bei einer gemeinsamen Diskussionsveranstaltung mit Ben Hergl vom Chawwerusch-Theater. Damit tat er den jungen Leuten allerdings vielleicht doch etwas unrecht, denn am Samstag war ihr Anteil im Publikum deutlich höher, und auch am Sonntagnachmittag folgte noch eine Veranstaltung mit Jugendorganisationen verschiedener Parteien. Einen ganz anderen, sinnlichen Zugang zum Thema Freiheit und Europa verfolgte dagegen das britische Künstler-Duo „Action Hero“, das an beiden Tagen gleich neben dem Besucher-Pavillon Menschen zum Einsingen von Liebesliedern animieren wollte – als Statement für ein vereintes Europa. 17 Songs wurden allein am Samstag aufgenommen, was eine Helferin als „sehr gutes Ergebnis“ bezeichnete. Vielleicht hätte man ein bisschen mehr Liebe auch der Haardterin gewünscht, die am Sonntag unten auf dem Burgschänken-Platz mit einem Anti-EU-Plakat „Für ein Europa der Vaterländer“ und gegen „Eurabien“ protestierte. Aber auch das ist ja Demokratie: andere Meinungen auszuhalten, auch wenn man sie noch so ätzend findet.

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