Pirmasens Familien-Saga der Seibels

Hermine Seibel war nicht nur feinsinnige Künstlerin und Poetin, sondern auch Märchenerzählerin.
Hermine Seibel war nicht nur feinsinnige Künstlerin und Poetin, sondern auch Märchenerzählerin.

Als die RHEINPFALZ sich vor Jahren mit der inzwischen hochbetagt verstorbenen Hermine Seibel über Gott und die Welt unterhielt, erzählte sie so nebenbei, dass sie sich leidenschaftlich für alles Musische interessiere. „Das wurde mir von meiner Mutter in die Wiege gelegt“, meinte die aus einem Weingut stammende Hauensteiner Fabrikantenfrau, die mit Josef Seibel verheiratet war. In diesen Tagen ist RHEINPFALZ–Mitarbeiter Willy Schächter auf eine literarische Arbeit von ihr gestoßen, die es verdient, auch posthum vorgestellt und in ihrer kulturellen Wertigkeit gewürdigt zu werden.

„E kläni Chronik vun de Häschdener Schuhmacherei – vezählt un gemolt vun Hermine Seibel“: Eine mit vorderpfälzisch gefärbtem Hääschdnerischen Dialekt verfasste szenischen Darstellung über die Geschichte des größten deutschen Schuhdorfes mit 15 eindrucksvollen Zeichnungen, die selbst mit wenigen Stilelementen die sozial- und heimatgeschichtlichen Entwicklungsphasen seit 1886 widerspiegeln. Auf den ersten Blick könnten die Zeichnungen auch aus der Hand ihres Künstlersohnes Christoph (64) stammen, den die RHEINPFALZ vor einiger Zeit in ihrer Rubrik „Leute aus der Nähe“ vorstellte. Die musische und kreative Begabung im Hause Seibel ist offenbar durchgängig, „denn auch väterlicherseits haben meine Kinder alle auch die schöpferischen Gene der Schuhgründer mitbekommen“, sagte damals Mutter Hermine Seibel nicht ohne stillen Stolz. Bleibt noch zu erwähnen, dass einer ihrer Söhne, Carl-August, – gerade zum Präsidenten der Deutschen Schuhindustrie gekürt – das urgroßväterliche Erbe als eine der bedeutendsten europäischen Schuhfabriken mit Geschick, Kreativität und dem Blick für weltweite wirtschaftliche Verflechtungen erfolgreich führt. Aber zurück zum literarisch-künstlerischen (Schuh-)Thema der Mutter: Der ansonsten manchmal herbe Hääschdner Dialekt erscheint feiner und einfühlsamer, wohlklingend im szenischen Dialog der handelnden Personen aus verschiedenen Epochen seit der Schuhgründung vor 131 Jahren. Ein Beispiel aus der vorindustriellen Zeit der Hauensteiner Bilderhändler, zu deren Zunft die beiden Schuhgründer Anton und Carl-August Seibel im ausgehenden 19. Jahrhundert zählten. Wenn man genau hinschaut, gibt Hermine Seibel nicht nur eine an der Oberfläche haftende allgemeine Geschichtsbeschreibung, sondern liefert über den Zeitraum von 150 Jahren auch eine literarisch und zeichnerisch aufgearbeitete Familien-Saga der Seibels. Zusammengehalten wird das kurzweilige szenische Historienspiel von einem Sprecher, der geschickt die geschichtlich erzählte Zeit verknüpft: Vom armen Waldbauerndorf zu den Bilderhändlern, von den Auswanderern zur Fabrikgründung über die Heimarbeiter, die Inflation und die Nachkriegsjahre bis hin zur Boomzeit und den neuen Strukturen und letztendlich dem Schuhmuseum: „Ma kann ach aagucke, wie se frieher gemacht worre sinn: Die ganze Maschine sin im Museum drin! Un in de „gläserne Fabrik“ draus, kriechd ma gezeichd, wies heit geht – des isch ach noch nit leicht. Viel Leit kummen und gucken sich’s a un staunen wieviel Ärwet an äm Schuh isch dra!“. Bleibt noch ein anderer Aspekt der musischen Volkskundlerin Hermine Seibel. In den letzten Jahren ihres Lebens schlüpfte die Kunstsinnige gerne in die Haut der Märchentante und gab nicht nur Lesungen mit eigenen feinen Geschichten im Familienumfeld. Motiviert durch ihre Französischlehrerin – Hermine Seibel besuchte rund 25 Jahre lang die Französischgruppe der Volkshochschule – begeisterte sie zunehmend auch aufmerksame Grundschüler, denen sie meist ihre selbstverfassten Geschichten vortrug. In die Rolle der Märchentante war die Poetin und Künstlerin jedoch schon vor Jahrzehnten geschlüpft, als sie als einfühlsame Mutter ihren eigenen Kindern die illustrierten Geschichten bei vielen familiären Anlässen vortrug. Was die kunst- und literaturbeflissene Hermine Seibel noch alles hinterließ, wäre einer eigenen größeren Arbeit wert. Ihre „kläni Chronik vun de Häschdener Schuhmacherei“ verdient es jedoch allemal, dass sie in nächster Zeit szenisch aufgeführt wird. Möglichkeiten und Anlässe im Schuhdorf Hauenstein sollte es in Hülle und Fülle geben.

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