Schach Wieso es in der TSG Deidesheim an Nachwuchs mangelt

Sie erzählen und sie spielen an ihrem Vereinsabend: die Schachspieler der TSG Deidesheim.
Sie erzählen und sie spielen an ihrem Vereinsabend: die Schachspieler der TSG Deidesheim.

Die Abteilung der TSG Deidesheim ist 50 Jahre alt. Doch sie ist winzig. Spieler schwärmen von ihrem Sport. Der treibe den Pulsschlag hoch und beuge Demenzerkrankungen vor.

Es sind an diesem Vereinsabend acht Männer, die sich im kleinen Saal der Deidesheimer Stadthalle einfinden. Vier Schachbretter reichen aus. Vier Schachbretter seien Standard, gesteht Peter Leibfried, Schach-Abteilungsleiter der TSG Deidesheim. „Wir haben nur zwölf aktive Mitglieder – das ist nicht viel.“ Und unter diesen zwölf Mitgliedern seien nur drei, „die nicht Senioren sind“.

Leibfried bringt damit die Sorgen der Deidesheimer Schachspieler auf den Punkt. Und das ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Abteilung 50 Jahre alt wird. Am 27. November 1974 wurde sie ins Leben gerufen. Seinerzeit waren Konrad Kölsch und Martin Bried schon dabei. „Damals war es noch im Lokal ,Zur Schlosswiese’“, erinnert sich Kölsch. „Damals gab es keine Handys und nur drei Programme im Fernsehen“, spricht Bried Gründe an, warum vor 50 Jahren im Gegensatz zu heute sich die Menschen noch für Schach im Verein interessiert haben.

Schachboom

Einen Schachboom habe seinerzeit der Amerikaner Bobby Fischer ausgelöst, als er 1972 den dominierenden Russen Boris Spasski in einem als „Match des Jahrhunderts“ bezeichneten Wettkampf geschlagen habe und Weltmeister geworden sei. „Der Verein hat sich mit Leuten und Leben gefüllt. Und wenn einmal Leute da sind, kommen immer mehr hinzu“, erklärt Bried, der aus beruflichen Gründen nach Stuttgart gezogen ist, wie Schach einmal ein Selbstläufer gewesen sei. Früher sei es zudem normal gewesen, dass ganze Familien der Abteilung beigetreten seien, weiß Rainer Bergner. Es habe vier Bergners, drei Lennartz’ und vier Kölschs gegeben.

Für Freunde nicht prickelnd

Die Deidesheimer sind aber nicht untätig geblieben, haben stets versucht, junge Menschen für Schach zu gewinnen. „Wir haben Kontakt zu Schulen aufgenommen“, sagt Leibfried. Doch es sei nicht so einfach. Bried erzählt von einem Projekt in Stuttgart, wo sein dortiger Verein mit einer professionellen Trainerin – bezahlt von seinem Verein – seit 15 Jahren Schach in Kindergärten anbiete: „Nur wenige bleiben hängen.“ Immerhin komme jedes Jahr eine Grundschulmannschaft für einen Schulschachwettbewerb um die deutsche Meisterschaft zustande. Bried: „Von diesen Kindern bleiben, wenn’s hochkommt, zwei im Verein.“

Die Deidesheimer Schachspieler ahnen, warum es so schwer ist, junge Menschen für das Brettspiel im Verein zu begeistern. „Wenn einer Fußball spielt, dauert das insgesamt zwei Stunden – da guckt seine Freundin zu“, beschreiben die Deidesheimer die Situation. „Ein Schachspiel kann vier bis fünf Stunden dauern. Das ist für die Freundin eines 16-Jährigen nicht prickelnd.“ Und sagen dürfe sie während des Schachspiels nichts, ergänzt Kölsch lachend.

Langwieriger Lernprozess

„Schach fasziniert erst, wenn man eine gewisse Zeit dabei ist, wenn man mal einen besseren Spieler geschlagen hat“, erklärt Leibfried eine andere Problematik. Ein Anfänger lerne zunächst das Figurenziehen. Schach zu lernen, sei ein langwieriger Prozess, weiß der Abteilungsleiter. „Im Schach muss ich mich auch damit abfinden, dass ich, wenn ich verliere, es ganz alleine vermasselt habe“, ergänzt Bried. Da liege es nicht am Wetter, am Schiedsrichter oder gar an einem Teamkollegen.

Das Gründungsmitglied weiß, dass zwar viele Jugendliche Schach spielten, „aber die wollen nicht zum Vereinsabend kommen“. Viele spielten kostenlos online, einige sogar Turniere, „aber nur Einzelturniere, sie sind nicht vereinsaffin“.

Peter Traub ist erst seit zweieinhalb Jahren dabei. „Ich lerne Stück für Stück dazu – Strategie, Taktik, Zeitmanagement, Psychologie“, sagt er. „Wenn die Leute wüssten, wie spannend Schach ist, sie liefen uns in Scharen zu.“ Er sei über seinen Freund Peter Leibfried zum Schachspiel gekommen. Er sei verrentet worden und habe nun die Nerven und die Zeit, „was im Verein zu machen“.

