Neustadt Wie in Cannes oder Venedig – die neuen „Arthouse“-Filme im Roxy

Der Australier Tony Rinaudo fand in Afrika einen Weg, Bäume in den unwirtlichsten Gegenden wachsen zu lassen, indem er noch lebe
Der Australier Tony Rinaudo fand in Afrika einen Weg, Bäume in den unwirtlichsten Gegenden wachsen zu lassen, indem er noch lebende Baumstümpfe und Wurzeln aktiviert. Volker Schlöndorff portraitiert ihn in seiner Dokumentation »Der Waldmacher«.

Fast ein wenig wie bei der „Berlinale“ oder den Filmfestspielen von Cannes kommt man sich vor bei der neuen Zwei-Monats-Staffel der Kunstfilmreihe „Arthouse“ im Neustadter Roxy-Kino, die am kommenden Montag mit dem subtilen Gangster-Thriller „The Outfit“ eröffnet. Intelligente Filme aus höchst unterschiedlichen Ländern und höchst unterschiedlicher Genres geben sich da die Klinke in die Hand, darunter Volker Schlöndorffs Doku „Der Waldmacher“ über einen beeindruckenden Naturschützer und Michael Francos „Sundown“ mit Tim Roth als freiwillig gestrandetem Acapulco-Touristen.

„The Outfit“, der Film, der nächste Woche als erstes ansteht, ist die erste Regie-Arbeit von Graham Moore, der 2015 für das Drehbuch zu „The Imitation Game“, ein Kriegsdrama über den britischen Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing, einen Oscar erhielt und daran hier nun nach Urteil vieler Kritiker in Sachen Raffinement nahtlos anknüpft. Der britische Theater-Grande Mark Rylance, weltweit bekannt geworden unter anderem durch seine Darstellung des Tudor-Staatsmanns Thomas Cromwell in der BBC-Serie „Wölfe“, spielt hier einen sanftmütigen Londoner Schneider, der nach einer privaten Tragödie in den 1950er Jahren nach Chicago zieht und mit seinem Geschäft unfreiwillig zum „Briefkasten“ der nationalen Gangsterszene wird. Inszeniert ist der Film als Kammerspiel im Schneiderladen mit auf Braun- und Grautöne konzentrierter Farbpalette. „Elegant und hintersinnig“, urteilte die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung.

Action oder nicht?

Etwas mehr direkte Action bietet da vermutlich der amerikanisch-englische Kriegs- und Agentenfilm „Die Täuschung“, in dem Colin Firth und Matthew Macfadyen zwei brillante britische Geheimdienstoffiziere mimen, denen es im Jahr 1943 gelingt, die Deutschen vom alliierten Landungsunternehmen auf Sizilien abzulenken. Quirliges Handlungskino aus Frankreich verheißt „France“, wo Léa Seydoux, Bond-Girl in „Spectre“ und für ihre Darstellung im Drama „Blau ist eine warme Farbe“ in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, eine Starjournalistin spielt, deren Leben nach einem Autounfall, bei dem sie einen Rollerfahrer verletzt, außer Kontrolle gerät. Im Kern handelt es sich dabei wohl um eine Medien-Satire, die vor allem „den absoluten Narzissmus einer bestimmten Form von medialer Repräsentation“ aufs Korn nehmen wolle, „die immer auf die Resonanz in den sozialen Netzwerken schielt“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ es charakterisiert.

Als „kraftvolles, sensibles Drama über Schuld und Vergebung“ wird dagegen der spanische Film „Maixabel“ beschrieben, der die neue „Arthouse“-Reihe Ende August beschließt und auf der wahren Geschichte der Baskin Maixabel Lasa beruht, deren Mann von einem ETA-Kommando getötet wurde und die sich Jahre später dem Dialog mit den Mördern stellt. „Gerade weil man so selten oder nie Filme über das Leben nach einer Tragödie sieht, hinterlässt ,Maixabel’ einen so nachhaltigen und tiefen Eindruck“, urteilte „Deutschlandfunk Kultur“. Dabei nehme sich die Filmemacherin Iciar Bollaín viel Zeit und verfolge in zwei parallelen Handlungssträngen den Alltag von Maixabel und der inhaftierten ETA-Mitgliedern Etxezarreta und Luis.

