Pirmasens Erziehung vor Bestrafung

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Jugend vor Gericht (1): Die tödliche Messerattacke im Juni hat viele schockiert. Gestorben ist ein 21-Jähriger, zugestochen hat ein 20-Jähriger – offenbar wegen eines Handys. Ab Dezember wird der Fall vor Gericht verhandelt. Ein Anlass, um das Geschehen rund um ein Verfahren einmal zu beleuchten. Etwa die Arbeit eines Jugendrichters.

Bei einem Fest kommt es zum Streit zwischen zwei jungen Männern. Es wird provoziert, gespuckt und am Ende tritt einer zu – unbeherrscht, aber zum Glück ohne ernsthafte Folgen für den Getretenen. Eine Anzeige folgt, die Sache kommt vor Gericht; Körperverletzung und Beleidigung sind angeklagt. Der 20-Jährige, bisher unbescholten und trotz kleinerer Brüche im Lebenslauf auf gutem Weg, kommt mit einem blauem Auge davon, wird nach Jugendstrafrecht verurteilt zu sozialer Arbeit – eine Sanktion, von der sich der Richter eine erzieherische Wirkung verspricht. Noch sei das Ganze kein Beinbruch, ermahnt er den 20-Jährigen, aber es dürfe auch nicht mehr vorkommen. Es ist ein Fall, wie ihn der Jugendrichter am Amtsgericht Pirmasens oft auf den Tisch bekommt. Körperverletzungen, oft bei Festen und unter Alkoholeinfluss, führen hier die „Hitliste“ der Jugendstraftaten an, wie Richter Mark Edrich erklärt. Dazu kommen Diebstähle – von der CD aus dem Drogeriemarkt bis zu den Barschecks des Vaters – und auch mal der Besitz von Drogen in geringen Mengen. Mehrfache und schwerwiegendere Taten werden in der Regel vor dem Jugendschöffengericht verhandelt. Auch die tödliche Messerattacke im Juni wird den Pirmasenser Jugendrichter nicht beschäftigen: Taten mit Todesfolge kommen direkt zur Jugendstrafkammer des zuständigen Landgerichtes, hier Zweibrücken. 136 Anklagen gingen 2014 beim Jugendrichter ein plus 103 beim Jugendschöffengericht; angeklagt sind in der Regel junge Menschen aus der Südwestpfalz, vorwiegend aus Pirmasens. Sie machen etwa ein Drittel aller Straftaten aus, die in Pirmasens vor Strafrichter und Schöffengericht angeklagt wurden. Nicht immer sind die Angeklagten zuvor so unbescholten wie jener junge Mann, der sich zu dem Tritt hinreißen ließ. Nicht wenige treten mit einem „Rucksack“ vor den Richter, sind sogar schon vor ihrem 14. Geburtstag, mit dem sie strafmündig werden, auffällig geworden. Ob Diebstahl, Sachbeschädigung oder Schwarzfahren – die Palette ist reichhaltig. Auch das Thema Schulschwänzen beschäftigt Richter Edrich. Das ist zwar „nur“ eine Ordnungswidrigkeit, landet aber bei ihm, wenn der Schulschwänzer den Bußgeldbescheid der Stadt ignoriert. Dann kommt dieser zur Vollstreckung ans Gericht. In Pirmasens, stellt Edrich fest, habe er deutlich mehr Verfahren wegen Schulschwänzens auf dem Tisch als in Zweibrücken und Landstuhl, wo er zuvor tätig war. Hier mal 26 Tage Fehlzeit, dort sind es 37 Tage – keine Seltenheit. „Das ist schon problematisch in Pirmasens“, meint er. Es ist ein wiederkehrendes Muster in vielen „Karrieren“, die vor Gericht offengelegt werden. Denn notorische Schulschwänzer schaffen oft auch nicht den Abschluss, geschweige denn eine Ausbildung. Es sei „signifikant“, stellt Edrich fest, dass „sehr viele nicht über einen Schulabschluss verfügen“. Kaum verwunderlich, dass Gymnasiasten „eher selten“ auftauchen. Was nicht heißt, dass einer ohne Abschluss zwangsläufig kriminell wird. Doch manche Muster finden sich eben immer wieder in den jungen Lebensläufen. Trennung der Eltern, keine feste Strukturen oder erlebte Gewalt hinterlassen Spuren. Ein stabiles Elternhaus sei ein „wichtiger Faktor“, sagt Edrich – wobei es auch in gut situierten Elternhäusern Ausreißer gebe. Auch der Rückhalt spielt eine Rolle. Dass es daran nicht selten mangelt, lässt sich im Gerichtssaal unschwer erkennen: Wenn Vater und Mutter gar nicht kommen oder – wie kürzlich geschehen – eine Mutter fragt, ob sie unbedingt noch dableiben müsse. Was daheim früh versäumt wird, lässt sich später nicht einfach „reparieren“. Schon gar nicht über die Justiz. „Das mit einem Strafurteil ungeschehen zu machen, geht nicht“, sagt Edrich. Der Richter könne nicht „gerade biegen, was 14 Jahre im Argen lag“. Aber er könne versuchen einzuwirken, damit der junge Mensch sich besinnt – der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht. Dieser Gedanke steht auch bei der Ahndung im Vordergrund. Sollen Jugendlichen die Folgen ihrer Tat vor Augen geführt werden, greift der Richter zu „Zuchtmitteln“ wie Verwarnung, die Erteilung von Auflagen, oft sozialen Arbeitsstunden, oder Jugendarrest in Lebach von einigen Tagen bis zu vier Wochen; anders als im Erwachsenenrecht ist der Jugendrichter auch für die Vollstreckung zuständig. Hält sich einer nicht an Auflagen, kann er – nach Anhörung – schnell in den „Ungehorsamsarrest“ wandern. Grundsätzlich reiche der Bestrafungskatalog aus, findet Edrich; er würde zwar gerne Freizeitarrest verhängen, aber das sei nur in der Nähe entsprechender Einrichtungen umsetzbar. Würde man Höchststrafen hinaufsetzen, ändere sich aber nichts, weil der Strafrahmen ohnehin fast nie ausgeschöpft werde. „Man muss nur das bestehende Recht konsequent anwenden.“ Nicht alle sind damit zu beeindrucken. Aber es gibt Fälle, die hoffen lassen. Wie jenes Mädchen, das wegen Nötigung und Beleidigung vor Gericht stand, sich erst total verweigerte, dann plötzlich kooperierte. „Man muss dran bleiben“, sagt Edrich. Sein größter Erfolg:„Wenn ich jemanden nur einmal sehe.“

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