Schach ist Sport

Die Deidesheimer erzählen, dass Schach tatsächlich Sport ist. „Ich möchte nicht wissen, wie hoch mein Puls in gewissen Stellungen ist“, überlegt Hendrik Hoffmann und lacht. „Ich muss 40 Züge in zwei Stunden schaffen – die Uhr tickt permanent.“ Dies sei Stress für den Körper. „Da spielen sich oft Dramen ab.“ Er habe noch nie einen Film gesehen, der so aufregend sei, so den Puls hochgebracht habe, „wie ein Turnier, das ich spiele“, ergänzt ein Vereinskollege und betont: „Ein Fehler ist nicht rückgängig zu machen.“

Was den Deidesheimern ebenfalls an ihrem Sport gefällt, ist seine Einzigartigkeit. „Das Spiel an sich ist immer anders“, sagt Konrad Kölsch. „Es gibt nie eine Partie zweimal“, ergänzt Leibfried. An ihren Vereinsabenden spielten sie nicht nur, sondern erzählten auch miteinander. „Wir genießen die Geselligkeit“, sagt Peter Leibfried. Einmal im Monat gebe es Theorieunterricht. „Auch eigene Partien werden dann analysiert – das ist wichtig“, sagt Leibfried. Anfänger seien aber in jedem Fall an ihren Vereinsabenden willkommen. „Wer Schach lernen will, kann vorbeikommen“, betont Peter Leibfried.

Kaum Frauen an den Brettern

„Schach ist sehr integrativ“, nennt Martin Bried einen weiteren Vorteil des Brettspiels. „Es gibt keine Altersunterschiede – der Opa spielt gegen den Enkel.“ Man könne es bis ins hohe Alter spielen, fügt Traub hinzu. „Die Hoffnung haben wir zumindest alle“, sagt er schmunzelnd. Sie hätten auch schon Schachspielerinnen gehabt, sagt Peter Leibfried. „Doch es spielen nur wenige Frauen Schach – das ist überall so.“ Warum, wisse er nicht. Dass Eheleute zusammen Schach spielten, sei nur ganz selten, „das habe ich noch nie erlebt“.

Und Schach verhelfe zu einer Frustrationstoleranz, weiß Bried. „Ich spiele als Erwachsener ein Turnier gegen einen Elfjährigen, der kaum über die Tischkante gucken kann. Und der zieht mich übers Brett. Da braucht’s Frustrationstoleranz“, betont der Wahl-Stuttgarter. Die Deidesheimer sind auch überzeugt davon, dass Schach einer Demenz vorbeuge. Laut dem Deutschen Ärzteblatt steigert das königliche Spiel tatsächlich die Fähigkeiten, sich zu erinnern, zu lernen, sich zu orientieren, kreativ zu sein, Signale aus der Umwelt aufzunehmen: In einer Klinik im spanischen Valencia habe die Neuropsychologin Isabel de la Fuente mit ihren Mitarbeitern 120 Menschen zwischen 55 und 87 Jahren und nahezu alle Anfänger im Schach in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe sei 1,5 Stunden wöchentlich im Schach unterrichtet worden, die andere habe andere Kurse belegt. In der Schachgruppe hätten sich die kognitiven Fähigkeiten um 65 Prozent erhöht.

Demenzen vorbeugen

Mediziner am Albert Einstein College of Medicine in New York haben laut Ärzteblatt zudem herausgefunden, dass Schachspielen dem Morbus Alzheimer oder anderen Demenzformen vorbeuge. Mit nur körperlichen Aktivitäten, „so gut diese auch sein mögen, gelang dies nicht“. Eine Krankenkasse nennt Schach gar die „Königsdisziplin für helle Köpfe“.

Als Peter Leibried noch hervorhebt, dass sie zum Schachspielen an ihren Vereinsabenden – die meist bis 23 Uhr dauerten, aber auch schon mal erst um ein Uhr in der Nacht geendet hätten – nichts mitbringen müssten, weil Bretter und Spielfiguren in der Halle weggeschlossen würden, entgegnet Peter Traub lachend: „Doch, den Kopf.“

Kontakt

Wer sich fürs Schachspielen in der TSG Deidesheim interessiert, wendet sich an Abteilungsleiter Peter Leibfried, Telefon 06321 34138, E-Mail peterleib@aol.com. Vereinsabende sind donnerstags ab 20 Uhr im kleinen Saal der Deidesheimer Stadthalle.

Das Schachspielen fördert unter anderem die Fähigkeiten, sich zu erinnern, zu lernen, sich zu orientieren, kreativ zu sein.
Das Schachspielen fördert unter anderem die Fähigkeiten, sich zu erinnern, zu lernen, sich zu orientieren, kreativ zu sein.
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