Weder Opfer noch Helden, nur Individuen

Auf Subtilität und leise Töne setzt auch „Sundown“, der neueste Film des mexikanischen Regisseurs Michel Franco, der hier wieder wie schon bei seinem Krankenpfleger-Drama „Chronic“ mit Tim Roth zusammenarbeitet. Der britische Hollywood-Star spielt hier einen Acapulco-Touristen, der anstatt wie der Rest seiner betuchten Familie pflichtschuldig zur Beerdigung der Mutter nach London zurückzukehren, einfach in dem mexikanischen Ferienort bleibt und sein verträumtes Leben lebt. Als Film ohne wirkliche Geheimnisse beschreibt die „Kino-Zeit“ diesen Streifen. „Was wir sehen, ist, was tatsächlich passiert. Es ist diese Klarheit, die den Film umso spannender macht. Es gibt hier weder Opfer noch Helden, nur Individuen mit unterschiedlichen Erwartungen ans Leben.“

Nur der direkte Vergleich könnte vermutlich die Frage beantworten, ob „Memoria“ noch meditativer als der vorgenannte Film daherkommt. Das, was man über den neuesten Film von Apichatpong Weerasethakul, der 2010 für „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ als erster thailändischer Filmemacher die Goldene Palme in Cannes erhielt, in einschlägigen Publikationen oder Trailern findet, spricht dafür. Es geht um die englische Orchideenforscherin Jessica, die ihre Schwester in Kolumbien besucht und durch ein wiederkehrendes, lautes Geräusch um den Schlaf und auf Trab gebracht wird, was dazu führt, dass sie auf der Suche nach der Ursache durch die ihr fremde Welt des urbanen wie ländlichen Südamerikas wandert. „Die britische Schauspielerin Tilda Swinton spielt Jessica mit der ihr eigenen Durchlässigkeit, eine Frau, die wie ein Resonanzraum wirkt für ein geheimnisvolles Geschehen“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Andere Kritiker sprechen von einer „geheimnisvollen, sinnlichen Kinoerfahrung“ und einem „Rausch für das Unterbewusstsein aus Erinnerungen, Träumen und Geschichten“.

Zwei deutsche Filme im Programm

Deutlich gegenwärtiger dürfte da die spielfilmartige Dokumentation „Der Waldmacher“ von Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff ausfallen, einem von zwei deutschen Filmen in der neuen Staffel. Er folgt dem Australier Tony Rinaudo, der 1981 als junger Agrarwissenschaftler nach Niger kam, um die wachsende Ausbreitung der Wüsten und das Elend der Bevölkerung zu bekämpfen. Konventionelle Aufforstungsprojekte scheiterten, doch dann entdeckte er unter dem vermeintlich toten Boden ein gewaltiges Wurzelnetzwerk – was eine beispiellose Begrünungsaktion zur Folge hatte, unzähligen Menschen neue Hoffnung schenkte und ihm 2018 den alternativen Nobelpreis einbrachte.

Ein mit dokumentarischen Aufnahmen, Interviews, Archivbildern und Gemälden ergänztes Biopic über den Künstler „Heinrich Vogeler“, dessen 150. Geburtstags in diesem Jahr gedacht wird, setzt den Schlusspunkt – nicht im Kalender, aber in unserer Beschreibung. Florian Lukas, bekannt aus Kino und Fernsehen („Good Bye, Lenin“, „Der Eisbär“, „Weissensee“, „Friesland“) spielt in dem Film von Marie Noëlle den Titelhelden, der zur ersten Generation der Künstlerkolonie Worpswede gehörte, zum Liebling des Bürgertums avancierte, sich später aber der Arbeiterbewegung zuwandte, in die Sowjetunion wechselte und 1942 unter unwürdigen Umständen in Kasachstan starb.

Termine

Die Filme der Kunstfilmreihe „Arthouse“ laufen in den betreffenden Wochen jeweils montags um 17.30 und 20 Uhr sowie mittwochs um 17.30 Uhr im Neustadter Roxy-Kino: „The Outfit“ am 4. und 6. Juli, „Der Waldmacher“ am 11. und 13. Juli, „Die Täuschung“ am 18. und 20. Juli, „Memoria“ am 25. und 27. Juli, „France“ am 1. und 3. August, „Heinrich Vogeler“ am 8. und 10. August, „Sundown“ am 15. und 17. August und „Maixabel“ am 22. und 24. August. Weitere Infos unter www.roxy.de.

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